Siebzehntes Kapitel.

[406] Welches unerfahrene Frauen darüber belehren wird, ob man darin die heiklen Fragen umgehen kann.


»Euer Majestät erinnern sich ohne Zweifel,« sagte Amanzei den nächsten Tag.

»Ja,« unterbrach heftig der Sultan, »ich erinnere mich, dass ich gestern vor Langweile beinahe starb; fragtest Du mich vielleicht darnach?«

»Wenn die Erzählung Sie langweilt,« sagte die Sultanin, »so soll er aufhören.«

»Nein, durchaus nicht, wenn's beliebt,« antwortete der Sultan, »ich will, dass man fortsetze, dass man mich aber nicht langweile, wenn möglich, es versteht sich, dass ich keine unmöglichen Dinge verlange.«

Amanzei ergriff wieder das Wort.[407]

»Sie, zum Beispiel,« fuhr Zulika fort »haben, wie ich fürchte, nicht zu viel Einsicht.«

»Sie thun mir Unrecht,« antwortete er mit ruhiger Miene, »ich bin von Natur für die Liebe sehr empfänglich, und dennoch muss ich gestehen, dass ich mehr Frauen gehabt, als ich deren geliebt habe.«

»Aber das ist ja niederträchtig,« versetzte sie, »ich begreife nicht, wie man sich dessen rühmen kann.«

»Ich rühme mich dessen auch nicht,« entgegnete er, »ich sage nur, was wahr ist.«

»Ich glaube,« sagte sie, »dass Sie viele Frauen betrogen haben.«

»Ich habe einige verlassen, aber keine betrogen,« antwortete er, »sie hatten mich gar nicht darum gebeten, beständig zu sein, demzufolge habe ich auch ihnen nicht versprochen, es nicht zu sein. Sie begreifen wohl, wenn man einander ohne Bedingung näher tritt, dass man sich auch von keiner Seite zu beklagen hat.«

»Ich wäre äußerst neugierig, alles zu erfahren, was Sie gethan haben?«

»Wollen Sie vielleicht eine umständliche[408] Geschichte meines Lebens erfahren?« entgegnete Nasses. »Es würde sehr lange dauern, und ich könnte Sie langweilen. Ich kann Ihnen jedoch gehorchen, ohne viel zu wagen, indem ich die Einzelnheiten umgehe. Es sind zehn Jahre her, dass ich mich in der Gesellschaft bewege; ich bin jetzt fünfundzwanzig, und Sie sind die dreiunddreißigste Schönheit, die ich erobert habe.«

»Dreiunddreißig!« rief sie aus.

»Es ist wahr,« antwortete er, »dass ich nur so viele gehabt habe, aber staunen Sie nicht darüber, ich war ja doch nie in der Mode.«

»Ach, Nasses!« sagte sie, »wie sehr bin ich zu beklagen, dass ich Sie liebe, und wie wenig werde ich auf Ihre Beständigkeit rechnen können?«

»Ich sehe nicht ein, warum,« antwortete er, »glauben Sie, weil ich dreiunddreißig Frauen gehabt habe, dass ich darum weniger liebe?«

»Ja,« versetzte sie, »je weniger Sie geliebt hätten, umsomehr könnte ich es glauben, dass Sie noch im Stande seien, zu[409] lieben, und dass Sie endlich nicht völlig gefühllos seien.«

»Ich glaube,« entgegnete er, »Ihnen bewiesen zu haben, dass mein Herz nicht erschöpft ist, übrigens, um aufrichtig mit Ihnen zu reden, so gibt es wenige derartige Verhältnisse, wo das Gefühl dabei etwas zu thun hat. Die Gelegenheit, die Privatrücksichten und der Müßiggang erzeugen sie fast alle.[410] Man sagt sich gegenseitig, ohne davon überzeugt zu sein, dass man sich liebenswürdig findet man vereint sich, ohne einander zu vertrauen, man weiß, dass es umsonst ist, Liebe zu erwarten, und man verlässt sich noch, ehe man sich langweilt. Es geschieht auch manchmal, dass man sich in dem täuschte, was man erwartete und was man fühlte; man hielt das für Leidenschaft, was nur ein oberflächliches Gefallen und eine kurzdauernde Hingebung war, welche sich während des Vergnügens schon erschöpft, anstatt dass die Liebe von neuem daraus entstehen möchte. Nach all dem kann man, wie Sie sehen, viele derartige Verbindungen gehabt haben, ohne deshalb noch wahrhaft geliebt zu haben.«

»Sie haben also noch niemals geliebt?« fragte sie ihn.

»Verzeihen Sie,« sagte er, »ich habe schon zweimal bis zur Raserei geliebt. Aber Sie, die Sie mich so ausfragen, wäre es nicht auch meinerseits erlaubt, auch Sie zu fragen, wie vielmal Sie sich verliebt haben?«

»Ja,« erwiderte sie, »ich würde es Ihnen recht gerne erlauben, wenn ich es[411] Ihnen nicht schon gesagt hätte, denn es ist Ihnen nicht unbekannt, dass Mazulhim und Sie die Einzigen sind, welche mir gefallen konnten.«

»Wenn wir einander weniger kennen würden,« erwiderte er, »so wäre es begreiflich, dass Sie so zu mir sprächen. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, obzwar es unmöglich war, Mazulhim zu verleugnen, und Sie es dennoch thun wollten; aber jetzt, da unser gegenseitiges Vertrauen hergestellt ist und ich vor Ihnen nichts mehr zu verbergen habe, so scheint es mir ganz eigenthümlich, ich gestehe es, dass Sie mich nicht zum Vertrauten Ihrer Geheimnisse machen wollen.«

»Sie würden es gewiss sein,« erwiderte sie, »wenn ich mir welche vorbehalten hätte, aber ich schwöre Ihnen, dass ich mir in dieser Beziehung nichts vorzuwerfen habe, und dass es mir selbst staunenswert ist, dass ich so großes Vertrauen in Sie setze, seit der kurzen Zeit, in welcher ich Sie liebe.«

»Es freut mich, Madame,« antwortete er mit gereizter Miene; »trotzdem erlaube ich[412] mir zu bemerken, dass auf die Art, wie ich mich Ihnen anvertraut habe, ich wohl das Recht hätte, dasselbe von Ihnen zu erwarten.«

Nach diesen Worten wollte er sich entfernen, aber sie hielt ihn zurück.

»Was ist denn das für eine Laune, Nasses,« fragte sie ihn zärtlich, »wie kommt es, dass Sie es vorhin für ein Vergehen hielten, an dem, was ich sagte, zu zweifeln, da es scheint, dass Sie sich jetzt einen Vorwurf daraus machen, mir zu glauben?«

»Wenn ich es Ihnen schon sagen muss, Madame,« antwortete er, »vorhin glaubte ich Ihnen nicht; aber da ich derzeit mit einem für mich viel dringenderem Interesse beschäftigt war, so glaubte ich, es wäre besser, Sie davon zu überzeugen, als in Einzelnheiten einzugehen, die Ihnen in diesem Augenblick missfallen könnten, und die ich auch gar nicht das Recht hätte, von Ihnen zu verlangen.«

»Aber Nasses,« sagte sie, »ich schwöre, dass ich Ihnen nichts zu sagen hätte, als das, wovon ich sprach.«

»Das ist nicht möglich, Madame,« unterbrach[413] er barsch. »Seit den fünfzehn Jahren, wo Sie sich in der Gesellschaft bewegen, ist es unglaublich, dass Sie nicht oft Anträge bekamen, und dass Sie sich nicht wenigstens einigemal ergeben haben. Sie wären die erste, die in einer so geraumen Zeit nur zwei Liebhaber gehabt hat, oder Sie wären gezwungen einzugestehen, dass die Vorliebe für galante Abenteuer sich bei Ihnen sehr spät einstellte.«

»Das wäre nichts so Neues, dass man es so unglaublich finden könnte,« antwortete sie; »und ich müsste mich sehr täuschen, wenn es nicht auch anderen geschehen wäre, so lange gleichgiltig zu bleiben.«

»Ich habe Ihnen gewiss nichts zu sagen, aber wenn es wahr wäre, und ich Ihnen über diesen Gegenstand etwas zu vertrauen hätte, so würde ich es aus Furcht, Sie zu verlieren, nicht thun. Ich weiß, dass solchen Vertraulichkeiten stets die Verachtung folgt, und obzwar wir sie der Person, die wir lieben, nicht schuldig sind, so ist es doch sehr selten, dass deren Eitelkeit es uns verzeihe, nicht der erste gewesen zu sein, der uns beglückte.«[414]

»Aber welche Idee,« sagte er ihr, »wer, ich? Ich sollte Sie deshalb verachten, weil Sie mir damit einen Beweis Ihrer Zärtlichkeit gegeben, indem Sie mir alles gestanden haben, was Sie gethan haben? Nun gut, Sie haben Mazulhim geliebt, war ich denn darüber erstaunt? Habe ich Sie deshalb minder geschätzt? Warum sollten einige Liebhaber mehr oder weniger auf mich einen unangenehmen Eindruck machen? Habe ich deshalb, weil dieselben mir vorangingen, mit Ihnen einen Streit auszufechten? Ist es Ihre Schuld, dass mich das Schicksal nicht zuerst vor Ihre Augen führte? Nein, Zulika, nein; ich bin nicht einmal der Ansicht, dass eine Frau, die viel geliebt hat, nicht fähig sei, noch zu lieben! Weit entfernt davon zu glauben, dass das Herz sich durch übermäßige Liebe erschöpfe, bin ich im Gegentheil überzeugt davon, dass man, je öfter man liebt, umso lebhaftere Gefühle hat.«

»Nach diesem Grundsatz,« erwiderte sie, »wären Sie also gar nicht geschmeichelt, der erste Liebhaber einer Frau zu sein?«

»Ich gestehe, dass nein,« erwiderte er,[415] »und ich habe darüber meine eigene Ansicht, die Ihnen vielleicht lächerlich erscheint. Wenn eine Frau in dem zarten Alter, wo sie noch nicht geliebt hat, es wünscht, geliebt zu werden, so ist es weniger, dass sie durch das Gefühl dazu gedrängt wird, als aus Neugierde es zu kennen; sie hat vielleicht weniger das Verlangen, zu lieben, als zu gefallen, man blendet sie mehr, als man sie rührt. In einem Herzen, worin die schwächsten Regungen durch ihre Neuheit bemerkenswerte Gegenstände sind, wird die geringste Erregung zum Entzücken, und das einfachste Verlangen zur Wollust.«

»Vielleicht übertreibt man in der That diese Regungen,« antwortete Zulika. »Nein, Nasses, so ungünstig Sie auch diese ersten Gefühle schildern mögen, so würde ich Sie, wenn es möglich wäre, noch tausendmal mehr lieben, wenn ich die Erste wäre, der Sie huldigten.«

»Sie würden dabei mehr verlieren, als Sie denken,« erwiderte er, »ich bin jetzt tausendmal mehr im Stande, das zu schätzen, was Sie wert sind, als ich es derzeit im Stande war, wo Sie gewünscht haben, dass[416] ich Sie geliebt hätte. Damals entging mir alles, Geist, edles Gefühl, ich war immer verführt, liebte niemals, mein Herz empfand nie etwas dabei, selbst in jenen Augenblicken, wo ich hingerissen von einem Entzücken, nicht mehr mir selbst angehörte, dennoch hielt man mich für verliebt, ich glaubte es auch zu sein, man rühmte sich, dass man im Stande war, meine Sympathie erweckt zu haben, und ich selbst war entzückt darüber, einer so zarten Leidenschaft fähig zu sein.«

»Unaufhörlich zu Füßen jener, die ich liebte, war ich manchmal schmachtend, niemals erschöpft fand ich in meiner Seele tausend Hilfsquellen, dass ich erstaunt war, so wenig Gebrauch von ihnen gemacht zu haben. Ein einziger Blick goss Feuer und Verwirrung in meine Sinne, meine Phantasie war immer hoch über meinen Freuden ...«

»Ah, Nasses!« rief Zulika lebhaft aus, »nein! Sie lieben nicht mehr so, wie Sie damals liebten!«

»Tausendmal mehr,« erwiderte er, »in der Zeit, von welcher ich Ihnen erzähle,[417] liebte ich nicht. Hingerissen von dem Feuer meiner Jugend, verdankte ich alle Regungen ihr, die ich für Liebe hielt, und ich fühlte wohl seit dem ...«

»Ah,« unterbrach sie, »es ist unmöglich, dass Sie nicht eine Täuschung erlebt hätten. Denn die Eifersucht, das Misstrauen und tausend andere Ungeheuer, die Sie sich damals kaum in Ihrer Phantasie eingebildet hätten, vergiften jetzt Ihre Freuden. Ihr Geist konnte sich nur auf Kosten Ihres Herzens klären; Sie sprechen jetzt viel schöner über die Gefühle, aber Sie lieben nicht mehr so wahr.«

»Diese Vernunftsgründe,« erwiderte er, »waren eben so gut gegen Sie, wie gegen mich gerichtet, und ich muss es glauben, voraussetzend, dass Mazulhim Ihr erster Liebhaber war, dass Sie nicht mehr im Stande sind, so innig zu lieben, wie Sie ihn geliebt haben.«

»Ich wäre durchaus nicht überrascht sein,« erwiderte sie, »dass Sie diesen Gedanken hätten ... aber lassen wir das.«

»Durchaus nicht,« sagte er, »durchaus nicht.«[418]

»Übrigens,« fuhr sie erbittert fort, »nach der Art, wie Sie gelebt haben, ist es nicht überraschend, dass Sie schlecht von den Frauen denken.«

»Und wenn dem so wäre,« unterbrach er, »so ist die Art, auf welche die Frauen leben, die Ursache davon, dass ich von Ihnen schlecht denke.«

»Nein, ich schwöre es Ihnen,« versetzte sie mit verächtlicher Miene, »dass ich mir nicht die Mühe nehmen werde ...«

»Ah, ich verstehe,« erwiderte er, »Sie fürchten, dass es unnütz wäre? Sie wollen mir also durchaus nicht sagen, wen Sie geliebt haben?«

»Was?« rief sie aus, »Sie denken noch daran? Wenn Sie mich liebten, würden Sie an dem, was ich sage, zweifeln?«

»Wahrhaftig, Zulika,« sagte er zu ihr, »Sie mögen mir glauben, wenn es Ihnen beliebt, aber dieses ist höchst lächerlich.«

»Wie Euer Majestät zu sehen geruhen,« sagte Amanzei, »bemühte sich Zulika schon lange, das Gespräch von diesem Gegenstande abzuwenden ...«

»Sie that sehr wohl daran,« unterbrach[419] der Sultan, »aber Du hättest besser gethan, wenn Du Dir alle diese Abhandlungen erspart hättest, worin Du alles durcheinander mischtest. Du wirst doch zugeben, dass Du nur ein Schwätzer bist. Wie willst Du denn, dass man an solche Schlechtigkeiten glaube; mit einem Worte, schließe Deine Geschichte.«

»Zulika,« so setzte Amanzei fort, »widersetzte sich noch lange den Drängen des Nasses. Endlich schien es, dass sie sich ergeben wollte, nachdem sie sich zuvor das Versprechen geben ließ, dass er sie deshalb nicht geringer schätzen werde.«

»Je mehr ich mich gesträubt habe, Ihre Neugierde zu befriedigen,« sagte sie zu ihm, »umso weniger sollte ich Ihnen jetzt nachgeben, Sie wären mir vielleicht weniger dankbar für das Geständnis, welches Sie mir endlich entreißen, als Sie mir zürnen, Ihnen dasselbe so lange verweigert zu haben.«

»Sie werden Unrecht haben, es kann Ihnen nicht unbekannt sein, dass es viel leichter ist, mit einer Frau einneues Verhältnis anzufangen, als sie dazu bewegen, jene einzugestehen, die sie schon gehabt hatte. Ich[420] weiß nicht, ob es aus Falschheit ist, dass manche Leute so denken; aber was mich betrifft, so kann ich es Ihnen schwören, dass mein Stillschweigen keinen unwürdigen Grund hatte. Ich halte es für unmöglich, dass man sich mit Vergnügen einer Schwäche erinnert, deren Reiz bereits erblasst, oft von Vorwürfen begleitet, oder die Erinnerung an einen treulosen Geliebten zurückläßt.«

»Das ist sehr wahr,« sagte Nasses, »eine zartfühlende Frau ist immer sehr zu beklagen.«

»Alles recht gut,« sagte der Sultan, »aber für das Vergnügen, welches ich Dir bereite, indem ich Dir zuhöre, wünsche ich, dass Du die Fortsetzung auf Morgen verlegst, denn ich will noch nicht sagen, das Ende dieser unerhörten Geschichte.«

Quelle:
Crébillon Fils: Sopha. Prag [1901], S. 406-421.
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