Sechster Auftritt

[20] Herr Orgon, Herr Geronte, Herr Damon, Herr Timant, Philipp.


HERR ORGON zu Geronte. Verzeihen Sie meine Ungedult; ich kann nicht länger warten, ich muß ihn sehen.

HERR GERONTE. Hier steht er schon in Lebensgröße.

HERR ORGON. Ach ja, er ist es! O mein Sohn!


Er umarmt ihn.


TIMANT. Gnädiger Herr Vater! welche unvermuthete Freude!

HERR ORGON. Ich kann mich nicht zurückhalten, ich weine vor Freuden und vor Zärtlichkeit. Nach zehn Jahren sehe ich meinen liebsten Sohn wieder! Ich habe unvermuthet kommen, und dich überfallen wollen, um die Freude größer zu machen.


Zu Geronte.


Verzeihen Sie mir, liebster Freund, wenn ich mich den Empfindungen eines Vaters überlasse. Sie wissen nicht, wie rührend die Freude ist, einen Sohn, der unserer Liebe würdig ist, wieder zu sehen.

HERR GERONTE. Ja, ja, Sie haben einen rechten wackern Sohn: und Sie können mit ihm zufrieden seyn. Wenn er nur weniger altklug und geheimnißvoll thäte: so wäre er recht hübsch. Ein junger Mensch darf immer eher ein Bißchen zu närrisch, als zu klug thun. Nehmen Sie es nicht übel. Ich sage alles heraus, wie ich es denke; ich rede und denke noch nach der alten Welt.

TIMANT zu Damon. Ich glaube, sie haben mich alle beyde zum Besten; ich weiß nicht, was ich antworten soll.

GERONTE zu Orgon. Dieses ist Herr Damon, ein Freund Ihres Sohnes, und der meinige.

ORGON zum Damon. Verzeihen Sie mir, daß ich nicht eher Ihnen meine Ergebenheit bezeuget habe. Wie froh bin ich, daß mein Sohn einen Freund angetroffen hat, dessen Vater mit dem seinigen so genau verbunden war!

DAMON. Ich schätze mich doppelt glücklich.

GERONTE. Keine Complimente, meine Kinder! Heute wollen wir lustig zusammen seyn; und Sie, mein lieber Timant, Sie sehen[21] wieder politisch aus, wie ein Staatsminister. Jagen Sie nur heute einmal Ihre Ernsthaftigkeit fort.

TIMANT. Ich bitte um Verzeihung – Ich bin gar nicht ernsthaft. Die Freude, meinen Vater zu sehen –

ORGON zu Timant. Du hast doch ohne mein Vorwissen so glücklich in Freunden gewählet, daß ich darüber entzückt bin. Mein alter Freund, der redliche Geronte, wohnet mit dir in einem Hause. Du kannst keinen angenehmern Umgang haben, als mit ihm, und mit seiner liebenswürdigen Fräulein Tochter. Ich habe sie nur einige Augenblicke gesehen, und bin von ihren guten Eigenschaften bezaubert! Bist Du es nicht auch?

TIMANT wird verwirrt. In der That – gnädiger Herr Vater – wirklich – ganz und gar nicht.

PHILIPP stößt ihn. Was sagen Sie da?

GERONTE. Nun, was wollen wir hier lange stehen! Kommen Sie zu mir hinauf, da wollen wir zusammen plaudern! Gehen Sie zu!

HERR ORGON. Nach Ihnen!

GERONTE. O ho! was fehlet Ihnen? Man sieht wohl, daß Sie vom Lande kommen. In meinem eigenen Hause Eingangscomplimente mit mir zu machen! Ich mache keine; ich gehe voraus, und will Ihnen den Weg weisen.


Geronte geht ab, Orgon folget ihm, und Philipp geht zur andern Seite hinaus.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 20-22.
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