Der Prolog des Müllers.

[104] Vers 3111–3186.


Als so der Ritter den Bericht geendet,

Ward der Erzählung Beifall rings gespendet.

Schön sei und werth der Rückerinnerung,

Was vorgetragen – sprachen Alt und Jung,

Besonders aber alle feinern Herr'n;

Und lachend schwur der Wirth: »So hab' ich's gern!«

Das lob' ich mir; der Sack ist aufgethan!

Laßt sehn, wer kommt als Folgender daran?

Das Spiel ist gut begonnen, das gesteh' ich!

Kommt her, Herr Mönch, und seid Ihr dazu fähig,

Macht's der Erzählung unsres Ritters gleich.


Der Müller, der, vor Trunkenheit ganz bleich,

Auf seinem Gaule turkelnd hing im Sitze,

Zog nicht den Hut und rückte nicht die Mütze,

Denn höflich gegen irgend wen war nie er.

Mit einer Stimme, wie Pilatus, schrie er

Und schwur bei Armen und bei Blut und Bein:

»Die herrlichste Geschichte fällt mir ein,

Durch welche die des Ritters übertroffen!«


Der Gastwirth sah, daß er in Bier besoffen

Und sprach: »Mein lieber Robert, laß es sein![105]

Räum' einem Besseren den Vorrang ein,

Hör' auf, und halte Frieden jetzt und Ruh'!«


Er aber sprach: »Gott straf' mich, wenn ich's thu'!

Laß mich erzählen, oder ich geh' fort!«


»Zum Teufel,« – sprach der Wirth – »behalt' das Wort!

Du bist ein Narr und hirnverwirrt im Rausche!«


»Nun« – sprach der Müller – »All' und Jeder lausche!

Jedoch zunächst erklär' ich Euch ganz offen,

– Die Stimme sagt es mir – ich bin besoffen,

Und sollt' ich mich versprechen und mißsagen,

Das Bier von Southwark bitt' ich anzuklagen.


Zum Besten laßt Legende mich und Leben

Vom Zimmermann und seinem Weibe geben,

Dem ein Scholar zurecht gerückt die Kappe.«


Der Landverwalter rief: »Schließ' Deine Klappe!

Laß die besoff'ne, garst'ge Zoterei!

Denn sündhaft ist's und große Narrenthei,

Jemanden zu beschimpfen und zu kränken

Und üblen Nachruf auf die Frau'n zu lenken.

Dir bleibt genug von Anderm zu erzählen!«


An Antwort ließ der Müller es nicht fehlen

Und sprach: »Nun, Oswald, lieber Bruder mein!

Wer keine Frau hat, kann kein Hahnrei sein!

Doch sag' ich nicht, so sei's mit Dir bestellt!

Viel gute Weiber leben auf der Welt.

Was nimmst an meinem Wort Du Aergerniß?

Ich hab' ein Weib, so gut wie Du, gewiß;

Jedoch für meine Stiere vor dem Pflug

Nähm' ich auf mich nicht mehr, als was genug,[106]

Und denke von mir selbst nicht, ich sei einer,

Viel lieber will ich glauben, ich sei keiner.

Denn spürt ein Ehemann nicht zu genau

In Gottes Heimlichkeit und die der Frau,

Wird ihm auch Gottes Ueberfluß nie fehlen,

Und um den Rest braucht er sich nicht zu quälen.«


Der Müller wollte – um mich kurz zu fassen –

In seinen Worten sich nicht meistern lassen,

Und er erzählte seine Schandgeschichte,

Die ich Euch nunmehr wortgetreu berichte.

Indessen bitt' ich, nehm' kein Ehrenmann

– Um Gotteswillen – Aergerniß daran.

Was Jeder vorgetragen, muß ich eben,

Ob's gut, ob's schlecht, getreulich wiedergeben,

Will ich den Inhalt nicht zu sehr verkehren.


Drum, wer nicht Lust hat, weiter zuzuhören,

Schlag' um das Blatt und treffe seine Wahl;

Denn kurz und lang sind hier in großer Zahl

Auch ehrbare Geschichten vorerzählt,

Worin Moral und Heiligkeit nicht fehlt.

Und greift Ihr fehl, legt es nicht mir zur Last!

Ihr wißt, der Müller war ein schlimmer Gast

Wie der Verwalter und manch' Andre leider,

Und zotenhaft sind die Geschichten Beider.

Ihr seid gewarnt, daher müßt Ihr nicht schelten;

Was nur ein Spaß ist, darf als Ernst nicht gelten.

Quelle:
Chaucer, Geoffrey: Canterbury-Erzählungen, in: Geoffrey Chaucers Werke, Straßburg 1886, Band 2, S. 104-107.
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