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Merkwürdig ist der Kommentar zum Diwan. Durch ihn wird Goethe deutlicher, als er sich selbst gemacht in seinem beschriebenen Leben. Darin ist alles Wahrheit und nirgends Dichtung. In dem Garten der Poesie hat der Dichter einmal die Blumen mit der Wurzel ausgerissen; wir sehen den Farbenglanz der Blüten, wir sehen die dunkle Erde. Er hat nicht gut getan, aus dem Schweigen seines ganzen Lebens zu treten; er hat nicht gut getan, eine Brücke zu bauen, die von der Bewunderung zur Untersuchung führt. Vieles hat man ihm vorgeworfen; doch fehlte das eigene Geständnis seiner Schuld. Nach dem Diwan fehlte es nicht mehr.
Meinungen sind frei. Philosophie und Kunst mögen sie beurteilen, verurteilen darf man sie nie. Ganz persönlicher Art, stehen sie unter keinem Gesetze und übertreten kein Gesetz, wohin sie auch schweifen. Gesinnungen aber stehen unter dem Gesetze der Sittlichkeit und werden gerichtet. Nicht was Goethe meint, wie er gesinnt ist, zeigt der Diwan.
Mahomet hat beteuert: er wäre Prophet und kein Poet. Goethe will nun den Unterschied zwischen Propheten und Poeten näher andeuten und sagt: »Der Poet vergeudet die ihm verliehene Gabe im Genuß, um Genuß hervorzubringen, Ehre durch das Hervorgebrachte zu erlangen; allenfalls ein bequemes Leben. Alle übrigen Zwecke versäumt er ... Der Prophet hingegen sieht nur auf einen einzigen bestimmten Zweck ... Irgend eine Lehre will er verkünden. Hierzu bedarf es nur, daß die Welt glaube, er muß also eintönig werden und bleiben.« – Nein – den Propheten und den Poeten unterscheidet nur ein Wort. Für den Poeten gibt es keine Zukunft, denn[1209] ihm ist alles gegenwärtig; für den Propheten gibt es keine Gegenwart, denn sie ist ihm die Hülle der Zukunft. Beide lehren, beide sind eintönig; doch eintönig nur, wie der gleiche Himmel sich über alle irdische Mannigfaltigkeit verbreitet. Man kann im gleichen Tone verschiedene Melodien spielen. Der Prophet zeigt seinen Gott überall, die Kunst die Einheit in der Mehrheit. Wehe dem Dichter, der nicht wie der Prophet Glauben sucht und findet; dreifach wehe ihm, wenn er nur Genüsse erstrebt und gibt, und um schnöden Beifall und um schnödern Gewinst des Himmels heilige Gunst vermäkelt!
Mit der seeleninnigsten Behaglichkeit preist Goethe in seinem Diwan die Despotie. Kein Liebchen im Leben und im Gedichte war ihm je so wert als diese stolze Schöne, die ihre Verächter in eisernen, ihre Verehrer in goldenen Ketten nach sich schleppt und sich feilbietende Menschenwürde mit nichts als einer dummen Farbe bezahlt. Wer noch sonst als der einzige deutsche Goethe war je so schamlos, das Knechtische in der Natur des Menschen zu verherrlichen und nackt zu zeigen, was ein edler Mensch mit Trauer bedeckt? Tyrannen hat schon mancher Dichter geschmeichelt, der Tyrannei noch keiner.
Da will er einmal zeigen, wie unter den verschiedenen Regierungsformen die Charaktere sich auf verschiedene Weise ausbilden, und er sagt: »In der Republik bilden sich große, glückliche, ruhig-rein tätige Charaktere; steigert (steigert!) sie sich zur Aristokratie, so entstehen würdige, konsequente, tüchtige, im Befehlen und Gehorchen bewunderungswürdige Männer. Die Despotie dagegen schafft große Charaktere; kluge, ruhige Übersicht, strenge Tätigkeit, Festigkeit, Entschlossenheit, alles Eigenschaften, die man braucht, um den Despoten zu dienen, entwickeln sich in fähigen Geistern und verschaffen ihnen die ersten Stellen des Staats, wo sie sich zu Herrschern ausbilden.«[1210]