Uber die Geißlung unsers Erlösers

[201] Unser Heyland steht gebunden,

Voller Striemen, voller Blut,

Und fühlt so viel neue Wunden,

Als der Büttel Streiche thut.

Seht, was seine Liebe kan!

Und wir dencken kaum daran,

Daß Er, wegen unsrer Schulden,

Dieses alles muß erdulden.


Da die Welt in Seide pranget,

Steht ihr König nackt und bloß,

Da Er anders nichts verlanget,

Als zu seines Vaters Schooß

Unser Führer einst zu seyn,

Lassen wir von eitlem Schein

Lieber, als von seinen Schlägen,

Unsern schnöden Sinn bewegen.


Lehre mich, O Heyl der Armen,

Jesu, deiner Streiche Werth,

Was dadurch für ein Erbarmen

Und für Trost mir wiederfährt;

Daß dein Blut, so von dir fleußt,

Ein bewehrter Balsam heißt,

Der die alte Sünden-Beulen

Kan mit einem Tropffen heilen.


Laß mich etwas mit empfinden

Wie dich deine Geissel schmertzt,

Wenn mein Hertz durch schwere Sünden,

Jesu, deine Gunst verschertzt.

Schone meines Rückens nicht,

Doch verbirg nicht dein Gesicht,

Wenn von meiner Straffe Ruthen

Gar zu sehr die Wunden bluten.
[202]

Wenn ich, nach dem alten Bunde

Und dem allgemeinen Schluß,

Endlich in der letzten Stunde

Mit dem Tode kämpffen muß,

Denn, O Herr, so zeige bald

Mir die tröstliche Gestalt,

Wie vom Scheitel biß zun Füssen,

Deine Purpur-Ströme fliessen.


Laß die Säule, die dich hielte,

Als dein Leib, von grosser Pein,

Keine Lebens-Kräffte fühlte,

Mir die Flammen-Säule seyn,

Die mich durch das todte Meer,

Und der Teufel finstres Heer,

Wenn ich soll mit ihnen streiten,

Mag biß in dein Reich begleiten.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 201-203.
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