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[140] 1220. An Grete Meyer
Mechtshausen 21. Febr. 1899.
Liebe Grete!
Du hast recht. Wie es ungefähr im Liede heißt:
Das Schreiben, das Schreiben
Soll man nicht übertreiben,
Das kostet bloß Poppier.
Aber, wie du siehst, bin ich noch immer zu leichtsinnig.
Mit Tante ihrem Befinden geht es augenscheinlich beßer. Es war eine sorgenvolle Zeit für uns alle und schwer besonders für Else. Der Arm wird allerdings kaum wieder ganz beweglich werden.[140]
Daß Otto neulich einen alten Buchdeckel mühsam abgepellt und ausgeweidet hat, hörtest Du wol schon. Er zog über 50 Blätter daraus hervor: ein paar zerschnittene plattdeutsche Briefe aus dem 16ten Jahrhundert, ein paar Gebetslieder und sonst lauter geschriebene Notenblätter mit Text, darunter ein Trinklied von Schandelli, allerlei von Orlando d. Lasso (z.B. das den Worten nach bereits im Anfang des 16ten Jahrh. bekannte "Ich stund an einem Morgen") und ein Reiterlied aus dem dreißigjährigen Kriege. So waren wir denn an den Winterabenden, so zu sagen, musikalisch beschäftigt, ohne musikalischen Lärm zu machen.
Inzwischen ist der Frühling aufgewacht und beginnt sich anzukleiden. Schneeglöckchen, die hier auch wild im Walde wachsen, blühen in Menge beihaus. Die Lerchen trilieren schon längst. Große Reisegesellschaften von Finken und Hänflingen kehren aus der Fremde zurück, laßen sich eben mal zwitschernd nieder und fliegen dann wieder weiter, um solche trauliche Wohnplätzchen zu suchen, die ihnen geeignet erscheinen zur Begründung der Familie.
Im Garten rühren sich Hände und Füße. Zwei Frauen und Anna und Minna graben das Gartenland, während Herr Bieling, der Kalk dazu streut, sie und sich in weißliche Wolken hüllt. Derselbe Herr hat auch kräftig die Wildniß gelichtet, so daß du, wenn du das nächste Mal kommst, eine Ordnung vorfindest, die deiner mehr würdig ist, als die von ehedem.
Tausend herzliche Grüße von hier an dich, liebe Grete; darunter mindestens die Hälfte von deinem alten
Unkel Wilhelm.