1032. An Otto Nöldeke

[57] 1032. An Otto Nöldeke


Wiedensahl Dienstag [Sommer 1895]


Lieber Otto!

Ich danke dir für deinen Brief. Deine erste Nachricht hat Mutter erhalten und Dir darauf geantwortet.

Wir hatten hier letzther Regen und Sturm, der besonders dadurch, daß er in Stößen tobte, vieles im Garten, besonders Stangenbohnen, arg zerzaust hat. Der eine Oleander wurde so oft umgeweht, daß ich ihn schließlich bis auf weiters liegen ließ. Sonst war der Regen für den Garten sehr gut, aber nicht für die Heuerndte. Seit gestern nun ist es klar, sonnig und still; schon gestern Nachmittag wurde Klee und Heu eingefahren, was auffallend gut aussah, vermuthlich wegen der Kälte und des Windes, die conservirend gewirkt haben.

Da sich bei dem Unwetter und der Kühle alles fliegende Ungeziefer versteckt hielt, wurde ein junger Fliegenschnäpper, der auf der Erde und den Gartenbänken herumtrauerte, so zahm durch den Hunger, daß er mir Fliegen, Mücken und kleine Schmetterlinge aus der Hand nahm. Sogar zwei Regenwürmer würgte er hinunter, steckte dann den Kopf unter den Flügel und schlief erst mal nach der schweren Mahlzeit, wollte aber an Regenwürmer die folgenden Tage partout nicht wieder dran. Übrigens konnte er schon sehr geschickt Motten und Mücken im Fluge fangen, und wenn ich das Gebüsch schüttelte, paßte er genau auf. Ameiseneier, die ich ihm vorlegte, von denen man sagt, daß alle Vögel sie lieben, wollte er nicht. Eine kleine Wespe beäugelte er mißtrauisch, ohne sie anzurühren, während er am Tage vorher eine verklamte Biene geschickt zerlegte und den Stacheltheil liegen ließ. Seitdem nun die Welt wieder voll schwärmender Mücken ist, bekümmert er sich nicht mehr um seinen Pflegevater, sondern lebt selbständig von seiner Zwickmühle zwischen Bäumen und Bohnenstangen in der Luft.

Von Hattorf, wo Adolf Sonnabend angelangt, schrieb Hermann. Trudel hat noch wieder stark gehustet. Dagegen hat fröhlicherweise eine Glucke von 13 Eiern 11 ausgebracht. Unter der andern piepte es auch schon. Wenn sie nur die Kälte glücklich ausgehalten haben. – Von Hunteburg berichtete Else an Mutter ganz zufrieden über den Superintendentenbesuch.

Viele herzliche Grüße von Mutter, Frl. K. und

Deinem getr. Onkel Wilhelm.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 57.
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