I. Französische Sprache

Wir gemeinen deutschen Bürgersleute, die wir in unserer Jugend keine französischen Gouvernanten gehabt, ob zwar Gouverneurs genug, benutzen gern den Aufenthalt in Frankreich, uns in der französischen Sprache zu vervollkommnen. Wir erfahren aber bald, daß es damit schwer geht und sehr langsam; was Hänschen nicht lernt, holt Hans nicht nach. Bleibt ein deutscher Welt- oder Geschäftsmann ein Jahr oder auch längere Zeit in Paris, dann lernt er zwar mehrere Variationen über sein altes bon jour sprechen, doch das ist alles. Hat aber ein Deutscher das Unglück, von der gelehrten Klasse zu sein, und die Eitelkeit, sich als Mann von Verstand zeigen zu wollen, dann geht es ihm noch schlimmer. Diese Eitelkeit aber wird in Paris leicht rege gemacht. Die Franzosen haben vor einem deutschen Gelehrten einen ungeheuern Respekt, einen größern, als sie vor einer Encyklopädie in hundert Foliobänden haben, denn sie schätzen ihn zweihundert Bände stark. Kommt es aber zur Anwendung, zum Reden, Schreiben, zur künstlerischen Darstellung, zum Gespräche, dann lachen sie ihn aus, und wenn sie dem Gelehrten nicht sagen: Du bist ein Vieh! so unterlassen sie es bloß aus Artigkeit, aber sie denken es gewiß. Nun wird der deutsche Gelehrte hitzig, und er will zeigen, daß etwas in ihm steckt. Aber was kann er in geselligen Zweikämpfen gegen Franzosen gewinnen? Der Witz der Franzosen ist ein Degen, der ein Spitze hat, aber keine Schneide; der Witz der Deutschen ist ein Schwert, das eine Schneide hat und keine Spitze, und der[3] Stechende besiegt den Hauenden immer. Jetzt wird der Gelehrte noch hitziger, er mustert seine schönsten Gedanken und rüstet sich fürchterlich. Da gewahrt er aber mit Schrecken, daß das beste, was er weiß und fühlt, sich im Französischen gar nicht sagen läßt, und er senkt ganz demütig seine Flügel. Vergebens bereitet er sich vor, vergebens durchblättert und zerknittert er das Wörterbuch der französischen Akademie: er findet keinen Ausdruck für seine innere Regung. Seit 1819 steht in meinem Tagebuch ein Gedanke, auf den ich mir etwas einbilde – wie nun jeder Mensch seine Schwachheiten hat. Es ist der: »X. ist der Leithammel der deutschen Aristokratie ...« Den will ich heute Abend anbringen, dachte ich. Wie gebe ich das französisch? Anfänglich wollte ich in meiner Unschuld Leithammel durch mouton directeur übersetzen, und ich hätte vielleicht wohlgetan, dieser ersten Eingebung zu folgen. Aber um vorsichtig zu verfahren, suchte ich im Wörterbuch auf, wie Leithammel heißt, und da fand ich: Le mouton porteclochette. Es sieht wohl jeder ein, wie lächerlich ich mich gemacht haben würde, wenn ich gesagt hätte: Mr. d'X. est le mouton porteclochette de l'aristocratie ... Und darüber soll einer nicht toll werden? In Frankreich kann ich den Gedanken, in Deutschland darf ich ihn in den ersten hunderttausend Jahren nicht sagen, und soll er nicht ungenossen verderben, muß ich ihn fideikommissarisch auf meine späteste Nachkommenschaft zu bringen suchen.

