Der Streit um die Krone

[212] Aufgeschwebt zu Ormuzds Hallen

War der Perser großer König,

Jezdedscherd, der Held und Sieger,

Den der Feind den Starken nannte,

Doch den Guten seine Völker: –

Jezdedscherd, der Löwentöter,

Der mit eigner Hand erschlagen

Hatte hundertachtzig Leu'n. –


Baram wurde, seinem Sohne,

Erb- und Kronrecht scharf bestritten

Von dem Kesra, dem Betrüger,[212]

Der des Königs Sproß sich rühmte

Und als Bastard schmähte Baram. –

Doch das schlaue Haupt der Magier

Plante beiden Wettbewerbern

Um die Tiara Untergang.


Denn mit starker Hand gebändigt,

Wie vor ihm kein Sassanide,

Hatte Jezdedscherd die Magier:

Nicht der Priester, nein, der König

War des Reiches Herr gewesen.

Wenig lieben das die Magier:

Und der alte kluge Mobed

Sann auf Sturz des Königtums. –


Also sprach er zu dem Volke:

»Nicht mit Waffen soll'n die beiden

Prinzen euch und sich zerfleischen

Um den Thron im Brüderkampfe:

Ormuzd gab mir Offenbarung,

Wie sich, sonder Blut der Perser,

Wird das bess're Recht entscheiden

Und das Echtblut Jezdedscherds.


Nach Madân, dem alten Stammschloß

Und dem Grab der Sassaniden,

Lad' ich vor die beiden Prinzen

Und der Perser Volk und Adel

Über dreimal sieben Tage:

Da wird offen sich erwahren,

Wer von beiden ist der echte

Sohn und Erbe Jezdedscherds.« –


Nach Madân, dem alten Stammschloß,

Strömte zum bestimmten Tage

Alles Perservolk zusammen.[213]

Auf den hundert Porphyrstufen

Standen sie des tiefen Zwingers;

Ringsum schauten von der Gräber

Hohen Marmormauern nieder

Hehrer Königsbilder viel.


Eingemeißelt schauten nieder,

Haar und Bart gedreht in Locken,

In den Augen Edelsteine,

Hochbediademte Herrscher,

Die auf Sichelwagen rollten

Feierlich und unbeweglich

Über hingemähte Völker. –

Doch der kluge Mobed sprach:


»Kennt ihr diese weiße Tiara,

Eurer Kön'ge heil'ge Krone? –

Seht, an langem Seile lass' ich

In die Mitte just des Zwingers

Niedergleiten die Besternte:

Links und rechts von ihr – vernehmt ihr

Aus den Gittern das Gebrülle? –

Liegen zwei gewalt'ge Leu'n.


Hungern ließ ich sie drei Tage.

Seht, nun springen auf die Gitter,

Seht, sie droh'n, sich zu zerreißen! –

Wer die Tiara aus der Mitte

Dieser beiden Leu'n sich holt, – ihn

Anerkennen wir als Erben

Jezdedscherds und unsern König, –

Aber keinen andern Mann.«


Da sprach Kesra, der Betrüger

– Er erbebte und erbleichte –:[214]

»Baram, dir gebührt der Vortritt,

Da du dich den Ältern rühmest.«

Aber Baram, er, der Schlanke,

Sprach kein Wort: hinab zum Zwinger

Stieg er raschen Schritts die Stufen,

In der Hand des Vaters Schwert.


Um die Linke, statt des Schildes,

Schlägt er seinen Purpurmantel,

Und den Wärtern winkt er: »Öffnet!« –

In den Zwinger tritt der Jüngling;

Atemlos schaut auf ihn nieder

Alles Volk der Perser, aber

Mobed flüstert zu den Seinen:

»Schon sind wir des Kühnern frei.«


Grimmig hatten sich bisher die

Beiden Leu'n, des Sprungs gewärtig,

Angestarrt, die fürchterlichen

Pranken vorgestreckt, nach oben

Leis' den Hinterbug gehoben,

Mit dem Schweif die Flanken peitschend:

Stacheln gleich die Mähne sträubend

Mit entsetzlichem Gebrüll.


Keiner ließ den Blick des Auges

Von des Gegners Auge gleiten;

Aus dem Rachen troff vor Hunger,

Troff vor Gier und Wut der Geifer;

Jeder maß genau die Weite,

Maß die Höhe, daß er sicher

Auf des Feindes Nacken wage

Überwältigenden Sprung.
[215]

Doch sowie sie nun den Jüngling

Schreiten sahen in den Zwinger,

Wie des Menschen Duft sie sogen,

Stürzten sie sich beide wütend

Auf die schwäch're, süß're Beute. –

Durch das Auge ins Gehirn stieß

Sichrer Hand der Held dem einen

Ungetüm den scharfen Stahl.


Und bevor das Haupt das andre

Aus dem falt'gen Mantel wirrte,

Fuhr ihm in den Nackenwirbel

Und ins Lebensmark die Waffe. –

Links und rechts lag ohne Zucken,

Tot, ein Löwe neben Baram,

Und er hob die blutbesprengte

Tiara auf das schöne Haupt. –


Da rief alles Volk der Perser:

»Heil dir, Sohn des Löwentöters!

Heil dir, Sproß der Sassaniden!

Heil dir, König aller Perser.«

Mobed floh zur Rechten, Kesra

Floh zur Linken in das Blachfeld:

»Soll'n wir sie verfolgen?« fragte

Baram sein getreues Volk.


»Laßt sie laufen!« lachte Baram.

»Aber wenn sie wiederkommen?«

»Wenn sie wirklich wiederkommen,«

Sprach der König, in die Scheide

Stoßend sein gesäubert Schlachtschwert,

»Schick' ich beiden nicht ein Kriegsheer, –

Einen Löwenschwanz entgegen: –

Das genügt. – Sie kehren um!« –

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 212-216.
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