Morgen-Lied an der Mittwoche

[486] Der Nacht Gefahr und Grauen

Ist dießmahl auch vorbey,

Das Tag-Licht läßt sich schauen,

Das wache Hahn-Geschrey

Sagt, daß es Morgen sey.


Die Welt springt aus dem Bette

Zur Arbeit die sie kan,

Es legt sich umb die Wette

Zugleich ein jederman

Mit Kleid und Sorgen an.


Ich wil für allen Dingen,

Gott, deiner Liebe Macht

Auff meinem Psalter singen,

Daß Du mich diese Nacht

So väterlich bewacht.


Ich hab' als tod geschlaffen

Ohn Sinn und ohn Verstand,

Beschirmt durch keine Waffen

Für Sathans starcken Hand,

Für Dieberey und Brand,


Ohn daß Du mich verborgen

In deiner Gunst Gezelt

Und hast aus treuen Sorgen

Dein Hut umb mich gestellt,

Die uns stets schadloß hält.


Kein Vater deckt die Kinder

So treu des Abends zu,

Daß jedes ihr nicht minder

Denn er gewünschet ruh

Als, treue Gott, mich Du.


So wil ich auch erhöhen

Dich, weil ich leb allhier,

Jetzt laß ich mit auffstehen

Die Seiten, meine Zier,

Dir dancken einig Dir.


Du bist Israels Hütter,

Wen Du beschützest, Gott,

Den schreckt kein Vngewitter,

Er schätzt der Höllen Rott

Vnd auch den Tod für Spott.
[486]

Er mag zu Lande fahren,

Er reise Seewerts ein,

Du wirst ihn wol bewahren,

Ihm wider alle Pein

Schild, Burg und Mauer seyn.


Nur nimm mich heut auch wieder

Mang deiner Engel Schaar,

Behüt mir Seel und Glieder,

Damit ich immerdar

Sey sicher für Gefahr.


Laß mich bescheiden wandeln

Vnd redlich allermeist

Mit meinem Nechsten handeln

Vnd dempff den Eifer-Geist

Der mich zu Boden reist.


So möcht' ich heut auch fallen

Vielleicht in Todes Strick.

O gieb, daß ich für allen

Auff jeden Augenblick

Mich zu dem Ende schick.


Herr, Du kanst alles geben,

Laß mich durch Lieb und Leid

Dir sterben, Dir auch leben

Wie hier in dieser Zeit

So dort in Ewigkeit.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 4, Halle a.d.S. 1938, S. 486-487.
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