|
29. Aug. 1639.
Auf den Ps.: »Wol dem der barmhertzig ist vnd gern leihet ...« folgt:
Die Worte dieses Gesanges in Reime übersetzet:
O Selig! dem sein Hertz von Wehmuth leicht muß wallen,
Der gerne leiht, vnd nichts so wol sich lesst gefallen,
Als daß kein armer Mensch aus Noth muß vor jhm stehn,
Der von jhm vnbegabt vnd trost-loß solte gehn.[63]
Zwar daß er selbst für sich (wie billich) embsig wache,
Vnd suche, wie er kan, die Wolfahrt seiner Sache,
Doch daß er gehen mag auch fein gerade zu,
Vnd sehe, daß er ja nicht andern vnrecht thu.
Im fall er also lebt, so ist er gantz ohn Sorgen
Vnd fraget nichts darnach, was heut jhm oder morgen
Zu handen stossen sol, er bleibt ohn maaß vnd ziel,
Ob gleich dieß Augenblick die Welt zu boden fiel'.
Auch stirbt sein Nahme nicht, denn wieder den Gerechten
Mag die vergessenheit, wie starck sie ist, nicht fechten,
Er liegt doch jmmer ob. Wenn nun das Glück ergrimmt,
Vnd wieder solchen Mann vergallt zusammen stimmt
Mit Plagen mancherley, wenn grosse Trübnus-Wellen
Empören wieder jhn das gantze Reich der Hellen
Vnd stürmen zu jhm ein, so fürchtet er sich nicht,
Sein Hertz hat hingestellt auff Gott die zuversicht
Vnd trutzet aller Macht; gesetzt daß Berg vnd Hügel
Bewegten jhren Grund, zersprengten Schloß vnd Riegel
Vnd drewten schweren Fall, der Sternen helles Hauß
Schlüg' auff die Welt herab, die Vfer riessen auß
Vnd liessen über vns noch eine Sünd-fluth kommen,
So hat sich Er dennoch in solchen Schutz genommen,
Der jhn gantz furcht-loß helt; Er ist in Gott gekehrt
Mit Hoffnung starck verschantzt, vnd achtet nichts so wehrt,
Das jhm den festen Sinn im minsten möchte heben:
Recht wie ein hoher Felß mit Fluthen rings vmbgeben
Der Wolcken Dach berührt, vnd nichts nach allem fragt,
Wie wild auff jhn die See mit Sturm vnd Wellen jagt.
Er ist vnd bleibt getrost in Gottes zuvertrawen,
Biß daß er seine Lust an seinen Feinden schawen
Vnd jhrer lachen kan, die selbst ohn allen zwangk
Gerades weges gehn auff jhren vntergangk,
Der Seelen grosse Qual. Doch pflegt er vnterdessen
Des lieben Armuths nicht daneben zu vergessen,
Er strewet reichlich auß, sagt, seine Schuld-gebühr
Sey guttes thun, vnd nimpt von Gott den Lohn dafür,
Den die Gerechtigkeit an jhm wird ewig preisen.
Sein Lob wird herrlich sich vor allem Volck' erweisen,
Sein Horn erhöhet stehn. Danckt alle welt nun ab,
Folgt nach der Zeit-Gewalt vnd legt sich in das Grab,
So kömpt noch Er davon, er kan dem Todes-Bette
Entgehen wenn er wil, vnd lebet in die wette
Selbst mit der Ewigkeit. Sein Feind wird dieses sehn,
Der Gotts-vergeßne Feind, vnd alles was geschehn,
Wird vnmuth vnd verdruß in seiner Seel' empfinden
Vnd bloß auß vngedult in Eiffer sich entzünden,[64]
Wird sprechen bey sich selbst: Pfui jmmer, pfui dich an,
Daß jenem nicht dein Neid die Wolfahrt hindern kan!
Schaw, wie er grünt vnd blüht! dieß wird er erst gestehen
Vnd nachmals vnverhofft vor Mißgunst vntergehen.
O grosse Billigkeit! denn welcher Stricke stellt
Der Vnschuld, wird mit recht darinnen selbst gefellt.
Buchempfehlung
Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.
546 Seiten, 18.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro