[513] Gemach, mein Roß! – Tritt auf bedächtig!
Der Glühwurm nur erhellt den Steg:
Schwer reitet sich's im Buschwald nächtig,
Knorrwurzeln laufen über'n Weg:
Tags trägst du mich, – nun führ' ich dich,
Dir Schritt und Bahn zu zeigen
Mit Schweigen.
Du bebst? Du schnaubst? Ja! Waldnachtgrausen
Rührt eisig auch des Weidmanns Brust:
Die Mächte, die im Nachttann hausen,
Sie schrecken gern mit Schadelust.[513]
Schon mancher zog zu Wald zur Nacht, –
Kam nicht mit heilen Sinnen
Von hinnen.
Glutaugig faucht und klappt die Eule,
Im Hohlstamm ächzt der Waldschrat heiser,
Das Morschholz leuchtet rot in Fäule,
Und raschelnd schlüpft durch dürre Reiser,
Indes der Schuhu gellend lacht,
Das Wichtelvolk der braunen
Alraunen.
Doch plötzlich, mit gespanntem Bogen,
Harrt dort ein Räuber tief im Busch!
Spring' ein auf ihn, das Schwert gezogen: –
Da schwankt der Strauch im Windeshusch: –
Dich trog nur quer gekreuzt Geäst.
Da horch! Was kommt hoch oben
Geschnoben?
Was pfeift und schwirrt und johlt in Lüften?
Was hallt und tutet wie ein Horn?
Entstiegen aus des Abgrunds Schlüften
Hetzt seinen Hengst mit blut'gem Sporn
Der Heidengötter König da
Hoch über Baum und Boden –:
Herr Woden.
Voraus von Adlern, Geiern, Drachen,
Ein Schwirrgewölk voll Ungestüm,
Dann Bär und Wolf mit Lechzerachen,
Des Einhorns schreckbar Ungetüm,
Goldeber, Roßelch, Flügelhirsch,
Und hinterher die Schläger,
Die Jäger.
[514]
Voran mit hochgeschwungnem Speere,
Auf schwarzem Roß, Herr Woden du:
Und ewig strömen deinem Heere
Aufs neue wilde Helden zu:
Wer Hifthorn mehr als Orgel liebt,
Der folgt nach grausem Tode
Herrn Wode.
Der Rauhgraf, der die heil'gen Früchte
In frevler Hirschhetz niederritt,
Markfrevler, Wildschütz, Mordgezüchte,
Meineid'ge, – alle müssen mit:
Und weh, wen trifft das Nachtgejaid
Im Wald auf bösem Pfade –
Gott Gnade!
Den Schuldbewußten wird es hetzen,
Bis er den letzten Hauch getan.
Uns, Rößlein, darf es nicht verletzen:
Wir ziehn auf guten Werkes Bahn,
Und über uns wacht Gott der Herr,
Der aller übeln Geister
Bleibt Meister. –
Wer Vöglein pflegt, muß Kräutlein pflegen:
Heilkräft'ger Wurzeln weiß ich viel.
Dem todeskranken Kind zum Segen
Ausritt ich, als der Abend fiel:
Gerettet konnt' ich noch vor Nacht
Der Mutter und dem Leben
Es geben.
O Mutterauge, wie du strahltest
In Freudentränen wundersam!
Mit deinem Scheideblick du zahltest,
Was einst von dir an Weh mir kam,[515]
Als ich vor zwanzig Jahren sah
Zum Brautaltar dich schreiten – –
Vom weiten. –
Wer Nachtfahrt tut auf solchen Wegen,
Wie wir, mein Roß, der banget nicht:
Denn einer Mutter Dank und Segen
Umschirmt, ein goldner Schild, uns licht,
Und Gott hat uns der Englein Schar
Mit leichtbeschwingten Sohlen
Befohlen.
Ha sieh! – schon endet Wald und Dunkel –
Hier durch die letzten Bäume bricht
Der Morgenröte Goldgefunkel –
Alt Wirzburg liegt im Dämmerlicht –
Da steigt die Lerche trillernd auf:
Herr Gott, laß sonder Schranken
Dir danken.
Ausgewählte Ausgaben von
Balladen
|
Buchempfehlung
Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
746 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro