Idylle

[520] Möglichst treue Übersetzung aus der Tonga-Sprache


Mariner's Account of the Tonga-islands.


Second edition, with additions.


London 1818. V. II. Grammar


(Ohne Seitenzahl)


Müßig plaudernd von dem äußern Strande

Weilten wir und weilten, als daher kam

Uns auffodernd eine Schar von Mädchen:

Kommt, wir wandern nach dem äußern Strande,

Schaun von dort den Untergang der Sonne,

Lauschen dort dem Zwitschern von den Vögeln

Und der Klage von der wilden Taube.

Blumen wollen wir am Fuß der Klippen

Bei Matówto pflücken, und das Mahl dort,

Das von Óne man uns bringt, genießen;

In dem Meere schwimmen, in den süßen

Wasserbächen uns das Salz abspülen,

Dann mit duft'gem Sandelöl uns salben

Und zu Kränzen unsre Blumen flechten.

Wann vom Scheitelpunkt der Vogelhöhle

Atemlos wir in die Tiefe starren,

Und des Meeres Fernen überschauen;

Weht zu uns, den Träumen hingegebnen,

Von der Ebne her der mächt'ge Landwind

Durch die Wipfel schlanker Kasuarinen;[520]

Und betrachtend, wie die Brandung unten,

An den festen Fuß des Felsen schlagend,

Sich unsinnig müht ihn durchzubrechen,

Fühlen wir uns das Gemüt erweitert;

Wohler wird uns also, denn beharrend

In des Lebens niederm Kreis befangen.


Spät wird's, laßt zur Stadt zurück uns kehren. –

Horcht! der Sänger Stimme schallt herüber;

Mögen wohl zum Fackeltanz sich üben,

Ihn zu Nacht beim Grabplatz von Tanéa

Aufzuführen. Laßt dahin uns wandern.


O der Tage müssen wir gedenken,

Eh der Krieg das arme Land zerrissen!

Wehe! furchtbar ist der Krieg; o sehet

Das Gesträuch auf unsern Marken wuchernd,

Und die frühen Gräber vieler Helden!

Unsre Fürsten irren ohne Wohnsitz,

Schleichen nicht mehr einsam bei dem Mondlicht,

Das geliebte Mädchen aufzusuchen.

Eitles Sinnen! Lasset ab zu grübeln,

Wütet doch der Krieg auf unsern Inseln;

Die von Fiji haben uns, von Tónga,

Krieg gelehrt; nun heischt's, wie sie zu handeln.

Lasset uns des flücht'gen Tags genießen,

Gilt's vielleicht doch morgen schon zu sterben!

Wollen uns mit Blumenkränzen schmücken

Und mit bunten Zeugen uns umgürten;

Wollen duft'ge Blumen um die Stirne,

Aber weiße um den Hals uns winden,

Unsre Bräune lieblich zu erhöhen.

Hört die Männer, hört, wie sie uns preisen!


Aber schon der Fackeltanz vollendet,

Und bereits umhergereicht das Festmahl.

Morgen kehren wir zur Stadt zurücke.


Nicht begehren unsrer wohl die Männer?

Bitten dringend nicht um unsre Kränze?

So mit Schmeichelreden uns erhebend:[521]

Nicht wohl sind ausnehmend schön zu nennen

Unsre Mädchen von dem äußern Strande?!

Nicht wohl reizend ihre Sonnenbräune?!

Duftverbreitend, wie die blumenreichen

Schluchten Máta-lóco's und Vi-búa's!

Uns verlangt es nach dem äußern Strande,

Laßt am nächsten Morgen uns dahin gehn.


Anmerkungen


V. 1.4. 59. 63. Der äußere Strand. Licoo, der Rücken der Insel, die windwärts gelegene, den Schiffen unzugängliche Küste im Gegensatz zu der Küste unter dem Winde, wo die Landungsplätze und die Wohnungen der Menschen sind. Auf den niedern, sogenannten Korallen-Inseln und Inselgruppen: der Strand am äußern Meere, Illüch der Karoliner, Iligieth der Radacker, im Gegensatz zu dem Strande am Binnenwasser, Ïar der Radacker. Vergleiche meine Schriften Tl. 2. S. 109 u. 206 u. ff.

V. 3.59. Mädchen. Fafine. Frauen im weitern Sinne, und hier solche, die dem Manne noch nicht untertan sind.

V. 13. Sandelöl. Fango nanomoo. Das wohlriechende Öl von Tónga wird aus dem Sandelholz gewonnen.

V. 27.54. Die Stadt. Mooa. Unbedenklich die Hauptstadt, die Stadt, urbs, το αστυ, obgleich ohne Mauern und aus Strohhäusern bestehend.

V. 37. Fürsten. Egi, ho-egi. Edle, Fürsten, und zwar durch göttliches Recht und ohne Anfechtung. Wo der Adel, wie bei uns, erworben und verwirkt werden kann, ist er kein Adel mehr.

V. 42. Wie im Verkehr mit den kriegerischen Bewohnern der Fiji-Inseln die Insulaner von Tónga sich deren Sitten angeeignet, siehe bei Mariner.

V. 44. Carpe diem. Hor. Und die also dichten und singen, werden meist von unsern Schriftgelehrten, ja von unsern Reisenden »Wilde« genannt! Ein Sprachgebrauch, dem ich mich nicht fügen kann.

Quelle:
Adalbert von Chamisso: Sämtliche Werke. Band 1, München [1975], S. 520-522.
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