Vierter Auftritt

[81] Timant, Philipp, Geronte, Orgon, Climene, Lisette.


TIMANT in Reisekleidern. Ungeachtet Sie mir alle verbothen haben, Sie mehr zu sehen, unterstehe ich mich, mit Ihnen allen zugleich zu reden. Gnädiger Herr Vater, gnädiges Fräulein, Herr Geronte, das erste, was ich zu thun habe, ist, daß ich Sie wegen meiner Uebereilung um Verzeihung bitte. Was ich mir vorstellete, ist nicht eingetroffen: aber bey allem dem hatte ich in meinen gefaßten Meynungen vielleicht nicht unrecht. Sie, gnädiger Herr Vater, enterben mich, Sie wollen mich nicht mehr sehen; es betrübet mich; aber deswegen werde ich nicht aufhören, Ihr gehorsamer und zärtlicher Sohn zu seyn. Ich hatte mich betrogen, Sie liebeten Climenen nicht: aber Sie haben mich auch nie als einen Sohn geliebet. Sie wollen mich nicht mehr sehen; ich gehorche, ich entferne mich, ich werde in einem fremden Lande einen andern Vater und ein anderes Vaterland suchen.

ORGON. O mein Sohn –

GERONTE. Still, laß ihn ausreden! Er hatte uns einmal diese Predigt zugedacht.

TIMANT. Sie, gnädiges Fräulein, haben Recht, über mein Unglück zu frohlocken. Sie erhalten dadurch meinen gewesenen Freund, den falschen Damon: aber freuen Sie sich nicht zu früh! Ein treuloser Freund ist nie ein beständiger Liebhaber gewesen. Sie haben ihn schon lange geliebet. Er hat Sie mit Verletzung der Freundschaft und Tugend erobert; und also beneide ich ihn nicht. Er flieht jetzo vor meinen Blicken, weil er sich seiner Handlungen schämet.

ORGON. O höre auf, höre auf, mein Sohn, beleidige das vortrefflichste Herz nicht! Damon ist die großmüthigste Seele; und du bist strafenswerth, wenn du nur einen Gedanken zu seinem Nachtheile haben kannst. Erkenne, wie unrecht du thustl Statt dich zu enterben, setze ich dich in den Besitz aller meiner Güter ein. Du bist mein Sohn; ich verzeihe, ich vergesse alles; Geronte[81] auch. Climene ist wiederum dein; und alles dieses hast du Damons großmüthiger Freundschaft zu danken.

TIMANT. Was höre ich?

ORGON. Höre auf, liebster Sohn, höre auf, mich zu betrüben! Misbrauche meine Liebe nicht mehr! Kann dich alles dieses nicht bewegen? Siehst du nicht, wie sehr du dich betrogen hast? Du hast den Damon in Verdachte gehabt, und er verliert alles, was er in der Welt am liebsten hat, um dich seiner Freundschaft zu überzeugen. Du kennest mich so wenig genau, daß du mir zutrautest, ich liebete dich nicht, und gienge hinterlistig mit dir um. Ich überlasse dir mein ganzes Vermögen, um dich des Gegentheils zu überreden. Du hast meinen und deinen wahren Freund Geronte in dem niederträchtigsten Verdachte gehabt. Er verzeiht dir alles, er schenket dir seine Freundschaft und die Hand der liebenswürdigen Climene wieder. Climene, ungeachtet aller deiner Thorheiten, williget in dein Glück. Was kannst du mehr begehren? Laß dich rühren! Bedenke, wie zärtlich ich dich liebe! Sind meine Bitten, sind meine Thränen nicht genug, dich deiner Thorheiten zu überweisen? Nimm diesen Brief, ließ ihn ganz. Die Hälfte davon hat einigen Anlaß zu deinen Ausschweifungen gegeben.

TIMANT. Es ist genug, gnädiger Herr Vater, es ist genug. Ich erkenne meinen Irrthum, und schäme mich selbst. Ich bin überzeugt, ich bin überwunden, und bitte Sie alle schamroth um Verzeihung. Meine allzugroße Zärtlichkeit war es selbst, die mich mistrauisch machte. Wo ist mein Freund? Wo ist Damon, daß ich auch ihn um Verzeihung bitten kann? Er hat zu viel für mich gethan. Ich weiß nicht, ob ich wache, oder ob ich träume. Mein Glück ist so groß, daß ich nicht weiß, wo ich bin. Der Schleyer des Vorurtheiles, der mich verblendet hatte, fällt auf einmal von meinen Augen.

ORGON. Nein, ließ erst den ganzen Brief! dann wirst du meine Absichten, als ich hieher reisete, besser erkennen.

GERONTE. Ich will ihn lesen: Geben Sie die zwo Hälften her! Ja, ja, mein lieber Timant, lernen Sie ein andermal klüger seyn! Für dießmal mag es noch hingehen.


Er liest.


»Sie geben mir alle Tage neue Zeichen Ihrer Freundschaft. Ich halte es für ein Großes, daß Sie Vertrauen genug auf mich setzen, um mich bey einer so wichtigen Sache, als Ihres Herrn Sohnes[82] Vermählung, zu Rathe zu ziehen. Was soll ich Ihnen sagen? Sie haben vortrefflich gewählet. Ich kenne Fräulein Climenen, sie ist schön und tugendhaft, und Ihres Sohnes werth.« (Hier kömmt das abgerissene Stück, hören Sie recht zu, Timant!) »Ich wünsche, daß ein so liebes Paar recht lange vergnügt mit einander leben könne. Zweifeln Sie nicht an dem Herzen Ihres Sohnes.«

TIMANT. Es ist genug, es ist genug, ich bin schon mehr als überzeugt. Ich sehe meine vorigen Thorheiten ein, und schäme mich meiner selbsten. Ist so ein Unsinniger, wie ich war, Ihrer Hand noch werth, Climene? Sie haben beständig geschwiegen; Sie sehen traurig aus; Sie haben freylich Ursache, zornig auf mich zu seyn. Der großmüthige Damon ist freylich Ihres Herzens besser werth. Ich leugne nicht, daß er eher verdienet –

PHILIPP stößt ihn. Stille doch! stille! das Mistrauen möchte sich wieder in das Spiel mischen.

CLIMENE. Ich gehorche meinem Vater. Ich freue mich, daß Sie Ihr gehabtes Unrecht erkennen, und wünsche, daß alles dieses genug Eindruck bey Ihnen machen möge, um Ihnen Ihr Mistrauen völlig abzugewöhnen.


Zu Lisetten.


Was das für eine Marter ist! Wenn ich doch nur in der Stille seyn könnte, um ruhig zu weinen, und ruhig zu sterben.

TIMANT. Ja, zweifeln Sie nicht, liebenswürdige Climene! Ich bin gerühret; ich bin überzeugt, ich werde mich ändern. Aber soll ich meinen großmüthigen Freund betrüben? Ich sehe, daß Sie ihn ungern verlieren. Wo ist er jetzo? Warum flieht er meine Blicke?

ORGON. Vielleicht aus Bescheidenheit und Großmuth. Er versprach, bald wieder hier zu seyn.

GERONTE. Nur kein Geplauder gemacht! Der Notarius ist schon oben; ich hatte ihn für den Damon holen lassen. Komm, wir wollen geschwind den Contract aufsetzen. Kommen Sie auch, Herr Schwiegersohn; Sie müssen auch dabey seyn.

ORGON. Ich will zugleich die Schenkung aufsetzen lassen, in der ich dir alle meine Güter übergebe.

TIMANT. Ich werde Ihnen in einigen Minuten folgen. Ich bin von einer so unvermutheten Freude so bestürzt, daß ich mich erst erholen und in der Einsamkeit zu mir selbst kommen muß. Ich folge Ihnen den Augenblick.[83]

GERONTE. Nun, so lassen Sie uns nicht lange warten. Komm, wir wollen mit einander gehen.


Geronte und Orgon gehen ab.


TIMANT macht Climenen eine ernsthafte Verbeugung. Komm, Philipp, ich habe viel zu überlegen. Ich habe etwas Wichtiges vor – Ich habe viel Zweifel.


Er geht ab.


PHILIPP. Nun, das heißt durch Thorheiten sein Glück gemacht. Mein Herr bekömmt Climenen! Die närrischen Leute sind doch allemal die glücklichsten.


Er geht ab.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 81-84.
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