Nachdem ich eine Zeit lang in Paris gewesen, kam eine wahre Leidenschaft über mich, das Theater und die Literatur der Franzosen in ihren eigenen Blättern zu kritisieren; aber gleich nach dem ersten Versuche verging mir alle Lust zu solchem Unternehmen. Einst las ich in einem Blatte einen Artikel, überschrieben: Bulletin musical, und unterzeichnet: Le vieux mélomane. Darin war unter andern von Webers Freischütz die Rede. Der alte Musiknarr[4] fing damit an, sich zu entschuldigen, daß er sich etwas weniges »de cette pauvre Allemagne« beschäftigen werde. Deutschland in Beziehung auf Musik arm zu nennen, fand ich nur unverschämt, weil es kein gröberes Wort giebt als unverschämt. Dann hielt er Maria von Weber für ein Frauenzimmer, und das wollte ich nicht auf meine deutsche Schwestern kommen lassen; denn eine Frau soll keinen Lärm machen, nicht einmal einen musikalischen. Endlich erzählte er, der Freischütz habe bei den froids Allemands den lebhaftesten Enthusiasmus erregt, und hierüber auch glaubte ich einiges bemerken zu müssen. Ich nahm mir also vor, einen Artikel dagegen zu schreiben. Ich versah mich gehörig mit Wörterbüchern, Synonymiken und Sprachlehren und fing zu laborieren an. Da ich mich gleich französisch zu denken bemühte, so verdroß das einige patriotische Gedanken, sie blieben zurück und ließen mich im Stich. Für die Gedanken, die ich, ohne meinen Zweck zu verfehlen, nicht weglassen konnte, fand ich keine ganz entsprechenden französischen Ausdrücke; kurz ich hatte meine erschreckliche Not. Endlich brachte ich mit saurer Mühe nachfolgendes Schreiben an die Herausgeber jenes Blattes zustande: »Permettez moi, Messieurs, de rectifier une petite erreur statistique qui s'est glissée dans votre bulletin musical d'aujourd'hui ... Vous parlez de l'opéra le Freyschutz de Maria de Weber, après avoir timidement demandé la permission à vos lecteurs de vous occuper un peu de cette pauvre Allemagne. Ma patrie, grâve à la générosité française, n'est pas aussi pauvre que le vieux mélomane paraît le croire. Vos soldats ne nous ont pris que notre argent, perte que nous avons réparée depuis .... Le vieux mélomane fait encore un plus grand tort à mes compatriotes, en soutenant que l'opéra le Freyschutz a excité leur admiration. Nous aimons la musique de Weber, mais nous ne l'admirons pas et nul[5] Français n'ignore, qu'on peut être aimable sans être admirable. Le plaisir que Mr. de Weber nous a donné, quoiqu' étendu n'était pas profond pour cela, et ce n'est que la profondeur d'un sentiment agréable qui puisse éveiller l'enthousiasme. Le compositeur du Freyschutz est le premier Allemand, qui ait créé une musique dramatique nationale, car Mozart, pareil à Shakespeare, Raphael et à Buonaparte, était trop grand pour être national, un vaste génie n'ayant jamais de limites geographiques pour bornes. L'aristocratie et la populace en Allemagne ont depuis longtemps des opéras conformes à leur intelligence, mais le Freyschutz est le premier, qui réponde au tiers-état musical.« Unterzeichnet: Un pauvre Allemand.

Nachdem, ich den Artikel geendigt und mich erholt hatte, brachte ich ihn einem Freunde, daß er die Fehler darin verbessere. Mein Freund ist zwar ein Franzose, war aber lange in Deutschland gewesen und versteht die deutsche Sprache vollkommen. Bei diesem fand ich dessen Bruder, einen Gelehrten, und noch einen dritten, mir Unbekannten, dem es aber, wie keinem Franzosen aus dem wohlhabenden Stande, an literarischer Bildung fehlen konnte. Der Artikel wurde laut vorgelesen. Im Vorbeigehen will ich bemerken, daß ich den drei Herren ihren Ärger darüber, daß sich ein Ausländer herausnehmen wolle, sich über Franzosen lustig zu machen, sehr deutlich ansah. Jetzt fing mein Freund zu verbessern an. Zuerst die grammatikalischen Fehler; das war recht. Dann bemerkte er mir bald von dieser, bald von jener Phrase, sie sei nicht im Geiste der französischen Sprache. Ich erwiderte: das wolle ich leicht glauben und er solle nur den Satz ändern und den Gedanken auf gut Französisch ausdrücken. Mein Freund drückte, sein Bruder drückte, der Unbekannte drückte, aber sie drückten nichts aus, noch heraus. Ich ging voller Schadenfreude im Zimmer[6] auf und ab und ließ sie sich die Köpfe zerbrechen. Endlich blieb es dabei: Das und jenes könne man im Französischen gar nicht sagen. Nun bitte ich euch, was ist das für eine Sprache, in der man gewisse Dinge gar nicht sagen kann? Im Deutschen kann man alles sagen. Kurz, die drei koalisierten Franzosen richteten mir meinen Artikel dergestalt zu, daß weder vom Ausdrucke, noch vom Sinne das mindeste übrig blieb, und sie verbesserten mich, und dann sich selbst untereinander so sehr, daß ich die korrigierte Handschrift, die hier vor mir liegt, jetzt, nach einem Jahre, nicht mehr entziffern kann. So erinnere ich mich nur noch, daß sie mir bemerkt: »une petite erreur statistique«, wie ich mich im Anfange des Briefes ausgedrückt, könne man nicht sagen. Ich fragte (weil ich selbst darüber im Zweifel war), ob denn statistique nicht als Adjektiv gebraucht werden könne? Sie antworteten: das könne man allerdings, nur nicht in diesem Sinne. Ich fragte: Warum nicht? Ob es gegen die Charte sei, ob es die Polizei verboten, ob man in Paris nicht jedes beliebige Adjektiv mit jedem beliebigen Substantiv verbinden könne? Sie erwiderten: in dieser Verbindung sei es nicht gebräuchlich. Ich sagte: es soll aber auch nicht gebräuchlich sein, ein Schriftsteller dürfe nichts Gebrauchtes, sondern müsse immer Frisches schreiben; ich bat, ich flehte – alles vergebens. Sie sagten: es wäre gegen ihr Gewissen, und sie könnten mir die erreur statistique nicht nachsehen. Nun zeigt sich aber aus diesem Beispiel ganz deutlich, daß solche Ängstlichkeiten der französischen Sprache in einer gewissen Beschränktheit des französischen Geistes ihren Grund haben. Ein Deutscher, welcher liest: »ein kleiner statistischer Irrtum«, faßt schon instinktmäßig auf, wie der Schriftsteller zu diesem Ausdruck gekommen. Er hat gelesen, daß der alte Musiknarr la pauvre Allemagne gesagt; also hat er die deutsche Nation für arm erklärt;[7] also ist dieses ein Gegenstand der Nationalökonomie; also kann man von einem statistischen Irrtum reden. Es scheint aber, der Franzose kann solche Geistessprünge nicht machen, oder, was wahrscheinlicher ist, er hält sie für unanständig. Eine Sprache ist aber nur dann reich zu nennen, wenn sie – wie die Mathematik in ihrer Art – fertige Formeln von bekannten und anerkannten Sätzen und Schlüssen hat, die man nicht erst nachzudenken. braucht und die nur als Brücken dienen, über welche man zu neuen Schlüssen gelangt.

Es ist leicht zu erklären, wie die französische Sprache die allgemeine Umgangssprache der höhern Stände werden konnte. Sie kam dazu, weil sie für den Mittelstand des Geistes gerade ausreicht, und es der Mittelstand des Geistes ist, durch welchen die höheren Stände aller europäischen Völker verwandt sind. Der französische Sprachschatz besteht ganz in Silbermünze; sie hat kein Kupfer wie die deutsche, und ein schlechter französischer Schriftsteller schreibt nie so schlecht, als ein schlechter deutscher schreibt. Dagegen mangelt es ihr aber auch am Golde der deutschen Sprache. Daß aber die Vorzüge der letztern vor der erstern im größern Reichtum des deutschen Geistes ihren Grund haben, ergibt sich daraus, daß die wenigen französischen Schriftsteller, die deutschen Geist haben, den besten deutschen Schriftstellern gleichkommen. Rousseau, Frau von Staël und Benjamin Constant werden von keinem Deutschen übertroffen; aber sie sind geborne Schweizer, also mehr Deutsche als Franzosen, und die beiden letztern waren lange in Deutschland und haben aus deutschen Büchern und im Umgang mit gebildeten Deutschen deutschen Geist geschöpft. Die politischen Werke Benjamin Constants zeichnen sich vor denen der andern französischen Schriftsteller vorteilhaft aus; man erkennt aber leicht, daß es der deutsche Geist in ihm ist, der ihm den höhern Rang verschafft. Es gibt viele liberale[8] politische Schriftsteller in Paris, die mit Geist, mit Kraft sogar, mit Witz gewiß, schreiben. Sie treffen haarscharf; aber weil das Instrument, mit dem sie treffen, auch haarscharf ist, fehlen sie, sobald sie nur um eine Linie zu weit rechts oder links abweichen. Ihre Kraft reicht nur für diese Stunde, für diesen Anlaß aus, und ihr Witz gleicht dem Blitze: der Strahl zündet kein zweites Mal. Benjamin Constant aber, weil er breiter aufschlägt, braucht nicht so haarscharf zu zielen, er trifft doch den Nagel auf den Kopf. Seine Gründe sind nicht bloß für die Sache, die er eben verteidigt, sie sind für jeden Rechtsstreit zu gebrauchen, und sein Witz ist eine aushaltende Fackel.

Haben wir nun, so wie er getan, die französische Sprache beurteilt, so kann man freilich sagen: diesem Urteile ist nicht blindlings zu trauen; denn natürlich wird jeder seine Muttersprache reicher als eine fremde finden, weil er jene besser zu benutzen weiß. Indessen ist der Deutsche in wissenschaftlichen Dingen unparteiisch und wird auch dafür anerkannt, und er darf sich also herausnehmen, die französische Sprache, mit der deutschen verglichen, bettelarm zu erklären. Bedarf diese Armut noch eines andern Zeugnisses, so geben es die Franzosen selbst, indem sie mit dem, was sie besitzen, so haushälterisch tun. Die schönen Redensarten, die Kraft- und Witzworte, die glänzenden Stellen ihrer guten Schriftsteller werden nie vergessen, sie erhalten sich Jahrhunderte im Angedenken der sich folgenden Geschlechter, und jeder gebildete Franzose weiß jene Stellen auswendig. Ein Beweis, daß deren nicht viele sind. In Corneilles Horace wird dem Vater der Horatier die Nachricht gebracht, zwei seiner Söhne wären gegen die Curiatier geblieben, und mit dem falschen Zusatze: der dritte habe die Flucht genommen. Der Greis jammert über die Schande seines Sohnes, und da fragt eine Julie, welch[e][9] eine »Dame romaine et confidente de Camille'' ist, welche Camille »amante de Curiace« ist, welcher Curiace »gentilhomme d'Albe« ist – sie fragt ihn: »Que voulezvous qu'il fit contre trois?« ... »Qu'il mourût!« antwortet der alte Horaz. Die Bewunderung der Franzosen über dieses qu'il mourût hat sich jetzt schon zwei Jahrhunderte von Vater zu Sohn fortgepflanzt. Allerdings wäre dieses qu'il mourût schön, wenn es einsam stünde; aber Corneille hat die Abgeschmacktheit begangen, es durch dreizehn nachfolgende Verse zu paraphrasieren und zu verdünnen und auf den Donnerschlag ein langes Kindergetrommel folgen zu lassen. Doch sei es so schön, wie man wolle – wie würde man fertig werden, wenn man sich solche Schönheiten aus Goethes und Schillers Tragödien merken wollte, Shakespeares gar nicht zu gedenken? In einer Fabel streiten sich Mensch und Löwe, wer von ihnen stärker sei. »Schau dort!« sagte der Mensch, und zeigte auf ein Marmorbild des Herkules hin, der einen Löwen zerriß. »Wohl sehe ich,« sagte der Löwe; »aber wäre die Tat kein Wunder, hätte man sie nicht verewigt.« ... Ein neuerer Schriftsteller hat vor Jahren, ich weiß nicht bei welcher Gelegenheit, gesprochen von »des mots étonnés de se trouver ensemble.« Dieses ist allerdings gut gesagt. Begegnet aber seitdem auch der originellste Schriftsteller jenem Gedanken auf seinem Wege, kann er ihm nicht ausweichen; er sagt auch: »des mots étonnés de se touver ensemble«, und wenn er sich auf den Kopf stellte, kann er den Gedanken nicht anders ausdrücken. So haben sie das unausstehliche Wort: »brillant«, das sie so häufig anwenden, daß einem die Augen überlaufen. Alles, was sie loben, ist brillant; eine Gesellschaft, eine Theatervorstellung, Napoleons Regierung, eine Sitzung der Akademie, ein Gemälde, die Tapferkeit, die Schönheit, jede Tugend. Von ihrer Jugend sagen sie: »La brillante jeunesse«, ob zwar deren[10] Vorzug und die Bürgschaft, die sie gibt, daß sie besser werden wird als das vorige Geschlecht, gerade darin besteht, daß sie nicht brillante ist im Sinne des französischen Wortes. Jouy, in einem seiner Werke, wo er empfindsam von seinen Jugendjahren spricht, erzählt von jenen schönen Tagen, wo er noch »brillant de santé et de jeunesse« war. Die deutsche Sentimentalität seufzt aus einer anderen Tonart. Und eine Sprache, die ihr seidenes Beutelchen so ängstlich mit allen Fingern umklammert, wäre nicht arm zu nennen? Ich habe es diesem und jenem Franzosen oft selbst gesagt: »Eure Sprache ist eine wilde gegen die deutsche, die ihr barbarisch scheltet; sie kann, wie die Pescherähs, nur bis zu fünf zählen, und ich will euch das unwiderleglich beweisen. Gebt mir ein Buch, welches ihr wollt, ich will es euch übersetzen, und ihr sollt selbst Richter sein, ob der Übersetzung etwas fehle gegen dem Original. Und vermag ich es nicht, so liegt es an der Beschränktheit meines Talents, nicht an der deutschen Sprache, und ein Besserer wird es besser zustande bringen. Dagegen will ich euch Werke genug geben, mit welchen eure ersten Schriftsteller nicht fertig werden sollen.« Sie nahmen diese Herausforderung nicht an, aber überzeugt waren sie doch nicht. Freilich machen sie sich seit einigen Jahren in Paris ganz munter an die schwersten Dinge. Sie übersetzen den Schiller, Goethes Faust und Iphigenie, Werners, Müllners Tragödien – in Prosa, versteht sich – doch wie sie damit zustande gekommen, mag der Himmel wissen. Ich habe nie vermocht, mehr als vier Seiten von einer solchen Übersetzung zu lesen. Der Übersetzer von Werners Luther kündete mir einen Besuch an, mich über manches bei seiner Arbeit um Rat zu fragen. Er kam und fragte mich, was im Luther der Karfunkel bedeute – weiter fragte er nichts. Ich erwiderte ihm: Darüber solle er sich von einem Juwelier Auskunft geben lassen, bei mir käme er[11] zu spät. Es wäre eine schöne Zeit gewesen, da hätte ich die Karfunkelpoesie am Schnürchen gehabt; ich hätte aber alles rein vergessen. »La poesie de l'escarboucle!« rief er voller Erstaunen aus. Ich legte geheimnisvoll den Finger an der Mund. Sollte der Übersetzer des Buches etwas über Karfunkelpoesie gesagt haben, so ist es nicht meine Schuld, ich habe kein Wort verraten.

