Über einige Sprüche des Prediger Salomo

[240] An meine Subskribenten


Setzen Sie sich, lieben Herren, und nehmen vorlieb.

Der erste Spruch soll sein der bekannte und in aller Welt gäng und gäbe Modespruch: Es ist alles eitel.

Wenn ein berühmter Wortkrämer der gern mit Sentenzen um sich wirft, oder ein junger Projektmacher dem ein Projekt auf Eitelkeit fehlgeschlagen ist, oder ein alter Narr den die Sünde verlässet, wenn die sagen: daß alles eitel sei; so ist auch sogar der Sinn des Spruchs eitel. Aber beim Salomo ist er etwas anders.

Stellen Sie sich 'n Mann vor, wie Sie den Salomo kennen, von viel Geschick und Gaben, der sein Herz begab zu suchen und zu forschen weislich alles was man unter dem Himmel tut; der die Mittel in Händen hatte, sich alles was dem Menschen gut dünkt und nur halbwege so aussieht, zu verschaffen, zu kosten und zu versuchen; und der auch nach seinem eignen Geständnis das alles würklich gekostet und versucht hat; wenn der nun aufrichtig und ohne Affektation sagt: ich habe dies und das getan, »bauete Häuser, pflanzte Weinberge, machte mir Gärten und Lustgärten, hatte Knechte und Mägde, sammlete mir Silber und Gold, schaffte[240] mir Sänger und Sängerinnen und Wollust der Menschen und wehrete meinem Herzen keine Freude etc., aber, siehe, da war es alles eitel«; so sollte sein Spruch doch eigentlich Sensation machen. Und mich dünkt, er könnte uns viel Mühe ersparen.

Zum Exempel. Du willst so gerne dies und das sein, Oberschenke oder Oberbäcker! und bringst darüber dein Leben in Sorge und Unlust hin – Lieber! Salomo war mehr als Oberschenke und Oberbäcker; er war König über Israel, über das merkwürdigste Volk der Erde, und doch war damit ihm nicht geholfen. Wie sollte denn dir geholfen sein? Darum sei fröhlich und habe Geduld, und laß die andern Oberbäcker sein. So auch: du wünschest dir dies und das, ein Rittergut oder einen Mahagonitisch, denn groß oder klein ist eins wie das andre. Also du wünschest dir einen Mahagonitisch, kannst darum nicht schlafen, sinnest und sorgst und bildest dir ein: mit dem Tisch werde die Glückseligkeit ins Haus kommen – Lieber! Salomo hatte lauter Mahagonitische; Lamperie, Eckschränke und Kommoden, Fußboden und Treppen alles war von Mahagoni; und er sagt: alle die schönen Mahagonis täten's nicht, was wird denn der einzige Tisch tun? Darum sei fröhlich an deinem Tisch von Nußbaum – oder Föhrenholz, und mache dir dein Leben nicht sauer.

Fröhlich sein, sagt Salomo an verschiedenen Orten, sei das Beste in dieser Welt. Ist aber zu verstehen, wenn du den Mahagonitisch nicht kriegst und nicht Oberbäcker wirst, sonst nicht; denn wenn die Kinder ihren Willen kriegen, so weinen sie nicht. Du sollst fröhlich sein »in aller deiner Arbeit« und das, sagt Salomo, ist eine Gabe Gottes.

Es gibt zwei Wege, die Bilanz in seinem Kredit und Debet zu erhalten; einer wenn die Einnahme vermehrt, und der andre wenn die Ausgabe vermindert wird. Der letztere ist wohltätig, und kann den kleinen und großen Kameralisten nicht genug angepriesen werden. So gibt es auch zwei Wege, in seinem Herzen die Bilanz zu erhalten; der eine: wenn man alles hat, was man wünscht! und der andere: wenn man nicht mehr wünscht, als man hat. jener ist mühsam und mißlich, und dieser probat, und in eines jeden Hand.

Aber der Mahagonitisch und der Oberbäcker schweben dir doch so süß vor Augen! –

Das nun ist nicht ihre sondern deine Schuld. Du siehst am Salomo, daß sie auch anders können angesehen werden, und[241] deine eigne Erfahrung muß es in hundert Fällen dich schon gelehrt haben, daß die folgende Zeit viel verändre.

Mir fällt hier Kaiser Karl der Fünfte ein. Er war bekanntlich ein großmächtiger Fürst, der seine Größe nicht eitel achtete, sondern sie durch viele Kriege und Siege zu behaupten suchte und auch würklich behauptete. Auf einmal, als es nicht gar nach seinem Willen gehen wollte, und dazu seine Gesundheit brüchig ward, dünkte ihm alles eitel. Er legte seine zwei Kronen nieder, und ging nach Estremadura in ein Kloster. Hier pflegte er fleißig der Todesgedanken und Religionsübungen, und machte in den Zwischenstunden Uhren zum Zeitvertreib und zu seinem Vergnügen. Bald wollte ihm auch das nicht mehr schmecken, und er mochte an nichts anders denken, von nichts anderm hören und sehen als vom Tode. Endlich ging er gar so weit, daß er bei lebendigem Leibe seine Exequien halten ließ. Der Kaiser Karl der Fünfte legte sich in den Sarg, wie eine Leiche gekleidet; zu beiden Seiten des Sarges standen seine Hofbediente mit brennenden Wachskerzen, und die Geistlichen mußten die Exequien halten und für seine abgeschiedene Seele beten, und er betete selbst im Sarge inbrünstig mit. Er starb auch würklich nicht lange hernach.

Der Tod ist 'n eigener Mann. Er streift den Dingen dieser Welt ihre Regenbogenhaut ab, und schließt das Auge zu Tränen und das Herz zur Nüchternheit auf! Man kann sich von ihm freilich auch verblüffen lassen und des Dinges zu viel tun, und gewöhnlich ist das der Fall, wenn man bis dahin zu wenig getan hat. Aber er ist 'n eigener Mann, und ein guter Professor Moralium! Und es ist ein großer Gewinn, alles was man tut wie vor seinem Katheder und unter seinen Augen zu tun.

Der zweite Spruch des Salomo: Alles hat seine Zeit.

Alles hat freilich seine Zeit; die Zeit der Saat ist nicht die Zeit der Ernte, die Zeit des Neumonden ist nicht die Zeit des Vollmonds und wenn einer stirbt wird er freilich nicht geboren. Das aber kann Salomo mit seinem Spruch nicht gemeint haben; das hätte unsereins wohl sagen können. Sollte auch der ganze Sinn der sein: daß alles nicht zu aller Zeit sondern zu seiner Zeit soll getan werden, wenn nämlich Natur oder Kunst Bahn gemacht, und alle Umstände dafür reif sind; so wäre das schon etwas, aber doch, so allgemeinhin, immer noch zu wenig für unsern Freund Salomo. Und wir brauchen nicht vorliebzunehmen; denn die Worte leiden großen Sinn, und das für Kopf! und Herz![242]

Zum Exempel. Der Mensch wird in neun Monden unter dem Herzen seiner Mutter gebildet, lebt siebzig Jahr, und wird denn wieder zur Erde davon er genommen ist. Wir sehen solche bestimmte Perioden in mehrern Naturoperationen die uns bekannt sind, und vielleicht haben's alle die andern auch die uns nicht bekannt sind, größere und kleinere, bis auf die gesamte Natur selbst von dem Im Anfang an, als Gott Himmel und Erde schuf, bis zu der Stunde, in welcher die Elemente zerschmelzen und Gott die Himmel wieder zusammenwickeln wird wie 'n Gewand. Nun soll einmal ein Mensch oder ein Engel dies alles kennen, soll davon nicht bestimmt sprechen sondern nur deuten wollen, und sagen: Alles hat seine Zeit; so ist ein Sinn in dem Spruch, und man sieht sich sehr kurz und ehrerbietig nach dem um der ihn sagte. Oder: Wir Menschen laufen und rennen vom Mutterleibe an und immerdar, und wissen nicht was zu unserm Frieden dient. Nun soll einmal ein Mann sein, der das gefunden hat. Wenn nun der die Menschen, seine Brüder, um sich her ansieht: wie sie's so verkehrt treiben; an dem und jenem Irrsal, woran tausend und tausend vor ihnen betrogen und zuschanden worden sind, so festhalten und guten Rat nicht hören wollen; wenn nun der gutgesinnte Mann das ansieht, dem Unwesen gerne steuerte aber nicht zu steuern vermag, und sich darüber mit unserm Spruch trösten wollte; so sind die Worte Goldes wert, und wären etwa so zu übersetzen: »Wie sind doch die Menschen so verblendet, die edlen schönen Geschöpfe Gottes zu so großer Ehre bestimmt! O wie anders könnten sie's haben, wenn sie selbst wollten! Doch die Stunde ihrer Verblendung wird vorübergehen, daß ihnen noch geholfen werde; alles hat seine Zeit.«

Indes, alles zusammengenommen, scheint Salomo hier weder das eine noch das andre im Sinne gehabt zu haben, sondern ein Drittes, nämlich: In der körperlichen Natur sei alles nicht wie in der Geisterwelt zugleich und auf einmal, sondern ein jedes habe seine Zeit; und dem Gesetz muß wer in der körperlichen Natur ist sich unterwerfen, und sich so gut dabei nehmen als er kann. Als wenn jemand zu Wagen sitzt und nach Königsberg fahren will; so ist er nicht mit einmal an Ort und Stelle, sondern die Räder des Wagens müssen so lange umgehen bis er ist wo er sein will, und ein jeder Umgang hat seine Zeit und der zweite kann nicht zur Würklichkeit kommen bis der erste vollendet ist etc. und da geht es denn oft über Stock und Stein und der auf dem[243] Wagen wird des wohl gewahr; er muß indes aushalten und sich fassen, denn es ist kein anderer Rat.

Und dieser Sinn hat was sehr Trauriges in sich, ich weiß nicht ob's den Herren Subskribenten auch so dünkt.

Der dritte Spruch: »Lasset uns die Hauptsumma aller Lehre hören; fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen zu.«

Dieser Spruch steht in Salomos Büchlein zu Ende aller andern Sprüche, wie der Morgenstern der zuletzt aufgeht und schöner und herrlicher ist als alle Sterne die vor ihm hergehen. Die Hauptsumma pflegt gewöhnlich am Ende zu stehen, und also ist diese Stellung des Spruchs natürlich. Vielleicht kann sie aber auch noch eine Nebenabsicht haben. Salomo macht anderswo die Bemerkung, daß einem ein Narr nicht glaube wenn man ihm nicht auch sagt was in seinem Herzen ist. Nun gibt es aber Leute die alles lästern was sie nicht begreifen, die sich zu klug dünken zu glauben, und zu dumm sind zu wissen; arme Leute, welche die Vorteile beider Parteien entbehren und für sich keinen andern haben, als daß sie ihr Lebelang diskurrieren, und von Leuten die noch dummer sind als sie für große Geister gehalten werden. Diese Klasse von Menschen ist von jeher in der Welt gewesen und wird bis je und je darin bleiben. Vielleicht nahm Salomo Rücksicht auf sie, wollte auch ihnen gern die große Lehre zu Herzen bringen, daß Gottesfurcht die Quelle alles Guten sei. Er wußte aber, daß er unvorbereitet damit bei ihnen wenig Glauben finden würde. Daher schickt er verschiedene Sprüche mit Lehre die mehr in ihren Kram gehöret voran, und nachdem er sich als Meister in ihrer eignen Kunst gezeigt und sich solchergestalt ihr Vertrauen erworben hatte, rückt er mit der Hauptsumma aller Lehre hervor: Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen zu. Es gibt manches Ding, will er sagen, manche Lehre zwischen Himmel und Erde, die sehr dankenswert ist und ihre Interessenten in mehr als einer Hinsicht zu großen Leuten macht; aber das alles und eins, das eigentliche Ding, die Hauptsumma aller Lehre ist Furcht Gottes, und die gehöret allen Men schen zu, ist des Menschen sein Element, sein Beruf, sein Natur und Wesen.

Lieben Herren Subskribenten! Ich bin nicht was Salomo war, bin nicht König über Israel, und ich bescheide mich gerne daß mir seine Weisheit noch mehr als seine Krone fehlet; aber überzeugt bin ich lebendig, daß die Furcht Gottes die Quelle alles[244] Guten sei, daß es da anfangen und sich da wieder endigen müsse, und daß alles was sich darauf nicht gründet und nicht damit besteht, wie groß es auch scheine, doch nichts als Täuschung und Trug sei und unser Wohl nicht fördern möge.

Aber Furcht Gottes und Furcht Gottes ist zweierlei; und hier liegt der Knoten, dadurch diese Lehre zweideutig und rätselhaft wird. Wir fürchten alle Gott, sprechen mit Ehrerbietung von ihm, hören mit Ehrerbietung von ihm sprechen etc. wollen ihn fürchten und tun uns wohl auch bei der und jener Gelegenheit mit seiner Furcht einigen Zwang an, und übrigens bleibt's beim alten. Solch eine Furcht Gottes mag als eine feine äußerliche Zucht gelten, sonst aber ist sie der leibhafte Bediente hinten auf der Kutsche. Der steht da auch als ein Schild daß honette Leute im Wagen sind, gibt ein Zeichen daß die Wachen heraustreten, macht die Kutschentür auf und zu etc. und übrigens gehen die Bestien vor dem Wagen ihren ehrbaren Trab oder wilden Galopp wohin sie wollen, und der Herr dahinten muß immer mit fort und wird nicht gefragt. Wenn die Herrschaft recht gnädig ist, nimmt sie ihn wohl bei einfallendem Regenwetter zu sich in den Wagen.

Was soll solch eine Furcht Gottes? Was kann die für Würkungen haben, und wie wäre sie die Hauptsumma aller Lehre?

Das war aber auch nicht die Furcht Gottes der Altväter, die uns in der Schrift zum Muster dargestellet werden. Denn bei denen war die Gottesfurcht nicht Bedienter hinten auf dem Wagen, sondern Herrschaft und Kutscher zugleich. Ihnen war nichts so innig und heilig als sie; nichts so sauer das sie ihretwegen nicht getan, nichts so süß das sie ihretwegen nicht gelassen hätten. Joseph reißt sich aus den Armen eines schönen Weibes los und läßt einen Mantel im Stich, weil er ein so groß Übel nicht tun kann und wider Gott sündigen. Abraham schlachtet, als Gott zu ihm sprach, seinen einzigen Sohn, und bekümmert sich nicht um sein Vaterherz und seine Vernunft; – und so muß es sein wenn was draus werden soll. Und du, der du Gottesfurcht schmähen willst, könne das; und denn komm und schmähe, so wollen wir dir glauben. Sonst aber bist du nur ein Faselhans der nicht weiß wovon er spricht, du magst lästern oder loben.

Die wahre Furcht Gottes muß Empfindung, muß Wahrheit in uns sein; denn ist sie wohltätig in ihren Einflüssen, und wunderbar in ihren Würkungen mehr und anders als wir meinen oder verstehen.[245]

Wenn wir den Begriff von Gott nur bloß mit der Imagination denken, daß er, wie die Heilige Schrift uns lehret, der Schöpfer und Erhalter der sichtbaren und unsichtbaren Welt sei, der erste und der letzte, sein Stuhl der Himmel und die Erde seiner Füße Schemel, daß er in allem und durch alles sei, von der Tiefe des Meers bis an die Zinne des Himmels allem Wesen gegenwärtig und nahe, daß seine gewaltige Hand alles hält und seine Augen Tag und Nacht über alle seine Geschöpfe und sonderlich über alle seine Menschen, auch hier über und um uns, unsichtbar offenstehen – wenn wir den Begriff nur bloß mit der Imagination denken; so fährt er uns kalt durch, und macht uns Gott lieben und fürchten; was wird er tun, wenn er Empfindung und Wahrheit in uns ist?

Denn werden wir Gott nicht fürchten wollen, sondern wir werden ihn wahrhaftig fürchten, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und aus allen Kräften, in allem unserm Tun und Lassen, wenn wir aufstehen und wenn wir zu Bett gehen, um Mittag und um Mitternacht, wir schlafen oder wachen; wir werden das Bild des Allerbesten, des Allerweisesten, des Allergerechtesten, des Allerwahrhaftigsten, des Allerbarmherzigsten beständig wie unser Leben in uns tragen, und werden verwandelt werden in dasselbige Bild von einer Klarheit zu der andern. – Und das Halten der Gebote Gottes wird unsre Freude sein, und unser Glück zugleich; denn was sind seine Gebote anders als eine Hand am Wege, als schwarze und weiße Tonnen die vor Verderben warnen und die sicherste Fahrt in das Land des Heils weisen.

Nun meine lieben Herren Subskribenten, das wäre was ich Ihnen zu sagen hatte. Ich hätte Sie vielleicht angenehmer unterhalten können; aber Sie haben zum Teil so willig und gerne subskribiert, und da hab ich gedacht, ich müßte wieder ehrlich sein. Dazu hat alles seine Zeit, Subskribieren und Herausgeben auch, und wer weiß ob wir uns noch wieder einander dienen werden.

– Lasset uns Gott fürchten und seine Gebote halten!

Quelle:
Matthias Claudius: Werke in einem Band. München [1976], S. 240-246.
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