1164. An Grete Meyer

[115] 1164. An Grete Meyer


Wiedensahl 21. Nov. 1897.


Liebe Grete!

Ich antworte auf deinen guten Brief sogleich, damit du doch weißt, daß ich, falls nichts dazwischen kommt, nächsten Dienstag für etwa 14 Tage nach Hunteburg fahre. Bitte, laß dorthin mal was hören von Dir.

Über das "Wesenlose" hab ich mich, scheint's, nicht klar genug ausgedrückt. Ich meine, mit Worten, mit Begriffen, mit der sonst so hochweisen Vernunft kann man, und schwätzt man auch noch so viel Blech, keiner Kunst an die "Seele". Schreibst du mir aber, du wärst spatzieren oder in's Konzert oder zu Tische gegangen, so halt ich das nicht für unwesentlich, sondern für wesentlich, vorausgesetzt, daß du einige illustrierende Winke über das Wie hübsch deutlich hinzufügst; denn dann kann ich mir aus der Ferne ungefähr vorstellen, in was für einem "Drumherum" (milieu sagt jetzt jeder Narr) sich dein werthes Persönchen befindet. "Nachtigall, ich seh dich laufen" denk ich mir dann.

An die Genußfähigkeit nach Noten glaub ich noch immer. Der taube Beethoven wird wohl vernommen haben, was er schrieb; so gut, wie der geübte Herr Poet schon innewennig weiß, ob's klingt, ohne es erst butewennig herbabbeln zu müßen nach art der Kinder und Bauermeumen, die ihren Vers im Gesangbuch studieren. Natürlich! Kommt die paßende Erschütterung der Luft, das rechte Getöse hinzu – um so beßer.

Die musikalische Ausbildung der lieben Öhrchen und der lieben Vorderfüßchen besorgst du also mit froher Betriebsamkeit. Bravißimo! Trotzdem vielleicht findest du Muße, im Vorbeigehn an den kölnischen Kirchen hinauf zu schielen in freundlicher Erinnerung an unsere gemeinsamen "Studien", oder in den Sammelsurien alte Bilder zu besuchen und fein still mit den Augen zu lauschen, ob sie dir etwa was Schönes erzählen wollen.

Im münsterschen Dome, so les ich, wird das Schiff nach Osten zu enger. Ätsch! Das hast du damals, als wir drin waren, nicht belettet (wie Frau Nickels sagt) – und hast doch die "schönnsten Augen".

Meine liebe Grete! Viele herzliche Grüße an dich und Anna von Tante und deinem getreuen

Onkel Wilhelm


und von letzterem noch 3 extra an dich.


In Norden haben sie vorgestern Nachmittag Kinderdöpe gefeiert, ihrer acht Personen.

Sophiechens Befinden scheint ja täglich beßer zu werden. Frau Mühlmeister ist noch dort.[115]

Unser Wetter ist noch immer gar mild und schön. Lange und Gemahlin haben das Gartenland umgegraben. Leitner hat dazu ein Fuder Mist geliefert, so ein appetitliches saftiges, bei deßen Anblick dem Bauern das Waßer im Munde zusammen läuft.

Quelle:
Busch, Wilhelm: Sämtliche Briefe. Band II: Briefe 1893 bis 1908, Hannover 1969, S. 115-116.
Lizenz: