Graf Walther und die Waldfrau

[329] 1.

Herr Walther ritt in den grünen Tann: »Nun will ich fröhlich jagen! –

Mein Rappe soll, so tief er kann, mich in das Dickicht tragen!«

Ein weißer Hirsch steigt vor ihm auf, die Haselzweige krachen,

Herr Walther folgt in raschem Lauf, – ihm ist's, er höre lachen.

Er wirft den Speer, doch trifft er nicht: – ihm ist's, er höre raunen,

Als wimmelt's unter den Zweigen dicht von Elben und Alraunen.

Da hält der Hirsch vor'm Buchenbaum, sein Fuß pocht an die Rinde: –

Herrn Walthern ist's als wie ein Traum: – auf springt der Baum geschwinde.

Und sieh', ein wunderschönes Weib tritt draus hervor mit Prangen:

Die hat um ihren süßen Leib goldgrünen Mantel hangen,

Sie hat einen Buchenblätterkranz um ihre blauschwarzen Locken.

Herr Walther war von all' dem Glanz in tiefster Brust erschrocken:

»Nun bin ich in der Waldfrau Bann, mein Herz ist mir genommen!«

»Herr Walther, seid im grünen Tann vieltausendmal willkommen!

Nun wählet eine kurze Wahl, ob ihr wollt nach Hause reiten,

Ob ihr werden wollt mein Lustgemahl und ruhn an meiner Seiten,«[329]

»Frau Waldfrau, nein, o laßt mich los, ich bin ein Christ, ein Ritter« –

»O lieblich ist's auf grünem Moos, unter dichtem Blättergitter« –

»Mein Liebchen Anna blond und treu, die würd' ich bitter schmerzen.«

»Dein Liebchen liebt bald wieder neu: es gibt nicht treue Herzen.« –

Und ihre Harfe stimmte sie leis und süß war ihre Gebärde:

Herrn Walther traf ihr Auge heiß: er stieg von seinem Pferde: –

Der Rappe mit gesenktem Bug schritt langsam fort und ledig:

Die Waldfrau ihre Harfe schlug: – Gott sei Herrn Walther gnädig!

»Der Menschenweiber Lieb' ist kalt, sie lieben mit Gram und Schmerzen:

In der Waldfrau Adern Feuer wallt, ihre Lieb' ist glühend Scherzen.

Der Menschenweiber Leib verblüht: damit verblüht dein Lieben:

Der Waldfrau Schönheit ewig glüht: ihr Reiz wird nie zerstieben,

Die Menschenweiber quälen dich, die mit dem Herzen minnen:

Nicht Herz, nicht Seele habe ich, ich liebe mit den Sinnen!

Mein Kuß ist heiß, mein Mund ist rot, meine Augen sind zwei Flammen

Und wem ich meine Liebe bot, vergißt Gott und Welt zusammen.«

»Halt ein« – Herr Walther rief – »halt ein, du sollst nicht länger werben!

Ich will, ich will dein Buhle sein, und soll ich drum verderben!

Ja, du bist schön, – ich liebe dich, – von der Ferse bis zum Scheitel:

Ich will dich küssen, du küsse mich, und alles andre ist eitel.«[330]

Da sinkt er hin: ihr Auge lacht: über ihn ihre Locken fließen

Und über das Paar in grüner Nacht sich die Buchenzweige schließen.


2.

»Herr Walther, du rittest zum grünen Tann, nun sind's der Jahre sieben,

Herr Walther, du verlorner Mann, sag' an, wo bist du blieben?

Nun soll'n mit Kaiser Friederich wir all' nach Welschland fahren: –

Noch einmal will ich suchen dich, weil wir wie Brüder waren.«

Und in den Tann Graf Rüdiger ritt ein mit Horn und Hunden,

Sie riefen laut, sie riefen sehr: – kein Walther ward gefunden.

Graf Rüdiger zog auch vorbei an der Waldfrau Buchenhallen:

Er stieß ins Horn ein – zweimal, drei – gar sehnlich ließ er's schallen.

Herr Walther, der im Arm ihr schlief, sah auf und sprach im Traume:

»Mir war, als ob mich Hornschall rief: – wie lang lieg' ich hier im Baume?«

»Das war der Wind, der im Buchlaub strich; du weilst hier sieben Tage.

Mein Mund ist rot: komm, küsse mich: wer liebt, hat keine Frage!«

Und es sank sein Haupt in den Schoß ihr schwer, sein Blick schloß sich geschwinde,

Und vorüber zog Graf Rüdiger, und der Hornruf starb im Winde.


3.

»Und ob es nun zehn Jahre ist, daß uns Graf Walther fehle, –

Die Kirche nie ihr Kind vergißt und seine arme Seele!« –[331]

– So sprach der Bischof fromm und alt: – »wir wollen für ihn bitten.«

Und siehe, in den grünen Wald kam ein heil'ger Zug geschritten.

Mit Kreuz und Rauchfaß ging der Zug, mit Beten und Psalmensingen,

Der Bischof selbst die Glocke trug, und ließ sie hell erklingen.

So zogen sie waldaus, waldein, vorbei am Zauberbaume. –

Herr Walther rieb die Augen sein und sprach als wie im Traume:

»Mir ist, es rief mich Glockenschall: – wie lang lieg ich im Walde?«

»Das war am Fels der Wasserfall; zehn Tage sind's nun balde.

Komm, küsse mich: mein Mund ist warm: wer liebt, hat keinen Kummer.«

Da fiel sein aufgehobner Arm, sein Auge sank in Schlummer.

Und der Bischof sprach: »Ein Totenamt will ich nun Herrn Walther halten.« –

Und heimwärts zogen sie allesamt; – und die Glocken fern verschallten.


4.

»Und ob es nun zwölf Jahre ist, daß du mir bist entschwunden,

Ihres Liebsten Anna nicht vergißt, dein denk' ich in allen Stunden,

Der Mond scheint und die Nacht ist kalt und gespenstig sehn die Buchen,

Ich geh' allein im dunkeln Wald, muß meinen Liebsten suchen.

Sein Freund sagt: ›Er ist lang dahin‹ und der Bischof liest ihm Messen: –

›Er lebt noch!‹ saget mir mein Sinn: ich kann ihn nicht vergessen,

Ich such' ihn in dem öden Wald, such' ihn mit vielen Klagen!

Herr Walther, ach nun komme bald: sonst muß dein Lieb' verzagen.«[332]

Da sprang Herr Walther auf vom Pfühl: »Das war mein Lieb', sie rief mich!

Mach' auf, mach' auf! Hier ist's so schwül: – zu lang schon! – Ich verschlief mich!«

»Das war im Busch die Nachtigall: – du schläfst erst seit zwölf Tagen« –

»Nein, das ist ihrer Stimme Schall, nicht länger soll sie klagen.«

– »Und wär es auch das blonde Kind: – wohlan, was ist's nun weiter?

Sie ist trüb und kalt, wie die Menschen sind: ich bin ewig schön und heiter.

Die Menschenweiber quälen dich, die mit dem Herzen minnen.

Nicht Herz, nicht Seele habe ich, ich liebe mit den Sinnen.

Mein Mund ist rot, mein Kuß ist warm, komm, küsse mich und bleibe« –

»Dein Blick ist tot! Dein Kuß ist arm! Mir graut vor diesem Weibe!« –

– »Dein Liebchen wird bald trösten sich: ein Wahn ist treues Lieben« –

»Du lügst, du lügst! Laut ruft sie mich, sie ist mir treu geblieben!«

Er riß sich los, er rang mit ihr, seine Lust ward all' zu Grimme:

»Herr Gott im Himmel, hilf du mir,« rief er mit starker Stimme –

Da tat es einen Donnerschlag, der Baum war aufgespalten,

Herr Walther stand im hellen Tag, von Liebchens Arm gehalten.

»Nun Dank, so viel ich danken kann, daß du mir treu geblieben:

So mächtig ist kein Zauberbann, – es bricht ihn treues Lieben!«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 329-333.
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