Zum geselligen Umgang dagegen ist die französische Sprache viel geeigneter als die deutsche. Und man halte dieses nicht für einen geringen Vorzug; es wird ihr damit ein großer sittlicher Wert zuerkannt. Die deutsche Sprache, wie schon bemerkt, zahlt in Kupfer oder in Gold. Das eine verursacht Gepäcke und wird lästig, das andere ist für die kleinen Bedürfnisse der Unterredung nicht zu gebrauchen. Die Franzosen aber kommen mit ihren Silberreden überall durch. In jeder Meinungsstreitigkeit, die oft die beste Würze der geselligen Unterhaltung ist, muß der Deutsche entweder seinen Gegner schonen, indem er nebenbei schlägt, und dann wird nichts entschieden, oder er muß ihn verwunden. Der Franzose aber hat an jedem spitzigen Worte einen ledernen Wulst, er trägt den Degen in der Scheide und hat gar nicht nötig, seinen Witz zu bezähmen, um seinem Gegner nicht wehe zu tun. Welche große Vorteile für die Geselligkeit gewährt nicht schon das häufige Monsieur und Madame, das nach jedem dritten Worte gebraucht wird. Es werden in der Stadt Paris mehr Herren und Damen verkonsumiert, als im ganzen deutschen Lande. So ein Monsieur aber tut die Dienste eines Gendarmes: er verhütet Zänkereien. Hat man aber einmal Monsieur gesagt, kostet es Mühe, hinzuzufügen: vous êtes une bête, oder eine andere Grobheit. Die Deutschen sind darin gewandter; sie sagen: Mein Herr, Sie sind ein Flegel! Doch in solchen Fällen wird das: Mein Herr! ironisch gebraucht. Um ihre reine Sprache nicht zu beschmutzen, sind die Franzosen[12] so sehr artig gegeneinander. Je vornehmer einer ist, je höflicher behandelt er den Niedrigen. Ein französischer Minister, selbst wenn er in Amtssachen einem Bürger schreibt, unterzeichnet: »Ich habe die Ehre, zu verbleiben.« Der König selbst, in seinen Ordonnanzen, nennt auch den letzten seiner Unterthanen Herr, selbst wenn er ihn straft. Er verordnet: »Dem Herrn N. wird wegen häufiger Preßvergehen das Patent als Buchhändler entzogen.« Aber jeder Amtssekretär im kleinsten deutschen Städtchen dekretiert: »Hat sich der Johann Christoph Peter unfehlbar morgen früh zehn Uhr auf der Amtsstube einzufinden, um die ihm gnädigst bewilligte Gratifikation, gegen Bescheinigung, in Empfang zu nehmen.« Der Deutsche ist nur gegen Vornehmere höflich; wie eine Sphinx lächelt er freundlich nach oben und gebraucht nach unten die Krallen. Er führt über seine Courtoisie italienische Buchhalterei; hat er eine Schmeichelei ins Soll gesetzt, schreibt er schnell eine Grobheit ins Haben. Jeder Regierungskanzelist hält sich für einen Statthalter Gottes auf Erden und ist von Gottes Gnaden ein Grobian. Möchten sich doch die deutschen Autoritäten ihr barsches Wesen abgewöhnen! Möchten sie doch bedenken, daß das Regiertwerden eine traurige Notwendigkeit ist, die man so viel als möglich zu versüßen suchen soll! Möchten sie bedenken, daß im Staate die Freiheit der guten Bürger nur um der schlechten willen beschränkt werden muß! Möchten sie besonders auf ihren Paßbureaus bedenken, daß um eines einzigen Spitzbuben willen, der sich zuweilen unter tausend ehrlichen Reisenden findet, neunhundertneunundneunzig Ehrliche belästigt, aufgehalten und gequält werden müssen; möchten sie sie darum mit Freundlichkeit und Artigkeit behandeln, sie sitzen heißen und ihnen auch einen Stuhl dazu hergeben und sie gleichsam um Entschuldigung bitten, daß man ihnen so viele Mühe mache! Ja, wäre ich Herr[13] im Lande, ich ließ in allen Paßbureaus meines Reiches den ganzen Tag Kaffee und Wein servieren und den Reisenden angenehme Romane und Reisebeschreibungen in die Hände geben, damit ihnen die Zeit nicht lang werde, bis die Reihe an sie kommt. Das hielt ich für meine Schuldigkeit!

Sich die französische Umgangssprache anzueignen, fällt manchem Deutschen schwer: sie wird, wie das Tanzen, am besten in der Jugend erlernt. Auch mit der Aussprache hat man seine Not. Ich habe es in fünf Vierteljahren noch nicht dahinbringen können, »des huitres« verständlich auszusprechen. Franzosen haben mich versichert, sie erkennten den Deutschen, auch wenn er schon jahrelang in Frankreich gewesen, an der Aussprache des B und P, die er nicht gehörig zu unterscheiden wisse. Wenn der Deutsche B sagt, hört es der Franzose für ein P. Es ist dies um so schwieriger, da der Deutsche sein eigenes B und P nicht gehörig unterscheidet, und er nicht ausfinden kann, worin der Zauber liegt. Ich kam einmal dadurch in eine kleine Verlegenheit. Mein Name fängt mit einem B an. Als ich das erste Mal zu meinem Bankier kam, um Geld zu holen, fragte er mich, wie es heiße? Ich nannte mich. Darauf ließ er ein ungeheuer großes Kredit-Registerbuch nachschlagen, das alphabetisch eingerichtet war. Der Commis suchte und fand mich nicht darin. Ich hatte aber bemerkt, daß er weit hinten im ABC gesucht, und sagte: »Ich schreibe mich nicht mit einem P, sondern mit einem B.« Das war aber tauben Ohren predigen, man verstand meine Distinktion nicht. Der Prinzipal zuckte die Achseln und sagte: es wäre nichts für mich angewiesen. Nun war in diesem Falle nicht zu spaßen, das Mißverständnis konnte lebensgefährlich werden. Ich trat also an das Pult, streckte meine ruchlose Hand nach dem heiligen Kreditbuch aus, blätterte das ABC zurück, bis ich an das B kam, schlug[14] dann mit der Faust darauf und sagte: »Hier ist mein Platz!« Prinzipal und Commis warfen mir grimmige Blicke zu; aber richtig, man fand mich dort.

Wenn ich, wie ich oben erzählte, wie mir in Paris mein kritisches Streben mißlungen, dabei nicht bemerkt habe, daß dieses auch großenteils an meiner unzureichenden Kenntnis der französischen Sprache gelegen – so habe ich das nur darum unterlassen, weil sich das von selbst versteht. Es wäre aber sehr zu wünschen, daß ein guter deutscher Kritiker, der der französischen Sprache vollkommen mächtig wäre, sich nach Paris begäbe und dort ein kritisches Blatt schriebe. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte: er würde dadurch auf ganz Europa wirken. Zwar würde man ihn im ersten Jahre nicht sehen und nicht hören und sich um sein Dasein gar nicht bekümmern. Im zweiten Jahre würde er Aufmerksamkeit erregen, aber höchst wahrscheinlich im Verlaufe des Jahres totgeschlagen werden. Doch lasse er sich dadurch nicht abschrecken. Hat er diese zwei Jahre mit Mut und Glück überstanden, wird er ungeheuer wirken und der französischen Literatur das werden, was Luther der deutschen Kirche war. Die deutsche Reformation bedarf aber zu ihrer eigenen Vollendung – eines Luthers in Frankreich.

Quelle:
Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Band 2, Düsseldorf 1964, S. 3-15.
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