Bei Ueberreichung einer Turnerfahne

[100] Hoch empor in blaue Lüfte,

Turner, laßt die Fahne wehen,

Hebt sie auf, daß weithin Alle

Ihre hohe Deutung sehen:

Wie ein Adler drauf erhebet

Sich zur Sonne stolz und groß,

Daß: frisch, fromm und frei und fröhlich

Ist des Turners hohes Loos.


Frisch und fromm und frei und fröhlich,

Was die tiefen Worte künden,

Diesen stolzen Sinn zu wahren

Woll't euch, Turner, treu verbünden;

Vor den Augen deutscher Frauen,

Die euch heut' die Fahne weih'n,

Schwöret Alle sie zu wahren

Unverfälschet, treu und rein!


Frisch, wie aus dem Felsenmunde

Sich ein kühler Quell ergießet,

Die Ermatteten zu trösten

Durch versengte Thäler fließet,[101]

Also frisch zu jedem Werke,

Frisch zu jeder ächten That

Sei der Turner, doch vor allem,

Wo die Freiheit flehend naht.


Fromm, so heißt das Sprüchlein weiter,

Aber fromm nach rechter Weise,

Nicht ein Beter nur und Heuchler

In der Pharisäer Kreise,

Das Gesetz der Bruderliebe

Sei des Turners höchste Lehre –

Schaut euch um im deutschen Lande

Von den Alpen bis zum Meere,


Korn und Wein auf allen Fluren,

Eisen in der Berge Schachten,

Stolze Wälder, reiche Wiesen –

Und so viele doch, die schmachten!

Daß hinfort die deutsche Erde

Jedem ihren Segen spende,

Darum fromm zu jedem Opfer,

Das der Menschheit frommen könnte!


Fröhlich ist der Worte drittes,

Fröhlich seid vor allen Dingen,

Wo der volle Becher kreiset,

Wo sich muntre Paare schwingen[102]

Bei Gesang und heitern Scherzen.

Doch das starke Turnerherz

Trage willig, frohen Muthes

Auch des Lebens herbsten Schmerz.


Frei, so endet sich das Sprüchlein –

Und die Herzen hör' ich schlagen,

Und die Augen seh' ich flammend

Zu dem Adler aufgeschlagen!

Ein Gedanke stolz und kräftig

Jede deutsche Brust durchbebet,

Aecht und unverfälscht vor allem

In des Turners Seele lebet:


Daß hinfort aus deutscher Erde

Eine stolze Eiche steige,

Deren grüne Blätterkrone

Ueber alle Lande reiche,

Deren Stamm sich ungespalten

Heb' empor, ein freier Mann,

Weil die hohe, heil'ge Freiheit

Nur in Einheit wurzeln kann.


Bis dies hohe Ziel errungen,

Freier Turner, raste nimmer,

Sieh, durch dunkle Wetterwolken

Leuchtet hell der Zukunft Schimmer,[103]

Bis die deutsche Eiche grünet,

Bis im Staub die Feinde liegen,

Laßt zu jedem rechten Streite

Euch voran die Fahne fliegen!


Folgt ihr, wo es gilt zu schützen

Hof und Herd mit frohem Muthe,

Folgt ihr, wenn die junge Freiheit

Heischt von eurem bestem Blute:

Darum weiht euch diese Fahne

Eurer deutschen Schwestern Hand,

Sie auch fühlen, sie auch leben

Für's geliebte Vaterland!


Aber, wenn die Schlacht geschlagen,

Wenn sie steht, die stolze Eiche,

Hänget dann die treue Fahne

Auf an einem grünen Zweige,

Als ein Zeichen, daß die Deutung

Eures Spruchs erfüllet sei:

Daß nun jede deutsche Seele

Frisch und fröhlich, fromm und frei!

Quelle:
Luise Büchner: Frauenherz. Berlin 1862, S. 100-104.
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