Der ein und fünffzigste Psalm

[206] O Reicher Quell der Langmuth und Gedult,

Getreuer Gott, du Zuflucht aller Armen!

Beströme mich mit gütigem Erbarmen,

Und spühle weg den Unflath meiner Schuld.

Ich klage selbst mein böses Leben an,

Mich schrecken stets die Larven meiner Sünden,

Drum ist kein Mensch, der dirs verdencken kan,

Wenn du mich nicht wilst Gnade lassen finden.


Die Fehler, die mit meiner Eltern Blut,

Da ich gezeugt, zu meinen Adern flossen,

Die waren schon genug, mich zu verstossen.

Sieh' aber an dein Kind, das Busse thut,

Und dir noch mehr zu seiner Schmach bekennt:

Ich wuste wol die Wahrheit deiner Worte,

Doch hab' ich mich mit Fleiß von dir getrennt,

Und nicht gesucht den Weg zur Himmels-Pforte.


Ach wasche doch mich von dem Aussatz rein,

Treib aus den Gifft, erfrische mein Geblüte;

Entsünd'ge mich mit Isop deiner Güte,

So werd' ich weiß wie Schnee, in Unschuld, seyn.

Laß mein Gebein, das du zermalmet hast,

Sich wiederum mit mildem Trost erquicken,

Und mich einmahl, nach dieser schweren Last,

Nur einen Strahl von deiner Huld erblicken.


Ja pflantze gar in meiner matten Brust

Ein neues Hertz, das neue Regung fühlet,

Und nicht im Koth der alten Sünden wühlet,

Das dich, O Herr, nur sucht, sonst keine Lust;

Ein Hertz, das dir beständig treu verbleibt,

Das dich in sich, und sich in dir, kan schauen,

Worinn dein Geist, der uns zum guten treibt,

Sich ewiglich mag eine Wohnung bauen.
[207]

Steh du mir bey itzund und allezeit,

Lenck, wie du wilst, mein Tichten und Beginnen,

Entzünd' ein Licht in meinen trüben Sinnen,

Das einen Glantz der Freude von sich streut.

So will ich dann mit Worten und der That,

Herr, dein Gesetz die rohen Sünder lehren,

Und, was dein Arm an mir erwiesen hat,

Wird kräfftig seyn viel andre zu bekehren.


Vergiß nur erst die Blut-Schuld, die mich drückt,

So soll dein Lob in aller Welt erklingen;

Und, daß ich dir mag reines Opffer bringen,

So mache mich zu deinem Werck geschickt.

Halt mich zurück von allem eitlen Schein,

Daß mich nicht mehr kan schnöde Lust bewegen;

Laß meinen Mund dir so geheiligt seyn,

Daß er sich bloß zu deinem Dienst muß regen.


Wirst du mit Blut der Thiere hier versühnt?

So soll dir, Herr, das fettste meiner Heerden

Ein steter Dampff auf deinem Altar werden,

Doch nein; dir wird auf die Art nicht gedient.

Du wilst ein Hertz, das dich vernünfftig kennt;

Das, durch die Reu zerknirschet und zerschlagen,

Nur gegen dir in heisser Andacht brennt,

Und dir mit Furcht und Danck wird vorgetragen.


Mein König, halt dein Zion immer werth,

Nicht wieder auf und schütze selbst die Mauren

Jerusalems! das ewig möge dauren.

Der Ort, den man als deinen Sitz verehrt.

Denn werden wir in deinen Tempel gehn,

Und dein Gebot in Heiligkeit betrachten,

Denn wirst du auch, O Gott, uns nicht verschmähn,

Wenn wir zugleich ein leiblich Opffer schlachten.


Quelle:
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz, Kritische Ausgabe: Gedichte, Tübingen 1982, S. 206-208.
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