|
[130] Vers 3853–3918.
Nachdem das Volk belacht den lust'gen Spaß
Vom Absalon und flinken Nikolas,
Gab's zwar verschiedne Meinung bei den Leuten,
Obschon die Meisten lachten und sich freuten;
Und wohl gefiel im Ganzen der Bericht;
Nur einzig Oswald, dem Verwalter, nicht,
Dem etwas Groll im Herzen sitzen blieb,
Dieweil er selbst das Zimmerhandwerk trieb.
Und er begann zu tadeln und zu schelten:
»Mit einem Müller könnt' ich Dir's vergelten,
Den man trotz seines Hochmuths hintergangen,
Trüg' ich nach liederlichem Zeug Verlangen.
Zu alt bin ich, um mitzuthun, indessen,
Graszeit ist hin, und Heu ist jetzt mein Fressen.
Dies weiße Haupt spricht laut von meinen Jahren,
Und mit dem Herzen steht's wie mit den Haaren.
Doch, wie die Mispel hat die Eigenart,
Daß sie erst schmeckt, wenn man sie aufbewahrt
Und faulen läßt in Dünger oder Stroh,
Geht es uns Alten, fürcht' ich, ebenso.
Bevor wir faul sind, sind wir nicht gereift,
Wir tanzen stets, so lang' die Welt uns pfeift.
Der Lust ist nie der Prickel auszuziehn;[131]
Der Kopf wird weiß, doch bleibt der Stengel grün
Wie bei dem Lauch. – Ist uns die Kraft vergangen,
Vergeht doch nicht das Wollen und Verlangen.
Fehlt uns das Können, greifen wir zum Wort,
Denn in der Asche glüht das Feuer fort;
Es glimmen nämlich von den Funken vier,
Prahlsucht und Zorn und Lügen und Begier,
Bis in das Greisenalter noch beständig,
Und machen unsre Glieder gar unbändig,
Und werden, meiner Treu, auch nicht erkalten.
So hab' auch ich den Füllenzahn behalten.
Seit langen Jahren ist mein Lebensfaß
Schon angezapft und abwärts fließt das Naß.
Als ich geboren, schlug bereits Freund Hein
Das Spundloch auf und stieß den Zapfen ein.
Rasch rann der Strom des Lebens stets seither,
Daß nahezu mein ganzes Faß schon leer,
Es tropft und sickert nur mehr von den Dauben.
Die dumme Zunge nur kann sich erlauben,
Von Jugendsünden, die uns einst erfreuten,
Kindisch zu schwätzen, bei uns alten Leuten.«
Als unser Wirth ersah, daß der Sermon
Zu Ende war, sprach er im Herrscherton:
»Was ist der langen Rede Zweck gewesen?
Willst Du den ganzen Tag die Bibel lesen?
Der Teufel macht Verwalter zu Pastoren
Und Schuhflicker zu Schiffern und Doctoren!
Erzähle frisch und zögre nicht und stocke!
Dort ist schon Deptford und halb acht die Glocke!
Dort Greewich, wo manch böses Volk zu Haus!
Daß Du beginnst, erheischt die Zeit durchaus.«[132]
»Nun, Herren!« – der Verwalter Oswald sprach –
»Ich bitt' Euch alle, tragt es mir nicht nach,
Wenn ich den Hut zurecht ihm etwas setze.
Für Hiebe, Hiebe – so steht's im Gesetze!«
Vom trunknen Müller uns gemeldet ward,
Wie einen Zimmermeister man genarrt;
Aus Spott wohl, denn ein solcher bin ich eben.
Doch, mit Verlaub, ich will's ihm wiedergeben
Und grade wie der Flegel will ich sprechen!
Mög' er – Gott geb' es! – seinen Nacken brechen!
Nach Splittern will in meinem Aug' er spähn,
Und kann den Balken nicht im eignen sehn!
Ausgewählte Ausgaben von
Canterbury-Erzählungen
|
Buchempfehlung
Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro