|
[24] Dv fromme Seel' empfängest schon
Vor deine Last den Tagelohn,
Kanst zeitig Feyer-Abend machen:
Du hast sehr früe die trübe Nacht
Des Todes hinter dich gebracht,
Nach welcher wir so sorglich wachen.
Wol dir! dem Treiber, der dich drang
Vnd dich so sehr zur Arbeit zwang,
Ist nun der Stecken gantz zerbrochen,
Der Höchste sahe deine Noht
Vnd hat durch einen sanfften Todt
Dir deinen Groschen zugesporchen.
Wie wol vnd lieblich mag es nun
Dir auff des Tages Hitze thun,
Die Sonne wird dich nicht mehr stechen,
Der Mond dir nicht beschwerlich sein,
Auch wird nicht Durst noch Hungers Pein
Die Kräffte deiner Seelen schwächen.
Deß Lebens Qual fleusst vor dir hin,
Durch den erquickstu Hertz und Sinn,
Vnd gehst einher in voller weide,
Der Frommen völligste Begier
Das höchste Gut giebt selbst sich dir
Vnd stärckt dich zu stets-newer Frewde.
Du hast, wie mir gesaget ist,
Eh' als du abgeschieden bist,
Den Vorschmack dessen schon empfunden,
Drumb rieffstu nu: Herr nimb mich auff
Vnd ende meinen schweren Lauff,
Daß auch bestürtzt, die vmb dich stunden.
[24]
Mich hat wol tausentmal gerewt,
Daß ich nicht deine Frewdigkeit
Zum Sterben selbst hab' angesehen:
Du hettest mich noch eins so sehr
Behertzt gemacht je mehr vnd mehr
Zugleich vmb solchen Todt zu flehen.
Der Frommen Abschied muß fürwar
Nichts anders sein, als wie jhn zwar
Des Herren Wort vns vor-wil-mahlen,
Gott pflegt die Seufftzer vnd die Flut
Der Zähren ja mit dem, was gut
Vnd nicht was bös' ist, zu bezahlen.
Wie lieb wird deines Krantzes Zier
Gewesen sein, mit dem du hier
Dein keusches Leben woltest schliessen,
Dein Heyland vnd der Frommen Schar
Wird sonderlich das güldne Haar
Sieghafster Keuschheit an dir küssen.
Er selbst ein vnbeflecktes Lam
Hat dort sich dir zum Bräutigam
Vor andern wollen vorbehalten:
Da wird nun seine Lieb' vnd Trew',
O schöne Braut, dir stündlich new'
Vnd über dir nun ewig walten.
Wolan, besitze was du hast,
Geneuß der Außerwehlten Rast,
Wir bawen hie das Thal der Thränen,
Vnd müssen vns durch manches Leid,
Durch manches Wetter, Müh' vnd Streit
Nach dem, was du schon hast, nur sehnen.
Sey tausent tausentmal gegrüsst!
Vnd bleib, O Seele, wie du bist:
Die ohne Trost vmb dich sich fressen
Thun was den Heyden nur angeht
Vnd übel bey vns Christen steht,
Vnd haben aller Schrifft vergessen.
O Jesu, vnsrer Hoffnung Grundt,
Der du vns deinen Gnaden-Bund
Im Worte giebest zu erkennen,
Laß vns in aller Noth vnd Pein
Dir dienstlich vntergeben sein,
Vnd stets in deiner Liebe brennen.
[25]
Vnd wenn du nun ein Lebens-Fürst
Mit vns ein Ende machen wirst,
Kömpst vnsre Hütten auffzuräumen,
So gieb, O höchster Gott, daß wir
Mit Glauben wol versehen dir
Zu folgen wissen ohne seumen.
Buchempfehlung
Die vordergründig glückliche Ehe von Albertine und Fridolin verbirgt die ungestillten erotischen Begierden der beiden Partner, die sich in nächtlichen Eskapaden entladen. Schnitzlers Ergriffenheit von der Triebnatur des Menschen begleitet ihn seit seiner frühen Bekanntschaft mit Sigmund Freud, dessen Lehre er in seinem Werk literarisch spiegelt. Die Traumnovelle wurde 1999 unter dem Titel »Eyes Wide Shut« von Stanley Kubrick verfilmt.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro