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[114] Vers 13607–14494.
Im Britenland, Armorika genannt,
War einst ein Ritter, der, in Lieb' entbrannt
Für eine Dame, treu und dienstbereit
Gar manche Arbeit, manche Fährlichkeit
Um sie bestand, bevor er sie errang.
Denn da aus edlem Hause sie entsprang,
Und zu den schönsten Frau'n auf Erden zählte,
Es ihm aus Furcht an der Entschließung fehlte,
Ihr seinen Kummer, seine Noth zu klagen;
Bis sie zuletzt sein würdiges Betragen,
Sein sanfter Sinn und sein ergeb'ner Wille
So innig rührte, daß sie ihre stille
Gewogenheit ihm länger nicht verhehlte,
Und ihm zum Gatten und zum Herrn erwählte
– Soweit die Männer ihrer Weiber Herrn. –
Der Ritter aber schwur von Herzen gern,
Um möglichst segensreich mit ihr zu leben,
Sich seiner Herrschaft gänzlich zu begeben,
Ihr Tag und Nacht gehorsam stets zu sein,
Ihr niemals Grund zur Eifersucht zu leih'n,[115]
Und ihr zu folgen willig und geduldig,
Wie ein Verliebter seiner Dame schuldig,
Wenn er nur vor der Welt, wie sich's gebühre,
Dem Namen nach die Oberherrschaft führe.
Und, sich bedankend, sprach sie demuthsvoll:
»Herr! wenn ich solchen Antheil haben soll
Am Regiment durch Deine Gunst und Huld,
So soll auch Krieg und Streit durch meine Schuld
– Wenn's Gott gefällt – uns nimmerdar entzwein.
Ich schwöre Dir, ein folgsam Weib zu sein,
So lange, wie zu athmen mir beschieden!«
Und Beide lebten ruhig und in Frieden.
Genossenschaft – das bleibt stets wahr, ihr Herr'n! –
Besteht nur unter Freunden, insofern
Sich Einer weiß dem Andern anzupassen.
Es will die Liebe sich nicht meistern lassen.
Sobald der Liebesgott den Zwingherrn sieht,
Regt er die Schwingen, sagt Ade, und flieht.
Ein freies Ding ist Liebe, wie der Geist;
Und ihre Freiheit liebt das Weib zumeist.
Doch Zwang und Knechtschaft sind ihr höchst verhaßt,
Wie dieses – denk' ich – auch auf Männer paßt.
Wer in der Liebe nur Geduld behält,
Der hat den größten Vortheil von der Welt.
Als höchste Tugend ist Geduld zu preisen,
Denn sie bezwingt – so sagen uns die Weisen –
Was unbesiegbar selbst der Strenge gilt.
Es ist nicht gut, wenn man stets schimpft und schilt.
Zu dulden lernet! – Denn, auf Seligkeit!
Gern oder ungern müßt ihr's mit der Zeit.
Es hat kein Mensch auf Erden je gewandelt,[116]
Der unrecht nicht gesprochen und gehandelt.
Wein, Zorn, Konstellationen, Krankheit, Leid
Und Wechsel der Gemüthsbeschaffenheit
Veranlaßt Manchen, lästerlich zu sprechen;
Doch jedes Unrecht darf der Mensch nicht rächen,
Und mit der Zeit lernt Mäßigung der Mann,
Der sich bezwingen und beherrschen kann.
Weßhalb zum eignen Besten der erprobte
Und weise Ritter ihr Geduld gelobte.
Sie aber schwur, er sollte keinen Flecken
An ihr für nun und nimmermehr entdecken.
Seht! solch ein Demuthsbund ist weisheitsreich.
Sie kor zum Knecht ihn und zum Herrn zugleich,
Zum Knecht der Liebe und zum Herrn im Haus.
Wie? schließt denn Knechtschaft nicht die Herrschaft aus?
Knechtschaft? – O, nein! nur Herrschaft ist gemeint,
Wenn Liebe mit der Ehe sich vereint;
War doch nach Liebeswahl und Recht und Brauch
Die Herzgeliebte für ihn Gattin auch.
Als ihm zu Theil geworden war dies Glück,
Nahm er sein Weib mit in sein Land zurück,
Wo unweit Penmark sein Besitz gelegen,
Und lebte dort in Fröhlichkeit und Segen.
Beschreiben kann uns nur, wer selbst vereh'licht,
Die Lust, das Glück, die Ruhe, die beseeligt
So Mann als Weib im heil'gen Ehestand.
Mehr als ein Jahr vergnügt vorüber schwand,
Bis der erwähnte Ritter dieser Dame
– Arviragus von Cairud war sein Name –
Nach England zog, dem Reiche der Bretonen,
Daselbst ein Jahr lang oder zwei zu wohnen,[117]
Um Waffenruhm und Ehre zu gewinnen;
Denn solche Arbeit war sein stetes Sinnen.
Zwei Jahre blieb er – wie mein Buch sagt – dort.
Nun wendet von Arviragus mein Wort
Sich hin zu seinem Weibe Dorigene;
Sie schickte manchen Seufzer, manche Thräne
Dem heißgeliebten, fernen Gatten nach
– Wie solches stets ein edles Weib vermag. –
Sie trauert, fastet, jammert, wacht und klagt,
Von Sehnsucht und Verzweiflung so geplagt,
Daß ihr das ganze Weltall war zuwider.
Die Freunde sahen, wie der Schmerz sie nieder
Zu drücken schien, und sprachen Tag und Nacht
Ihr tröstend zu nach bester Kraft und Macht,
Sich grundlos nicht bis auf den Tod zu quälen.
Sie ließen es an keinem Troste fehlen,
Indem sie Alles thaten und ersannen,
Was passend schien, die Schwermuth zu verbannen.
Nur nach und nach – das weiß man allgemein –
Gelingt durch lange Arbeit es, dem Stein
Figuren oder Zeichen einzugraben.
Wie manchen Trost sie ihr daher auch gaben,
Es währte lange, bis er Eindruck machte,
Und Hoffnung und Vernunft so weit erwachte,
Daß sie sich ihrer Sorgen mehr entschlug
Und minder wild und aufgeregt betrug.
Doch hätte nicht Arviragus daneben
Ihr Kunde seines Wohlergehns gegeben
Und brieflich rasche Rückkehr ihr versprochen,
So hätte Kummer ihr das Herz gebrochen.[118]
Die Freunde sahen ihre Sorgen flieh'n,
Und baten sie, bei Gott, auf ihren Knie'n,
Durch Lust und Spiel mit ihnen im Verein
Sich von den düstern Grillen zu befrei'n.
So fügte sie, da man ihr unbestritten
Zum Besten rieth, sich endlich ihren Bitten.
Da nun ihr Schloß nicht weit vom Meere stand,
Ging sie mit ihren Freunden oft zum Strand
Und schaute von dem hohen Felsenriffe
Hinab und sah die Barken und die Schiffe,
Bald hier- bald dorthin durch die Fluthen steuern.
Doch schien es ihre Schmerzen zu erneuern,
Denn zu sich selber sprach sie oft: »O, weh!
Bringt keines von den Schiffen, die ich seh',
Mir meinen Herrn zurück, damit mein Herz
Genesung finde von dem bittern Schmerz?«
Oft in Gedanken blickte sie dann wieder
Vom steilen Ufer in die Tiefe nieder
Zur grauenhaften, schwarzen Felsenwand;
Bis sie, von Furcht und Schauer übermannt,
Nicht mehr der Kraft der eignen Füße traute.
Dann, in das Gras sich niedersetzend, schaute
Sie voller Jammer auf das Meer hinaus
Und brach erseufzend in die Worte aus:
»Allew'ger Gott! der Du mit Vorbedacht
Die Welten lenkst durch Deines Willens Macht,
Nichts Eitles – sagt man – schufen Deine Hände.
Doch diese grausig schwarzen Felsenwände
Sind die Gebilde der Verwirrung nur;
Kein schönes Werk, an welchem wir die Spur[119]
Von Deiner weisen Schöpferhand gewahren.
Wie konntest Du so unbedacht verfahren?
Denn keine Nahrung finden Mensch und Thier
In Süd und Nord, in Ost und Westen hier.
Sieh, lieber Herr! es nützt zu Nichts: fürwahr,
Es bringt den Menschen Tod nur und Gefahr;
Denn sicher fielen hunderttausend Leute
Den unverständ'gen Felsen schon zur Beute.
Doch ist der Mensch der Schöpfung höchste Zier;
Du schufst ihn ja als Ebenbild von Dir;
Und da die Menschen Du nach allem Schein
So innig liebst, wie kann es möglich sein,
Daß Mittel der Zerstörung Du erdacht,
Die Gutes nimmer, Schaden stets gebracht.
Daß alle Sachen nur zum Besten dienen,
Beweisen die Gelehrten. – Aber ihnen
Will ich das Disputiren überlassen.
Ich kann es nicht begreifen und erfassen.
Mein Schluß ist nur: Gott, welchem Wind und Wetter
Gehorchen muß, sei meines Herrn Erretter!
O, möchte Gott die schwarzen Felsenmassen
Zur Höllentiefe niedersinken lassen,
Die stets mit Angst um ihn mein Herz beschweren!«
– So sprach sie unter jammervollen Zähren.
Die Freunde sahen, daß am Meeresstrand
Sie nur Verdruß anstatt Vergnügen fand.
Drum wählten sie zum Spielplatz andre Stellen.
Sie führten sie zu Flüssen und zu Quellen,
Und suchten sie an andern schönen Plätzen
Durch Tanz und Schach und Brettspiel zu ergötzen.[120]
Einst gingen sie mit Tagesanbeginn
Zu einem nah geleg'nen Garten hin,
Zu welchem Lebensmittel und Proviant
Mit weiser Vorsicht sie vorausgesandt,
Und spielten dort, bis niedersank die Sonne.
Der sechste Tag war's in dem Mond der Wonne,
Es hatte Mai durch sanfte Regenwetter
Frisch aufgemalt die Blumen und die Blätter
Im ganzen Garten, der durch Kunst und Kraft
Der Menschenhand so schön und zauberhaft
Geschaffen war, das nur dem Paradies
Er sich an Pracht allein vergleichen ließ.
Der Blüthen Duft, der Blumen reicher Flor
Rief Munterkeit und heit'ren Sinn hervor
In jeder erdgebor'nen Brust, der Gram
Und Krankheit die Empfindung nicht benahm;
So voller Schönheit war er, voller Frische.
Gesang und Tanz begann sogleich nach Tische;
Doch theilnahmlos stand Dorigene da,
Erseufzend, klagend, denn ihr Auge sah
Nicht den als Tänzer in der Männerschaar,
Der ihr Gemahl und Herzgeliebter war.
Indessen faßte sie sich nach und nach,
Die Sorge schwand und Hoffnung wurde wach.
Vor ihr schwang unter andern sich im Tanz
Ein Junker, der an jugendfrischem Glanz
Und schmuckem Anzug – meiner Meinung nach –
Weit heller strahlte als der Maientag.
Es sang und tanzte nimmer wohl ein Mann
So schön wie er, seitdem die Welt begann.[121]
Auch war er – will man eine Schilderung
Von ihm entwerfen – weise, stark und jung,
Vom Glück begünstigt tugendhaft und reich
Und wohlbeliebt und hochgeehrt zugleich.
Die Wahrheit zu gesteh'n, war überdies
Der lust'ge Junker, der Aurelius hieß,
Der Venus Diener, und verliebt war er
Seit langer Zeit in Dorigene mehr
Als in sonst irgendwelche Frau; doch wußte
Sie nichts von seiner Neigung, und so mußte
Er, ohne seine Noth gesteh'n zu dürfen,
Den Trank der Wehmuth ohne Becher schlürfen.
Dies trieb ihn zur Verzweiflung, denn sein Leiden
Vermocht' in Liedern er allein zu kleiden
Als allgemeine Klage, daß er liebe,
Doch seine Neigung unerwidert bliebe.
Hierüber schrieb er manche Laiche nieder,
Rondeau's und Klagen, Virelais und Lieder:
Er dürfe nimmer seine Sorge nennen,
Er müsse schmachtend in der Hölle brennen,
Ihm bringe noch, wie Echo um Narciß,
Verschmähte Liebe seinen Tod gewiß!
Nur so verblümt, wie hier erzählt, gestand
Er ihr die Leiden, die sein Herz empfand;
Obschon er sich nach junger Leute Brauch,
Die Freiheit nahm, in Tanz bisweilen auch
Mit solchen Blicken auf sie hinzuseh'n,
Wie Männer thun, die um Erhörung fleh'n.
Indeß sein Zweck blieb ihr ganz unverständlich.
Doch, eh' das Fest vorbei war, führt' ihn endlich
Des Zufalls Gunst in ihre Nachbarschaft,
Und da sie ihn als brav und tugendhaft[122]
Seit langen Jahren kannte, so begann
Sie ein Gespräch mit ihm, in welchem dann
Aurelius, seinem Ziele nach und nach
Stets näher rückend, diese Worte sprach:
»Madam« – rief er – »beim Schöpfer dieser Welt!
Wär' all Dein Leiden dadurch abgestellt,
So hätte sich für Dich Aurelius
An jenem Tage, als Arviragus
Das Meer durchschiffte, gern den Tod gegeben!
Ich weiß zu wohl, umsonst ist mein Bestreben,
Mein einz'ger Lohn – ist ein gebroch'nes Herz!
Laß, edle Frau, Dich rühren meinen Schmerz!
Ein Wort von Dir vernichtet oder rettet.
Ach! wollte Gott, ich läg' vor Dir gebettet
In meinem Grab! Nicht weiter kann ich sprechen,
Hab' Mitleid, Süße, soll mein Herz nicht brechen.«
Sie blickte nieder auf Aurelius
Und frug: »Ist das Dein Wille und Entschluß?
Zuerst, Aurelius, konnt' ich's nicht verstehn,
Doch jetzt« – sprach sie – »beginn' ich's einzuseh'n.
Indeß – bei Gott, dem Herrn von Seel' und Leib! –
Ich werde nie als ungetreues Weib
In Worten oder Werken mich erzeigen,
Und dem ich mich verbunden, bleib' ich eigen.
Betrachte dies als letzte Antwort Du!«
Indessen scherzend fügte sie hinzu
Und sprach: »Aurelius! – bei dem Herrgott droben! –
Ich will Dir dennoch Liebe zugeloben,
Weil Du so flehentlich darnach begehrt hast.
Sieh'! an dem Tag, an dem Du weggekehrt hast
Aus der Bretagne alle Felsenriffe[123]
So gründlich Stein um Stein, daß keine Schiffe
Daselbst mehr scheitern, und die Küste rein
Von allen Klippen ist und jedem Stein,
Will ich Dich mehr als jede Kreatur
Auf Erden lieben! – Dieses ist mein Schwur.
Denn das wird – weiß ich sicher – nie geschehen.
Laß solche Thorheit aus dem Sinn Dir gehen.
Weßwegen reizt Euch Männer nur ein Weib,
Das einen Gatten hat, der ihren Leib
Genossen hat, so oft es ihm behagte?«
Schwer seufzte nun Aurelius und fragte:
»Bleibt denn kein einz'ger Hoffnungsschimmer mein?«
Sie sprach: »Bei Gott, der mich erschaffen! – Nein!«
Sobald Aurelius dieses Wort vernahm,
Sprach er zu ihr in seinem Herzensgram:
»Madam! durch solch' unmögliches Gebot
Treibt ihr mich jählings in den grausen Tod!«
Und mit den Worten ging er von ihr fort.
Bald kehrten Freunde, welche – hier und dort
Zerstreut im Garten – dieser letzten Scene
Nicht beigewohnt, zurück zu Dorigene;
Und rasch begann von Neuem Spiel und Tanz.
Und als erloschen war der Sonne Glanz,
Die längst sich hinterm Horizont verkrochen,
Das heißt, nachdem die Nacht hereingebrochen,
Ging froh und heiter Jedermann nach Haus.
Jedoch Aurelius nehm' ich davon aus,
Der heimwärts zog mit sorgenvollen Sinnen.
Er hoffte kaum, dem Tode zu entrinnen,[124]
Ihm zu erkalten schien bereits das Herz,
Und seine Hände hob er himmelwärts,
Und warf in wilder Fieberphantasie
Sich zum Gebete nieder auf die Knie.
Vom Weh' getrübt war des Verstandes Licht,
Und was er sagte, wußt' er selber nicht;
Doch sprach er so, und klagte jammervoll
Sein Leid der Göttin und zunächst Apoll:
»Du Gott der Sonne!« rief er – »Reichsverweser
Der Pflanzen, Bäume, Blumen und der Gräser,
Der allen, nach dem Standpunkt, den du nimmst,
Die Dauer und die Blüthezeit bestimmst,
Bald hoch, bald niedrig Deine Herberg' wählend.
Auf mich, Aurelius, wirf in meinem Elend,
Dein Gnadenauge! Sonst bin ich verloren!
Mein Liebchen, Herr! hat mir den Tod geschworen!
Drum zeige Du, da jeder Schuld ich ledig,
Dich meinem todeskranken Herzen gnädig!
Denn wahrlich, Phöbus, sie nur ausgenommen –
Kann Deine Hülfe mir am Besten frommen.
Drum nimm in Gnaden meinen Rathschlag an,
Wodurch und wie mir Rettung werden kann.
Lucina, deine Schwester, diese hehre
Und segensreiche Königin der Meere,
Die – ob Neptun darüber zwar regiert –
Als Obergöttin doch den Scepter führt,
Beseelt – wie Du es weißt – das heiße Streben,
Durch Deine Gluth zu leuchten und zu leben;
Drum folget sie beständig Deiner Spur.
Und so bestrebt das Meer sich von Natur
Der Göttin nachzufolgen, die zumal
Das Meer beherrscht, wie Flüsse breit und schmal.[125]
Darum, Herr Phöbus! lautet so mein Flehen:
Thu' dieses Wunder, sonst muß ich vergehen!
Wenn Ihr Geschwister Euch in nächster Zeit
Im Bild des Löwen gegenüber seid,
So mache, daß sie eine Hochfluth bringe,
Die mindestens fünf Faden überspringe
Bretagnens allerhöchste Felsenwände,
Und nicht vor Ablauf von zwei Jahren ende.
Dann darf ich sprechen: ›Halte mir Dein Wort,
Verehrte Frau! – Die Felsen sind jetzt fort!‹
Für mich, Herr Phöbus, dieses Wunder thu'!
Heiß' sie nicht schnellern Laufs zu geh'n, als Du!
Ich sage dieses: Deine Schwester bitte,
Mit Dir zwei Jahre lang in gleichem Schritte
Zu bleiben. Dann wird steter Vollmondschein
Und Tag und Nacht beständig Springfluth sein.
Doch will sie nicht in dieser Art gewähren,
Mir meine theure Herrin zu bescheeren,
So bitte sie, jedwede Felsenwand
Hinab zu senken in ihr dunkles Land.
Tief in die Erde, dort, wo Pluto wohnt,
Da mich sonst nimmer ihre Liebe lohnt!
Barfuß nach Delphi will ich, Phöbus wallen
Zu Deinem Tempel! – Von den Wangen fallen,
Sieh', meine Zähren – und erbarme Dich!«
Mit diesem Worte sank er jämmerlich
In Ohnmacht nieder, und lag lange Zeit,
Bis ihn sein Bruder, dem sein Herzeleid
Bekannt war, aufhob und zu Bette trug.
Hier lag der Aermste jammervoll genug,[126]
Und mag – statt meiner – nun in seiner Noth
Selbst wählen zwischen Leben oder Tod.
Arviragus, des Ritterstandes Blume,
War heilen Leibes unter großem Ruhme
Mit würd'gen Mannen wieder heimgekehrt.
Welch' Glück ist, Dorigene, Dir bescheert,
Da Dir im Arme wieder wohlgemuth
Dein frischer Ritter, Held und Gatte ruht,
Der Dich mehr lieb hat, als sein eig'nes Leben!
Sich grillenhaftem Argwohn hinzugeben,
Ob zu ihr Jemand während seiner Reise
Von Liebe sprach, lag nicht in seiner Weise;
Er plagte sich mit solchen Grillen nicht.
Er denkt nur an Vergnügen, tanzt und ficht.
Und so verlass' ich ihn in Lust und Glück,
Und kehre zu Aurelius zurück.
Sehnsüchtig, elend und gequält, litt schwer
Aurelius zwei Jahre lang und mehr,
Bevor den Fuß er auf den Boden setzte.
Kein andrer Trost in dieser Zeit ihn letzte,
Als solcher Zuspruch, welchen der gelehrte,
Vertraute Bruder seinem Leid gewährte.
Denn sicherlich mit keiner Kreatur
Sprach er ein Wörtchen von der Sache nur.
Verschlossen trug im Busen er sein Weh,
Wie Pamphilus für seine Galathee.
Von Außen freilich schien die Brust zwar heil,
Doch tief im Herzen stak der scharfe Pfeil;[127]
Und in der Heilkunst – das ist Jedem klar –
Sind inn're Wunden immer von Gefahr,
Wenn an den Pfeil man nicht gelangen kann.
Wehklagend sah's der Bruder heimlich an,
Bis es zuletzt in ihm begann zu tagen;
Und wie die jungen Schüler darnach jagen,
In allen Winkeln und in allen Ecken
Von fremden Künsten etwas zu entdecken,
Was wunderbar erscheinet und belangreich,
So fiel ihm ein, daß er ein Buch in Frankreich
Zu Orleans sah, wo er sein Studium trieb,
Das die natürliche Magie beschrieb;
Denn heimlich hatte dies sein Kamerad
– Zu jener Zeit ein Rechtsbaccalaureat –
Obschon es in sein Fach nicht schlug, besessen
Und eines Tags auf seinem Pult vergessen.
Viel stand im Buch von den Operationen
Der achtundzwanzigfachen Mondmansionen
Und andre Thorheit; doch was drin gelehrt,
Ist heute kaum noch eine Fliege werth;
Denn uns zu schützen weiß vor Illusion
Die heil'ge Kirche durch den Glauben schon.
Und als er dieses Buches sich entsann,
Fing froh das Herz in ihm zu hüpfen an,
Und zu sich selber sprach er still: »Ich heile
Jetzt meinen Bruder in ganz kurzer Weile.
Denn Wissenschaften giebt es – das steht fest –
Durch die sich manches Wunder machen läßt,
Wie's jene Taschenspieler schlau verstehen.
Man hat an Festen – hört' ich – oft gesehen,[128]
Wie sich ein großer Saal auf ihr Gebot
Mit Wasser füllte, auf dem dann ein Boot
In jener Halle kam einher geschwommen.
Bald sah man einen grimmen Löwen kommen,
Bald Blumen, wie sie auf den Wiesen prangen,
Bald roth und weiß am Weinstock Trauben hangen,
Und bald aus Kalk und Steinen ein Kastell;
Und auf Geheiß schwand Alles wieder schnell.
So trug sich's zu nach allem Augenschein.
Drum sollte – schließ' ich – aufzufinden sein
In Orleans ein alter Mitstudent,
Der die natürliche Magie noch kennt
Und noch vertraut ist mit den Mondmansionen,
Soll Gegenliebe meinen Bruder lohnen!
Denn wohl mag ein Gelehrter es versteh'n,
Daß durch ein Trugbild scheinbar untergeh'n
Auch der Bretagne schwarze Felsenriffe
Und ab und zu am Ufer zieh'n die Schiffe.
Und währt der Spuk nur einen Tag bis zwei,
Sind meines Bruders Schmerzen auch vorbei,
Dann muß sie halten, was sie ihm versprach,
Und thut sie's nicht, so trifft sie Schimpf und Schmach.«
Was soll ich davon sprechen breit und lang?
Zum Bett des Bruders lenkt' er rasch den Gang
Und gab ihm solchen guten Trost und Rath,
Nach Orleans zu geh'n, daß in der That
Sein Bruder aufsprang und sofort von dannen
Voll Hoffnung zog, die Schwermuth zu verbannen.
Und als sie auf Entfernung von vielleicht
Ein bis zwei Stunden jene Stadt erreicht,
Sprach, höflich grüßend, sie ein junger Mann,
Der dort spazierte, auf Lateinisch an[129]
Und redete verwunderlicher Weise:
»Ich kenne schon den Grund von Eurer Reise.«
Und theilte drüber, eh' nur einen Schritt
Sie weiter gingen, ihnen Alles mit.
Nun stellte der Bretone manche Frage,
Betreffend die Bekannten alter Tage.
Doch ihm ins Auge manche Thräne kam,
Als er von Allen nur den Tod vernahm.
Von seinem Pferde sprang Aurelius dann
Und schleunig führte sie der Wundermann
Zu sich ins Haus und sorgte dort aufs Beste
Für Trank und Speise nach der Wahl der Gäste.
Fürwahr, Aurelius fand so wohl bestellt
Noch keinen Haushalt auf der ganzen Welt.
Der Meister wies ihm Abends vor dem Mahl
In Park und Wald des Wildes reiche Zahl.
Da sah er Hirsche mit Geweihen steh'n,
So mächtig, wie kein Auge je geseh'n.
Da sah er hunderte zerfleischt von Hunden,
Vom Pfeil durchbohrt und blutend aus den Wunden.
Dann war's vorbei, und statt der wilden Thiere
Sah er auf schönem Flusse Falkoniere,
Sah nach dem Reiher ihre Falken fliegen,
Sah auf dem Plane Ritter sich bekriegen.
Dann wies sich ihm als größter Hochgenuß
Im Tanze seine Dame noch zum Schluß,
Mit der er selber tanzte, wie er dachte.
Und als der Meister, der dies Werk vollbrachte,
Sah, daß es Zeit war, schlug er in die Hände,
Und – Lebewohl! – der Zauber war zu Ende.
Doch aus dem Haus entfernten sie sich nimmer.[130]
In seinem Studio- oder Bücherzimmer
Erblickten sie die ganze Zauberei,
Dort ruhig sitzend, immer nur selbdrei.
Der Meister seinen Junker herbefahl
Und frug: »Wie steht's um unser Abendmahl?
Fast eine Stunde – denk' ich – schon enteilte,
Seit ich dazu den Auftrag Dir ertheilte,
Und ich mit diesen würd'gen Herren in
Mein Bücherzimmer eingetreten bin.«
»Herr!« – sprach der Junker – »wenn es Euch gefällt,
Speist Ihr sogleich. – Die Tafel ist bestellt!«
»Wohlan« – sprach er – »geh'n wir zum Abendbrod!
Ein wenig Ruhe thut Verliebten Noth.«
Berathen ward, nachdem getafelt war,
Sodann zunächst des Meisters Honorar,
Wenn felsenrein zu kehren er die Küste
Von der Garonne bis zur Seine wüßte.
Er machte Schwierigkeiten, und er schwur;
So Gott ihm helfe! ungern thät' er's nur,
Und tausend Pfund sei wahrlich kaum genug.
Aurelius, dem das Herz vor Freude schlug
Entgegnete: »Pfui, über tausend Pfund!
Die ganze Welt, der Erde weites Rund,
Wollt' ich drum geben, wären sie nur mein!
Der Handel gilt! Wir kamen überein!
Ich werde redlich zahlen – auf mein Wort!
Jedoch – kein Aufschub und Verzug hinfort!
Nicht länger als bis morgen halt' uns auf!«
»Nein!« – sprach der Meister – »nimm mein Wort darauf!«[131]
Und als Aurelius bald zu Bette ging,
Ihn süßer Schlaf die Nacht hindurch umfing
Mit Hoffnungsträumen künft'ger Seligkeit
Nach seiner Arbeit, seinem Herzeleid;
Am nächsten Tag, sobald der Morgen da,
Sich gradeswegs auf nach Armorika
Aurelius und der Zaubermeister machten,
Und stiegen ab, wo sie zu bleiben dachten.
Dem Buche nach geschah's im frost'gen, kalten
Decembermond – ich hab's genau behalten. –
Phöbus, gealtert und wie Messing fahl,
Der schimmernd einst den glühend gold'nen Strahl
Zur heißen Zeit des Sommers abgesandt,
Nunmehr schon tief im Bild des Steinbocks stand,
Und schien dort trübe – wie gesagt – und matt.
In keinem Garten blieb ein grünes Blatt;
Nichts hatte Regen, Frost und Schnee gespart.
Am Feuer sitzt mit seinem Doppelbart
Janus und trinkt aus Büffelhörnern Wein,
Vor sich das Fleisch vom scharfbezahnten Schwein,
Und »Noël!« ruft ein jeder lust'ge Mann. –
Aurelius thut Alles, was er kann,
Den Meister zu bewirthen und zu ehren;
Doch Eile blieb sein dringendstes Begehren:
Er müsse schleunigst heilen seinen Schmerz;
Wo nicht, durchstäch' er mit dem Schwert sein Herz!
Der kluge Mann, der seinen Kummer theilte,
Sich Tag und Nacht mit aller Kraft beeilte,
Um auszurechnen seine beste Zeit;
Das heißt: zur Täuschung die Gelegenheit,[132]
Daß mittelst einer Phantasmagorie
– Ich weiß zwar nicht, ob die Astrologie
Den Ausdruck kennt – sie und ein Jeder meine,
Aus der Bretagne seien Fels und Steine
Ins Meer gesunken oder sonst verschwunden.
Und endlich war die Zeit herausgefunden
Für diese bösen und verruchten Possen,
Die aus verfluchtem Aberglauben sprossen.
Die Tafeln von Toledo nahm zur Hand er,
Wohl corrigirt; und keinen Fehler fand er
In seinen Wurzeln, seinen Umlaufsjahren,
Ob sie collecte, ob expanse waren.
Auch seine Kreise, seine Argumente
Und die proportionalen Elemente
Für seine Gleichung stimmten auf das Haar.
Und durch die achte Sphäre ward ihm klar,
Wie weit bereits sich der Alnath dort oben
Vom Haupt des Fixsterns Aries verschoben,
Der angehört dem neunten Sphärenkreise.
Dies calculirt' er auf die schlau'ste Weise;
Und als berechnet war das erste Haus,
Fand er den Rest durch Proportion heraus.
Er wußte, wann und wo der Mond aufging,
Termine, Phasen und jedwedes Ding;
Er kannte gründlich alle Monomansionen
Mit ihren Einfluß auf Operationen;
Er kannte gleichfalls sonst noch Observanzen
Für Täuschungen und solche Firlefanzen,
Wie damals sie beim Heidenvolk im Schwange.
Er zögerte deßwegen nicht mehr lange,
Und scheinbar schaffte seine Zauberei
Die Felsen fort für einen Tag bis zwei.
[133] Aurelius, verzweiflungsvoll vor Wehe,
Ob er gewinne oder leer ausgehe,
Erwartete das Wunder Tag und Nacht;
Und als er ohne Hinderniß vollbracht
Es sah und fand, die Felsen waren fort,
Warf zu des Meisters Füßen mit dem Wort
Er sich zur Erde: »Laß, o Herr, mich danken,
Venus und Euch, daß Ihr den sorgenkranken
Und leidenden Aurelius habt geheilt!«
Und zu dem Tempel eilt er unverweilt,
Wo seine Dame war, wie ihm bekannt;
Und als dazu Gelegenheit er fand,
Begrüßte zweifelsbang und demuthsreich
Er seine theure Herrin auch sogleich:
»Gerechte Frau!« – sprach der gequälte Mann –
»Dich fürcht' ich und Dich bet' ich liebend an!
Nicht für die Welt würd' ich mich unterfangen,
Dich je zu kränken. – Doch soll nicht Verlangen
Nach Dir das Herz mir auf der Stelle brechen,
So muß ich jetzt von meiner Liebe sprechen.
Wenn ich nicht sterben soll, muß ich Dir sagen:
Du hast mit Schmerzen schuldlos mich geschlagen;
Doch läge Dir auch nichts an meinem Leben,
Bedenke wohl – Du hast Dein Wort gegeben.
Du magst vor Gott dies reuig überlegen,
Eh' Du mich tödtest meiner Liebe wegen.
Verehrte Frau! Du weißt, was Du versprochen.
Doch Gnade nur, statt auf mein Recht zu pochen,
Verlang' ich, theure Herrscherin, von Dir.
Wozu in jenem Garten Du Dich mir
Verpflichtet hast und was Du in die Hand[134]
Mir zugeschworen, ist Dir wohl bekannt.
Gott weiß! die höchste Liebe sagtest Du,
So unwerth ich derselben bin, mir zu.
Madam! ich spreche Deiner Ehre wegen,
Nicht weil an meinem Leben mir gelegen.
Was Du befohlen hast, das ist gescheh'n.
Beliebt es Dir, kannst Du es selber seh'n.
Thu', was Du willst! – Doch Deinen Eid bedenke,
Ob Tod ob Leben Deine Hand mir schenke,
Ich nehme hin, was Du für gut befunden.
Jedoch – ich weiß – die Felsen sind verschwunden!«
Er eilte fort. – Doch sie blieb staunend steh'n,
Mit blutlos blassem Antlitz; vorgeseh'n
War eine solche Falle von ihr nie.
»Ach, daß mich dieses treffen muß!« – rief sie.
»Ich wähnte nicht, daß solche Zauberei,
Daß solches Wunder jemals möglich sei
Zuwider den Gesetzen der Natur!«
Und heimwärts schwankt die arme Kreatur
Mit schwerem, durch die Furcht gelähmtem Gang.
Sie klagt und weint ein bis zwei Tage lang,
– In ihrer Ohnmacht traurig anzuschauen. –
Doch wollte Keinem sie den Grund vertrauen;
Denn ihr Gemahl war aus der Stadt auf Reise.
Und still für sich sprach sie in dieser Weise,
Verstörten Blick's mit blassem Angesichte
Die Jammerworte, die ich Euch berichte:
»Ach!« – rief sie – »Dir, Fortuna, gilt mein Klagen!
In Fesseln hast Du jählings mich geschlagen,[135]
Die zu zerreißen – weiß ich – nur der Tod
Vermögend ist, da mir Entehrung droht;
Und zwischen diesen zwei'n muß ich entscheiden.
Jedoch viel lieber will ich Tod erleiden,
Als meinen Leib durch Schande zu entweih'n,
Oder durch Wortbruch sonst beschimpft zu sein.
Doch jeder Schmach kann mich mein Tod entheben.
Hat es nicht manches edle Weib gegeben
Und manches Mädchen, das den Tod erwählte,
Eh' ihren Leib der Schande sie vermählte?
Gewißlich! Das bezeugen diese Sagen.«
Als Phidon in Athen beim Fest erschlagen
Von jenen dreißig Mordtyrannen war,
Da ließen der gefang'nen Töchter Schaar
Sie splinternackt zur Fröhnung ihrer Laster
Vor sich erscheinen, daß sie auf dem Pflaster
– Gott möge strafen solchen Uebermuth! –
Vor ihnen tanzten in des Vaters Blut.
Heimlich entrannen voller Furcht und Schrecken
Die armen Mädchen, um nicht zu beflecken
Ihr Jungfernthum und – dem Berichte nach –
Ertränkten sie sich in dem nächsten Bach.
Es suchten sich in Sparta aus und nahmen
Einst die Messenier fünfzig junge Damen,
An ihnen ihre Fleischeslust zu stillen.
Doch alle widerstanden ihrem Willen;
Entschlossen trotzten alle dem Gebot
Und gingen lieber freudig in den Tod,
Als ihrem Mädchenthume zu entsagen.
Warum soll ich denn vor dem Tode zagen?[136]
Sieh' den Tyrannen Aristoklides,
Der einst geliebt die Maid Stymphalides.
Zum Dianatempel floh sie in der Nacht,
In welcher man den Vater umgebracht;
Und um das Bildniß dieser Gattin schlang
Die Arme sie; und selbst durch keinen Zwang
Zog man sie fort; sie hielt es fest umwunden,
Bis durch Gewalt sie dort den Tod gefunden.
War diesen Mädchen schmachvoll es erschienen;
Der faulen Lust der Männerwelt zu dienen,
Sollt' auch ein Weib – so denk' ich – lieber sterben,
Als ihren Leib durch Unzucht zu verderben!
Was sagt' ich nur vom Weib des Hasdrubal,
Die sich den Tod gab bei Karthago's Fall?
Sie sieht, das ganze Heer der Römer dringt
Zur Stadt hinein, und mit den Kindern springt
Sie in das Feuer, und freiwillig endet
Ihr Leben sie, eh' sie ein Römer schändet.
Starb nicht Lukretia auch durch eigne Hand,
Als ihr Tarquin die Jungfernschaft entwandt?
Sie dachte, daß ein Leben sonder Ehre
Und guten Ruf die größte Schande wäre.
Durch Furcht und Jammer wurden auch die sieben
Jungfrau'n Milesiens in den Tod getrieben,
Damit kein Gallier ihre Unschuld raube.
Und tausend von Geschichten – wie ich glaube –
Könnt' ich erzählen von der gleichen That.
So gab, als umgekommen Abradat,
Sein Weib den Tod sich zu derselben Stunde,
Und ließ in seine tiefe, weite Wunde[137]
Ihr Blut entströmen mit dem Wort: »Nun kann
Mich fürderhin entehren nie ein Mann!«
Was nützt es mehr, Exempel vorzutragen?
Wie viele haben lieber sich erschlagen,
Als ihres Leibes Schändung zu erleben.
Drum besser ist's, mein Leben hinzugeben
Als Ehr' und Unschuld. – Dies ist mein Beschluß:
Getreu verbleib' ich dem Arviragus,
Sollt' ich mein Leben auch mit eignen Händen
Wie jene Tochter des Demotion enden,
Um nicht den Leib durch Schande zu entweih'n!
O, Sedasus! mit welcher Herzenspein
Las ich von Deinen Töchtern, die sich alle
Den Tod gegeben in dem gleichen Falle.
Und tiefes Mitleid rief in mir hervor
Die Maid von Theben, die um Nicanor
Sich aus demselben Grunde nahm das Leben.
So starb ein and'res Mädchen noch in Theben,
Die, von den Macedoniern arg bedroht,
Ihr Jungfernthum bewahrte durch den Tod.
Was sag' ich von dem Weib des Nicerat,
Die makellos blieb durch die gleiche That?
So bot dem Alcibiades zu Liebe,
Daß nicht sein Leichnam unbestattet bliebe,
Sein treues Mädchen sich dem Tode dar.
»Seht, welch' ein Weib« – rief sie – »Alceste war!
Hat nicht Homer Penelope genannt?
Kennt ihre Keuschheit nicht ganz Griechenland?
Steht nicht von Laodamia geschrieben,
Daß sie, nachdem vor Troja's Wall geblieben
Prothesilaus, sie sich selbst entleibt?
Die edle Portia zu erwähnen bleibt;[138]
Sie konnte nicht getrennt von Brutus leben,
Dem sie ihr ganzes, volles Herz gegeben.
Von Artemisia's strengem Wittwenthum
Spricht noch die ganze Barbarei mit Ruhm.
Ein Spiegel bleibt, o, Teuta, Königin!
Für alle Weiber stets Dein keuscher Sinn.«
Ein bis zwei Tage weilte, also klagend
Und mit Gedanken an den Tod sich tragend,
Schon Dorigene, bis die dritte Nacht
Arviragus zu ihr zurückgebracht.
Der würd'ge Ritter fand sie thränenschwer
Und forschte nach. Jedoch sie weinte mehr
Und mehr und sprach: »Ach, daß ich je geboren!
Ich habe« – rief sie – »so und so geschworen!«
Und gab ihm kund, was ihr bereits vernommen.
– Was kann es mir zu wiederholen frommen? –
Doch heitern Blick's versetzte drauf ihr Mann
Und redete mit Freundlichkeit sie an:
»Und ist das Alles, Dorigene? Sprich!«
»Ach, ach!« – sprach sie – »der Himmel schütze mich!
Es ist zu viel! und wär' es Gottes Wille.«
»Nun, Weib!« – sprach er – »laß schlafen das in Stille.
Noch heute mag's zum Guten sich gestalten;
Doch meiner Treu! Dein Wort sollst Du ihm halten!
Denn wie auf Gottes Gnade steht mein Hoffen,
So wäre lieber ich zu Tod getroffen,
Wie sehr ich Dir in Liebe zugewandt,
Als daß Du brächest Ehrenwort und Pfand!
Des Menschen Allerhöchstes ist sein Wort!«
So sprach er unter Thränen und fuhr fort:[139]
»Bei Todesstrafe bleibt es Dir verwehrt,
So lang' Du athmest und Dein Leben währt,
Von Deinem Unglück Jemandem zu sagen;
Wie ich mein Leid nach bester Kraft will tragen,
Darf man aus keiner Schmerzensmiene je
Errathen können Deines Herzens Weh!«
Den Junker und die Zofe rief er dann.
»Bringt Dorigene« – sprach er beide an –
»Sogleich zu dem ihr mitgetheilten Ort!«
So nahmen Abschied sie und gingen fort.
Doch weder von dem Zwecke, noch dem Grunde
Erhielten sie von Dorigene Kunde.
Der Zufall aber war Aurelius günstig,
Und dieser Junker, welcher liebesbrünstig
Nach Dorigene schmachtete, traf grade
Mit ihr zusammen, als auf nächstem Pfade
Sie durch die Stadt, wie sie Befehl empfing,
Mit raschen Schritten nach dem Garten ging.
Und zu demselben Garten ging auch er.
Er hatte lang' gelauert schon vorher,
Ob sie ihr Haus, um auszugeh'n, verlasse,
Und traf sie so durch Zufall auf der Gasse.
Er grüßte sie vergnügt und guter Dinge
Und frug, wohin und welchen Weg's sie ginge?
Sie aber sprach mit halb verwirrtem Sinn:
»Zu jenem Garten schickt mein Mann mich hin,
Dir Wort zu halten! – Weh' mir, daß ich's muß!«
Verwundert hörte dies Aurelius,
Und es begann sein Herz bei ihren Klagen
In tiefem Mitgefühl für sie zu schlagen,[140]
Wie für Arviragus dem würd'gen Ritter,
Der Wort zu halten ihr befahl, so bitter
Er seines Weibes Opfer auch empfand.
Und so erwog, von Mitleid übermannt,
Aurelius, daß er in dieser Lage
Weit besser seines Fleischeslust entsage,
Als daß er eine Schurkerei vollbringe,
Die gegen Anstand, gegen Ehre ginge.
Mit kurzen Worten sprach er drum zu ihr:
»Madam! sag' dem Arviragus von mir,
Dieweil ich seinen Edelmuth erkannt,
Und so verzweiflungsvoll Dich selber fand,
Dieweil er dulden wolle lieber Schmach,
Als daß Du brächest, was Dein Wort versprach,
So wollt' auch ich weit lieber ewig leiden,
Als wie die Liebe stören von Euch Beiden.
Empfange, werthe Frau, in Deine Hand
Zurück ein jedes Jawort, jedes Pfand,
Das Du zuvor in Deinem ganzen Leben
Vom Tage der Geburt an mir gegeben.
In keiner Weise will ich durch ein Wort
Dich jemals tadeln. – Und so scheid' ich fort
Vom besten, treusten Weibe, das ich fand
Und während meines Lebens je gekannt.
– Doch künftig mögen, wenn ihr Wort sie schenken,
Die Frau'n zuvor an Dorigene denken. –
Nur ohne Furcht! – Gewiß ein Junker kann
So edel handeln, wie ein Rittersmann!«
Ihm dankend, fiel sie auf die Kniee nieder,
Und eilte heim zu ihrem Gatten wieder,[141]
Dem sie, was ihr vernommen habt, erzählte.
Doch meiner Treue! wie ihn das beseelte
Ist mir unmöglich, näher zu beschreiben.
Was soll ich länger bei der Sache bleiben?
Es lebte fort im seligsten Genuß
Frau Dorigene mit Arviragus.
Kein Zwiespalt trennte Beide fürderhin,
Er ehrte sie wie eine Königin,
Und ihm getreu blieb sie auf immerdar.
Mehr hört ihr nicht von diesem Ehepaar.
Den Tag verfluchte, welcher ihn geboren,
Aurelius, der all sein Geld verloren.
»Ach!« – rief er – »ach! daß ich versprochen habe
Eintausend Pfund von reinem Gold als Gabe
Dem Philosophen! – Wie schaff' ich es an?
Ich bin – das seh' ich – ein verlor'ner Mann!
Mein ganzes Erbgut muß ich jetzt verkaufen,
Ich bin ein Bettler, muß von dannen laufen,
Um meine Sippe hier nicht zu beschämen!
Vielleicht jedoch kommt es zum Einvernehmen,
Wenn ich versuchen will, ihm vorzuschlagen,
Von Jahr zu Jahr die Schulden abzutragen
Mit bestem Dank für die Gefälligkeit;
Dann lüg' ich nicht und halte meinen Eid.«
Zum Koffer ging er mit betrübtem Sinn,
Und trug sein Gold zum Philosophen hin;
Fünfhundert Pfund an Werth war's – wie ich denke –
Und bat, daß er die Frist ihm freundlich schenke,
Um nach und nach das fehlende zu zahlen.
»Nicht will ich, Meister!« sprach er – »damit prahlen,[142]
Doch hielt ich stets, wozu ich mich verpflichtet,
Und sicherlich wird nach und nach entrichtet,
Was ich Dir schulde, mag, was will, gescheh'n,
Und sollt' ich auch im Hemde betteln geh'n.
Jedoch, gewährtest Du auf Sicherheit
Vielleicht zwei Jahre oder drei mir Zeit,
Wär' es mir lieb. – Doch willst Du es verweigern,
Wohlan! – so muß mein Erbgut ich versteigern!«
Der Philosoph gab Antwort ihm indessen
Auf diese Weise ruhig und gemessen:
»Hielt etwa ich an unserm Pakt nicht feste?«
»Gewiß« – sprach er – »getreulich und aufs Beste!«
»Und war die Dame, die Du liebst, nicht Dein?«
»Nein!« – rief er sorgenvoll erseufzend – »nein!«
»Aus welchem Grunde? – Wenn Du darfst, sag' an!«
Worauf Aurelius den Bericht begann
Und ihm erzählte, was Ihr schon vernommen;
Es nützt zu nichts, darauf zurück zu kommen.
Er gab ihm kund: wie ritterlich sein Leid
Arviragus zu tragen sei bereit,
Wenn sie ihr Wort nur halte, das sie binde;
Wie schmerzlich Dorigene dies empfinde
Und lieber ihrem Leben gleich entsage,
Als daß sie sich als schlechtes Weib betrage.
Wie unschuldsvoll, da solche Zauberei
Sie nie geahnt, ihr Wort gegeben sei.
»Und da« – sprach er – »ich Mitgefühl empfand,
So schickt' ich, ganz wie er sie mir gesandt,
Sie ihm freiwillig auch zurück ins Haus.
Mehr weiß ich nicht; denn damit ist es aus.«[143]
Der Philosoph sprach: »Bruder! laß Dir sagen,
Ihr Beide habt Euch ehrenwerth betragen,
Du als ein Junker, er als Rittersmann!
Doch, ohne Sorgen! – auch ein Schreiber kann
So gut wie Ihr beweisen seine Ehre
– Und Gott verhüte, daß es anders wäre! –
Herr! ich verzichte auf die tausend Pfund,
Als ständest Du, soeben aus dem Grund
Hervorgekrochen, unbekannt vor mir.
Nicht einen Pfennig nehm' ich an von Dir
Für meine Kunst und alle Müh' und Last!
Da Du bezahlt für meine Nahrung hast,
So ist's genug! – Lebwohl!« – und mit dem Wort
Bestieg er seinen Rappen und ritt fort.
Nun aber, Herren! laßt mich Euch befragen:
Wer hat sich hier am Edelsten betragen?
Was dünkt Euch? – Sprecht! bevor ihr weiter zieht.
Ich weiß nichts mehr! – Zu Ende ist mein Lied.
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