Betrachtung der unseligen Ewigkeit

[501] O Eitle Welt, O kurtze Zeit,

Dort für der langen Ewigkeit,

Die ich mit nichts weis zu vergleichen,

Vnd keine Weißheit kan erreichen.


Ein Tröpffchen bey der großen See,

Ein Flöckchen itzt bey allem Schnee,

Ein Sandkorn bey der Erden

Möcht' etwas angesehen werden.


Allein auch so viel tausend Jah,

Als aller Welt Vieh träget Haarr

Der Frühling Graß, sind nicht zu, nennen,

Das Ziel der Ewigkeit zu kennen.


Was sind die kurtzen Jahre dann,

Die hie erreichen mag ein Mann,

Vnd wüst' er gleich mit langem Leben

Methusalem nichts nachzugeben?
[501]

Nun senckt man so viel tausend ein,

Die lang nicht achtzig-jährig seyn,

Stirbt wer von zehnmal sieben Jahren,

Der ist sehr alt dahin gefahren.


Das leugnet keiner, und gleichwol

Sind wir so blind und Thorheit voll,

Daß wir die Ewigkeit für allen

Vns lassen also leicht entfallen.


Wir bawen tieff in diese Welt

Vnd stehn nach Hoheit, Macht und Geld,

Zucht, Recht und Liebe muß erkalten

Vnd aller Frevel Platz behalten.


Diß wäre lang nicht so gemein,

Fiel uns die Ewigkeit recht ein,

Sie würd' uns bald das Fleisch betäuben

Vnd ihm den Kitzel wol vertreiben.


Sie züchtigt unsern geilen Sinn,

Sie ist der Sitten Meisterinn,

Sie ist der Brechzaum aller Lüste

Vnd macht den Weg zur Höllen wüste.


Kein Wüterich, der sie zuletzt

Ihm recht hat in das Hertz gesetzt,

War jemals von so harten Sinnen,

Die Ewigkeit kunt' ihn gewinnen.


Sie hat für königlichen Pracht

Ihn in ein hären Kleid gebracht,

Durst, Hitz' und Kält' und andre Plagen

Der Dürfftigkeit gelehrt ertragen.


Denn welches wilden Menschen Hertz

Ist so aus hartem Stahl und Ertz,

Der, wann er an die Glut gedencket,

Die ewig brennt, den Sinn nicht lencket?


Der Höllen-Hencker dreut uns dort

In Ewigkeit nur Quaal und Mord,

Er speyt aus seinem Bauch zusammen

Rauch, Nebel, Schwefel, Pech und Flammen.


Die Folterbanck und ihre Pein

Sind dort zu schlecht und zu gemein,

Dort ist viel ander Ungeheuer,

Viel andre Noht, viel ander Feuer.


Die Finsterniß, die vor der Zeit

Egypten schuff so grosses Leid,

Die Nachtgespenster und was Schrecken,

Furcht, Gram und Grauen kan erwecken.


Das Wetter das ohne ablaß schlägt,

Das Gifft das Todes-Angst erregt,

Antiochs Pein, Herodis Läuse,

Die Ratten Popiels, Hattons Mäuse,


Was Marter je erdacht Busir,

Der Römer Creutz, Perillen Stier,

Was Hunde Jesabel zerrissen,

Was Schlangen Israel gebissen.


Das höchste Leid, das alle Welt

Für groß und unerträglich hält,

Wird beydes einzel und mit Hauffen

Dort über uns zusammenlauffen.


Vnd wäret dieses Trauer-Spiel

Ach Ewig und ohn alles Ziel!

Der Tod der sehnlich wird gebeten,

Wird ewig, ewig von uns treten.


Es wird dort eines jeden Pein

Des andern und die unsre seyn,

Für welcher Angst und blossen Zeichen

Man tausendmal wol möcht' erbleichen.
[502]

Die hochbetrübte Melodey,

Das Zetter-, Noht- und Quaal-Geschrey

Der Leidenden wird ewig wären,

Vnd keiner wird daran sich kehren.


Bedencket dieses in der Zeit,

Vnd flieht die rohe Sicherheit

Die ihr allhie der Sünden Leben,

Das ewig tödtet, seyd ergeben.


Seht daß ihr in Bereitschaft steht,

Der eiteln Dinge müssig geht,

Durch wahre Reu euch Gott bequemet

Vnd eures FleischesReitzung zähmet.


Wir wissen umb die Stunde nicht,

Wenn uns der Tod stellt vor Gericht,

Drumb sollen wir zu allen Zeiten

Vns zu der letzten Fahrt bereiten.


Ist dann geendet unser Lauff,

Thun sich nur zweene Weg uns auff,

Der breite führt hinab zur Hellen,

Der schmale zeigt die Himmels-Stellen.


Die ihr allhie in Trübsal schwebt,

Verachtet, kranck und dürfftig lebt,

Seyd froh und hofft nach diesem Leiden

Die ewig-selig Himmels-Freuden.


Was ist es groß ein zehen Jahr

Vnd zwantzig leben in Gefahr,

Vnd tragen Noht und schmach auff Erden,

Vnd ewig dort erfreuet werden?


Hie herrschen eine kurtze Zeit

In Trotz und Vngerechtigkeit

Vnd wegen seiner bösen Thaten

Dort ewig in der Höllen braten?


O Gott schick deines Creutzes Glut

Vnd läuter unser Fleisch und Blut,

Such unsrer Schuld allhie zu lohnen

Vnd ewig unser dort zu schonen.

Quelle:
Simon Dach: Gedichte, Band 4, Halle a.d.S. 1938, S. 501-503.
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