IV.

[30] Gestern um die Mittagsstunde, als Adam eben zum Speisen gehen wollte, war er mitten auf dem Marktplatze Herrn Traugott Quöck in die Arme gelaufen. Sapristi! hatte sich dieser Mensch doch gefreut! Adam hätte es gar nicht für möglich gehalten. Er war beinahe ganz entsetzt gewesen über diese Freudensprünge und Hühnerhundscapriolen. Hatte er dem Manne denn jemals Gelegenheit gegeben, ihn für einen approbirten »Freund« von sich, wenigstens für einen »Freund seines Hauses,« zu halten –? Ih bewahre! Keine Spur! Es giebt Leute, die aus ehrbarer menschlicher Lebenslangeweile immer guter Dinge, immer in der besten, weltfreundlichsten Laune sind. Traugott Quöck gehörte nicht ganz zu diesen Stoikern des Optimismus, aber doch sehr theilweise. Er war halb und halb mit der Couponscheere auf die Welt gekommen. Das giebt gewiß ein ganz nettes und bequemes Rundreisebillet durch's »menschliche Leben« ab. Traugott Quöck sen. war in einer sächsischen Provinzialstadt Tuchmacher gewesen, hatte es aber in den letzten Jahren seines gesegneten Erdenwallens fertig gekriegt, sich zum »Fabrikanten« umzuzüchten[31] und in die Höhe zu schwingen. Man muß mit seiner Zeit »fortschreiten.« Also hat man eines Tages die Pflicht, »Fabrikant« zu werden. Das ist einfach.

Traugott Quöck sen. besaß einen Sohn, an den er »viel drangewandt« hatte, das heißt: Viel Geld, viel Mühe, Geduld, Lebensspesen, Nachsicht – und schließlich war es ihm auch nicht darauf angekommen, ein kleines Bündel unerfüllt gebliebener Hoffnungen an seinen eingeborenen Filius noch extra »dranzuwenden«. –

Nach dem Tode seines Vaters hatte es Traugott Quöck jun. für nützlich befunden, sich schon in jüngeren Läuften seines angenehm gesicherten Lebens zum jovialen Menschen heranszufexen. Er hatte die »Fabrik« seines Vaters, deren Mitinhaber er ein paar Jahre hindurch formell gewesen, nach dem Tode ihres Begründers schleunigst verkauft, war in die nächste größere Stadt versiedelt – und »verwaltete« nun sein Vermögen, »spekulirte« ein Wenig zum Zeitvertreib, war Mitglied einer bierbräulichen Aktiengesellschaft – er saß sogar in ihrem »Verwaltungsrathe«! – und genoß im Uebrigen sein Leben harmlos, einfach, bescheiden, gemüthlich, höchstens mit einem nur ganz kleinen, nur ganz spröden Stich in's Raffinirte, befriedigte zeitweilig, wie es gerade kam, auch seine »geistigen Bedürfnisse«, ging 'mal in's Theater, 'mal in's Concert, unterstützte mit Vorliebe einen Verein, der es sich angelegen sein ließ, für Vermehrung der öffentlichen Aborte und Retiraden Sorge zu tragen, trug einen[32] großen, monströs-breitspurigen Siegelring mit schmutzig grünem Stein auf dem Zeigefinger der rechten Hand – und führte gelegentlich 'mal ein paar mehr oder weniger »geistreiche« Leute, zu deren Bekanntschaft er zumeist gekommen war, wie die bewußte Magd zu ihrem Kinde, in sein Haus ein, »schmiß« diesen Auserwählten ein kleines Frühstück oder ein delikates Souper, setzte ihnen, aus der menschenfreundlichsten Stimmung von der Welt heraus, einen trinkbaren Wein und ein rauchbares Kraut vor ... und arrangirte schließlich eine Scatpartie ... in höheren, weiteren Abendstunden ... eine Scatpartie, bei der man gewöhnlich »ganz zwanglos,« »ganz unter sich« war ... und für welche sich Adam Mensch mit der Zeit beinahe so etwas wie ein kleines »Fäbel« angezüchtet hatte. Es waren wirklich immer sehr nette, sehr amüsante Abende gewesen ... diese späteren Scatnächte bei Mister Traugott Quöck ...

Allerdings! in den letzten sechs Wochen war Adam Mensch nicht dazu gekommen, in die gastfreundliche Burg seines »jovialen Freundes« einzukehren, dieses Mannes, der schon seit erklecklicher Zeit gerade in seinen »besten Jahren« stand und vermuthlich noch in Zukunft eine beträchtliche Weile also weiterstehen würde.

Hatte Adam irgend ein ernsteres Etwas von dieser »Einkehr« zurückgehalten? Nein. Er erinnerte sich nicht. Aber das Leben reißt so hin und her, verzettelt, verkrümelt und zerkrümelt so, ist so bei der Hand mit dem Entwegen, Verschieben,[33] Aufschieben, mit dem Ueberschatten und Vergrauen. Oder – ja doch! richtig! – so war's –: irgendwo, irgendwann hatte er 'mal gehört, im Café oder in der Kneipe oder sonstwo, daß Frau Möbius, die alte Verwandte Herrn Quöck's, welche dieser als weibliche Repräsentationsfigur in sein Haus aufgenommen hatte, seit längerer Zeit leidend sei – na! und da war es ja sowieso ausgeschlossen, daß – hm! – aber ein Beileidsbesuch, ein Erkundigungsbesuch wäre dann wohl erst recht geboten gewesen ... Nun! Der Herr Doctor war denn auch gestern nett 'reingeplumpst – das heißt: nur vor sich selber. – Herr Quöck schien die Geschichte nämlich gar nicht ernsthaft capirt zu haben – war hübsch 'reingefallen also, als er sich nach dem Befinden der Frau Möbius – es ginge ihr doch hoffentlich wieder besser? – erkundigt und damit verrathen hatte, daß er ziemlich sauber orientirt war –: »Ach Gott! die alte Schachtel! Die hat auch immer 'was! heute das, morgen das! Na! sie hat wenigstens Zeit, ihre Krankheiten poussiren zu können. So hängt Jedem sein kleines Privatvergnügen an. Momentan ist sie übrigens wieder auf dem Damm ...« Somit könnte denn morgen Abend, das war also heute Samstag, endlich 'mal wieder ein kleines Souper vor sich gehen, hatte Herr Quöck nunmehr gemeint. Lydia käme natürlich auch. Lydia –? »Wer ist denn das –?« – »Ach so! Sie kennen meine – sie will nämlich eine Cousine von mir sein, wenigstens hat's meine Tante Wort – na![34] thun wir ihr den Gefallen! – mir kann's ja egal sein – Cousine hin, Cousine her – aber ich sage Ihnen, Doctor –: so 'n Weib haben Sie überhaupt noch nicht gesehen – –« – »Na! na! Herr Quöck – Sie! – –« »– Ruhig! ruhig, mein Lieber! Feudal, capital, pikant, Sie wissen ja, kennen ja die Litanei – ei-genartig, emanci-pirt, capri-ciös – was Sie wollen! Mit einem Wort –: 'n janz jöttliches Frauenzimmer! – Wird Ihnen gefallen. Spielt nämlich ooch so 'n Bischen mit der Feder – verstehen schon! ... hätte 's ja gar nich nöthig, nicht im Geringsten – ist ihr ooch nicht Ernst damit – bewahre! – bloß – na! Federwisch und Flederwisch und so weiter – junge Wittwe – lebt erst seit Kurzem hier – hat wenig Umgang noch – will sich 'n Bissel zerstreuen – 's Leben genießen – ganz hübsch vermögend – laß ich mir gefallen – Alles solid bei ihr, Doctor: – Geld, Fleisch, Lebensanschauung – und so weiter .... Warum also nicht –? 'n Narr, der's menschliche Leben nicht so nimmt, wie's ist. – Habe übrigens schon mit ihr von Ihnen gesprochen – sie sagt: sie interessirte sich – –«

»Um Gottes Willen –«

»Was erschrecken Sie denn so –? Werden mir noch dankbar sein. Das heißt, lieber Doctor –: Sie sind in gewissen Dingen 'n kleener Schwerenöther, ich weiß wohl – aber hier – –«

»Sie haben die Vorhand, Herr Quöck – versteht sich! – versteht sich! – wir mogeln grundsätzlich[35] nicht –« hatte Adam laut lachend eingeräumt, zugestanden, ganz und gar ohne inneren Rückhalt – und doch ein klein Wenig gnädig, einen Fingerhut voll Souveränität in der Seele, eine Idee »von oben 'runter« ... Aber er kannte ja diese Dame, dieses »janz jöttliche Frauenzimmer« überhaupt nach gar nicht. Also! War er etwa neugierig –? Quatsch. Seitdem er sich selber so oft als pointenloser, interessant dekadirter Schlingel vorkam, hatte Adam ein wahres und auch ganz aufrichtiges, ehrliches Entsetzen vor allem Neuen, Außergewöhnlichen, allem »Ei-genartigen.« Manchmal wenigstens pilzte sich das Abwehrgefühl prall auf und energisch entgegen –: »Alles! – nur das nicht!« Dieser verfluchte Exotismus! Das »gewöhnliche« Leben ist ernst, schwer, traurig, elend, verworren, monströs, angenehm, lieblich, beseligend, berauschend genug. Ha! das »gewöhnliche,« das gewöhnlichste Leben. Aber Adam hatte die Einladung Herrn Quöcks doch angenommen. »Selbst-verständlich!« Sich so Etwas auch entgehen lassen sollen! Ein patenter Abend: Wein, Cigarren, Scat, Souper, Weiber – da bleibe der Teufel zu Hause! Lydia –? Nein! Sie reizte ihn nicht. Dieser dämliche Köder. Vielleicht eine ganz angenehme Zugabe ... eine pikante Würze – warum denn nicht –? Also abwarten. Nur nichts erwarten. Hinterher ist man auch nicht enttäuscht. Enttäuschungen verstimmen so. Und wenn man die Karten nachher doch wieder in die Hand nimmt, in die Hand nehmen muß, sind sie mit[36] einem Male so klebrig, so schmutzig, so ... so ... so – abgespielt eben – man weiß gar nicht – man gewöhne sich bitte! daran, allenthalben als das Selbstverständlichste von der Welt nur Dreck, Moder, Schweiß, Staub, Koth, Schleim und andere Parfums ... zu erwarten. Handschuhe. Hm! Handschuhe? Handschuhe sind doch eigentlich sehr merkwürdige Dinger.

Adam erinnerte sich wirklich nicht mehr, bei welcher Gelegenheit er Herrn Quöcks Bekanntschaft gemacht hatte. Ein ganz nettes Zeitweilchen war's immerhin doch schon her. Aber das war ja jetzt sehr schnuppe. Der »Zufall« ist ein so gediegener, ein so zuverlässiger Improvisator. –

Quelle:
Hermann Conradi: Adam Mensch. Leipzig [1889], S. 30-37.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon