[27] Climene, Lisette.
CLIMENE. Damon geht weg, da er mich kommen sieht! Ich möchte wissen, was ihm Ursache giebt, meine Gesellschaft auf eine unhöfliche Art zu fliehen. Das hätte ich mir nicht von ihm versehen.
LISETTE bey Seite. Sie ist empfindlich: das ist schon ein gutes Zeichen.
Zu Climenen.
Ach! der arme Damon hat Ursache genug, Sie zu fliehen.
CLIMENE. Ursache, mich zu fliehen! Was muß er sich in den Kopf gesetzet haben? Er muß sehr empfindlich seyn; mit meinem Willen habe ich ihn gewiß nicht beleidiget. Ueber was beklaget er sich denn? Er hat gar keine Ursache, mich zu fliehen.
LISETTE. Er hat ihrer nur allzuviel, ob Sie ihn schon nicht beleidiget haben! Ich glaube, daß er sich nicht allzuwohl befindet.
CLIMENE. Er befindet sich nicht wohl! und du hast ihn so gehen lassen? Geschwind, bring ihm das Fläschgen mit ungarischem Wasser. Warum hast du es mir nicht eher gesagt? So geh doch geschwind!
LISETTE. Ach! das ungarische Wasser wird ihm nicht für seine Krankheit helfen! Es fehlet ihm nirgends, als an der Seele; und da kann ihm keine Arzeney helfen. Haben Sie es nicht schon lange bemerket, daß er von Tage zu Tage schwermüthiger wird, blaß aussieht und immer seufzet? Ich habe recht Mitleiden mit ihm. Ist es nicht Schade um einen so hübschen Menschen, daß er seine Jugend so traurig zubringen muß? Ich möchte weinen, so oft, als ich ihn ansehe. Ich glaube, er lebet nicht lange mehr.
CLIMENE. Der arme Damon! Ich habe seine Schwermuth gemerket. Aber warum sollte er denn sterben? Er wird sich schon wieder erholen. Nicht wahr, Lisette. Er wird sich wieder erholen?
LISETTE. Bemerken Sie nur, wie er immer übel aussieht.
CLIMENE. Nun, ich habe doch noch nicht gemerket, daß er sehr übel aussieht! Ich wäre doch neugierig, die Ursache seiner Schwermuth zu wissen.
LISETTE. Und ich wollte lieber, daß ich ihm helfen könnte! Der arme Mensch! Ich weiß nicht, was ihm fehlet. Wie er aus der Stube kam, standen seine Augen voll Thränen.[28]
CLIMENE. Voller Thränen?
LISETTE. Ja, er wandte die Augen schmachtend gen Himmel und seufzete. Er sagte mir, die hiesige Luft wäre ihm nicht gesund, und er wollte diesen Ort auf ewig verlassen.
CLIMENE. Das ist eine wunderliche Einbildung! Warum sollte die Luft hier nicht gesund seyn? Aber warum seine Augen voll Thränen gestanden sind, möchte ich wissen.
LISETTE. Das müssen Sie ja schon öfters an ihm bemerket haben! Er kann ja fast seine Schwermuth nicht bergen. Er sieht recht aus, wie eine verwelkende Blume. Ich bleibe dabey, er lebet nicht mehr lange; es ist Schade um ihn. Er hätte das Glück seiner künftigen Gemahlinn machen können. Er ist so zärtlich in der Freundschaft: wie würde er es nicht erst in der Liebe seyn? Glücklich die, die einmal ein so gutes Herz einnehmen kann! Aber es ist umsonst; der Tod wird ihn verhindern, eine Gemahlinn glücklich zu machen.
CLIMENE. Der Tod! Ist er denn so krank?
LISETTE. Was fehlet denn Ihnen, gnädiges Fräulein? Sie reiben sich die Stirne.
CLIMENE. Nichts! es ist mir nur etwas in die Augen gefallen. Kömmt Damon heute nicht wieder?
LISETTE. Ja, er kömmt wieder, wenn er nicht Ihretwegen ausbleibt.
CLIMENE. Meinetwegen? Und welche Ursache, mich zu hassen, habe ich ihm gegeben?
LISETTE. Ach! er würde Sie nicht fliehen, wenn Sie ihm nicht zu viel Ursache gegeben hätten, Sie zu lieben. Er liebet schon seit langer Zeit; und es war die Ursache seiner Schwermuth. Weil er aber weiß, daß Sie sein Freund Timant liebet, so hat er seine Liebe zu verbergen gesucht. Er glaubte, die Pfllichten der Freundschaft und der Tugend verböthen ihm, Ihnen sein Herz zu entdecken, und vielleicht fürchtet er auch Ihren Zorn.
CLIMENE. Er sollte mich lieben? – Hat die Damon aufgetragen, mir alles dieses vorzutragen?
LISETTE. Nein, gnädiges Fräulein: aber ich dachte nur so.
CLIMENE. So schweig! Ich will nichts von Liebe reden hören. Sage mir nichts von dem Damon![29]
LISETTE bey Seite. Oho, das ist noch ein Anfall von dem Stolze eines jungen unerfahrenen Mägdchens. Wenn Sie befehlen, gnädiges Fräulein; von was soll ich denn reden? von Timant?
CLIMENE. Von gar niemanden, wenn es dir beliebt. Timant wäre ganz artig, wenn er nur sein seltsames und mistrauisches Wesen ablegte. Er ist doch viel freymüthiger, und nicht so geheimnißvoll, wenn er in Gesellschaft ist.
LISETTE. Er! Wer ist denn dieser Er? gnädiges Fräulein! wenn ich fragen darf.
CLIMENE. Er! sein Freund Damon! Du bist heute sehr dumm.
LISETTE bey Seite. St! sie findet sich getroffen. – Sie haben mir verbothen, nicht von dem Damon zu reden.
CLIMENE. Ja! wenn es aber wahr wäre, was du vorher sagtest: so würde ich mich bey allem meinem Zorne nicht entbrechen können, ihn hoch zu achten. Aus Liebe zu seinem Freunde will er lieber ein Opfer seiner Schwermuth seyn, als mir seine Liebe gestehen! Großmüthiges Herz – Aber ich glaube es nicht! Woher weißt du es denn?
LISETTE. Ja! wenn Sie mir nicht verbothen hätten, von ihm zu reden.
CLIMENE. Antworte auf meine Frage! Und das sollte die Ursache seiner Thränen gewesen seyn?
LISETTE. Eben das wird vielleicht auch seines Todes Ursache seyn; wenn Sie ihm nicht einige Zeichen von Zärtlichkeit geben, die ihn ein wenig beruhigen können.
CLIMENE. Nein! Zärtlichkeit darf er von mir nicht hoffen, aber Freundschaft, Hochachtung. Der arme Damon! Er dauert mich! Es ist mir lieb, daß er nicht da geblieben ist.
LISETTE. Sie seufzen!
CLIMENE. O laß mich gehen!
LISETTE. St! hier kömmt sein argwöhnischer Nebenbuhler.
CLIMENE. Komm, laß uns fortgehen! Doch nein! er hat uns schon gesehen, und er möchte wieder allerhand seltsame Schlüsse daraus machen, wenn wir fortgiengen. Jetzo kömmt er mir gerade zur ungelegenen Zeit.[30]
LISETTE bey Seite. Es geht gut! Habe ich es nicht gesagt, daß ich es herausbringen würde? Es gehöret Kunst dazu, einem solchen Paare die Geheimnisse seines Herzens abzulocken.
Ausgewählte Ausgaben von
Der Mißtrauische
|
Buchempfehlung
Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro