Gloria

Auch ich – auch ich, in unseligem Drang,

Hab' mit zuckenden Fingern, so lang, so lang,

Von verzehrendem Fieber zerspalten,

Gehascht nach des Ruhmes Lorbeergezweig,

Mit fliegendem Atem, ringerbleich,

Eine üppige Krone zu halten!


Auch ich entrafft' mich dem heimischen Herd –

Was hat mich die Träne der Mutter geschert,

Was Marias geschluchzte Klagen? –

Es trieb mich so wild, so stürmisch hinaus

Auf des Lebens weißschäumigen Wogenbraus,

Den strahlenden Ruhm zu erjagen.


Wie ward's mir so schwül im umzäunten Kreis –

Nach Atem rang ich – aus altem Geleis

Zog's mich in phantastischem Wahne!

Die Mutter hat mich gesegnet beim Zieh'n

Und gab mir zum Abschied den Flammenrubin

Zum schirmenden Talismane.


Ich spannte mir Flügel zum Dädalusflug –

Nicht war mir ein dürres Zweiglein genug –[205]

Ich lechzte nach üpp'gem Gewinde ...

Da brachten mir die Töchter der Lust

Mit lachendem Auge, mit lockender Brust

Die süße, die lustige Sünde.


Und ich trank und ich trank und ließ die Spur,

Und mit heldengroßer Siegerbravour

Bracht' ich die Komödie in Stanzen ...

Da nahten sie alle – beäugelten links,

Beäugelten rechts die schnurrige Sphinx

Und kamen mir einen Ganzen.


Holla hoch! Das war ein lustiges Fest –

Der Morgen ward mir weidlich durchnäßt,

Und die Stirne schwamm in Wonne:

Sie trug ja nun glänzende Lorbeerzier,

Und sie trug sie mit Würde, nicht bloß zum Pläsier –

Stolz leuchtete meine Sonne.


Da kam auch für mich der Damaskustag –

Die Binde fiel, und die brennende Schmach

Schlug zischend mir in die Seele ...

O du Wahn! O du Wahn der Unsterblichkeit,

Wenn ein wetterwendisch Gesindel schreit

In hochwillkommnem Krakehle:


»Der Kerl – bei Gott! – ist ein Pionier –

Prophet – Messias – ein Wundertier –

Er schreibt brillante Sachen!

Gedankentief und doch populär[206]

Und so bilderreich! Und so schneidig wie er

Kann keiner Verse machen!


Wie wär's drum, wir dächten beizeiten schon

An ein Säulchen, ein Denkmal – die Nation! –

Nur hurtig: die Sammelliste:

Wer unterschreibt? »Na ich!« »Und auch ich!«

(Der eine: »Rein fiel ich!« bei sich –

Der andere: »Wenn man nur nicht müßte!«) ...


Da dankt' ich dir, Krämerbrut, für das Mal,

Und ich ließ den rauschenden Huldigungssaal. –

Entweiche wahnwitz'ge Verblendung!

»Der Ruhm ist keinen Dreier wert,

Und dreimal Schmach, wer ihn begehrt

Für seine göttliche Sendung!«


Ich rief's und schritt in die Nacht hinein,

Und beim ersten, blassen Frührotschein

Ist mir ein Wandrer begegnet ...

Der sprach: »Glückselig bist du, Poet,

Dein wahrer Lohn, wenn im stillen Gebet

Ein getrösteter Armer dich segnet!« ...


Quelle:
Hermann Conradi: Gesammelte Schriften, Band 1: Lebensbeschreibung, Gedichte und Aphorismen, München und Leipzig 1911, S. 205-207.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon