|
[72] Sieh' da das Untier mit dem spitzen Schwanze,
Das Berge übersteigt und Waff' und Wehr bricht,
Sieh' jenen, dessen Stank die ganze Welt füllt! –
So hub der Führer an zu mir zu reden.
Dann winkt' er jenem, daß er komm' ans Ufer
Nah her zum Rande der betretnen Steine.
Mit Haupt und Brust kam jenes schmutzge Sinnbild
Des Truges an das Ufer nun heran;
Den Schwanz indessen zog er nicht auf's Land.
Dem eines Biedermannes glich sein Antlitz,
So wohlgesinnt erschien er äußerlich;
Ein Schlangenleib indes war alles andre.
Zwei Tatzen hatt' er, haarig bis zur Achsel;
Bemalt mit Ringen und mit Knoten waren
Die Brust, der Rücken und die Flanken beide.
Nie machten Türken noch Tartaren Tücher,
Drin Einschlag sich so bunt dem Aufzug mischte,
Und nie begann Arachne solch Gewebe.
Wie manchmal Kähne wohl am Ufer stehen,
Zum Teil im Wasser und zum Teil am Lande,
Und so wie dort bei den gefräß'gen Deutschen
Der Biber sich, um Jagd zu machen, aufstellt,
So weilte jenes schnöde Tier am Rande
Der Steine, die des Sandes Ring beschließen.
Frei in dem Raum bewegte sich der Schwanz
Und aufwärts kehrt' er seine giftige Gabel,
Die nach Skorpionenart ein Stachel endet.
Mein Führer sagte: Wenden wir den Pfad
Ein wenig nun zur Seite bis zu jenem
Bösart'gen Tier, das dort am Ufer lagert. –
So stiegen wir hinab zur rechten Seite
Und taten auf dem Uferrand zehn Schritte,
Um Sand und Feuerregen wohl zu meiden.[73]
Als wir gelangt bis zu dem Tiere waren,
Erblickt' ich etwas jenseits auf dem Sande
Unfern dem Felsenabsturz Leute sitzen.
Der Meister sagte hier: Auf daß vollkommne
Erfahrung dieses Kreises du davonträgst,
So gehe hin und sieh auch ihr Verhalten;
Doch sorge, daß nur kurz dort dein Gespräch sei.
Bis du zurückkehrst werd' ich diesem sagen,
Daß seine starke Schultern er uns biete. –
So ging ich denn entlang dem letzten Ende
Des siebenten der Kreise ganz allein
Dorthin, wo trauernd jene Schatten saßen.
Aus ihren Augen brach der Schmerz hervor,
Bald hier, bald dort erwehrten mit den Händen
Sie sich der Dünste Glut und der des Bodens.
Nicht anders tun zur Sommerszeit die Hunde
Mit Schnauz' und Pfote, wenn gequält durch Bisse
Von Fliegen, Bremsen oder Flöh'n sie werden.
Zwar heftet' ich auf einige den Blick,
Auf die das Feuer schmerzentzündend fiel,
Doch kannt' ich keinen; nur ward ich gewahr,
Daß jeglichem am Hals' ein Beutel hing
Besondrer Farbe und besondren Zeichens;
Ihr Auge aber schien sich dran zu weiden.
Und wie ich blickend ihnen näher trete,
Seh' Blaues ich auf einem gelben Beutel,
Das Kopf und Haltung eines Löwen hatte.
Und als ich weiterhin das Auge wandte,
Sah einen Beutel ich so rot als Blut,
Der eine Gans aufwies, so weiß als Rahm.
Der aber eine blaue trächtge Sau
Auf seiner weißen Tasche zeigte, rief:
Was hast in dieser Grube du zu schaffen?
So geh denn, und weil du noch bist am Leben
Vernimm, daß bald mein Nachbar Vitaliano
Hier sitzen wird zu meiner linken Seite.[74]
Die sind aus Florenz, ich aus Padova.
Oft tun sie meinen Ohren weh mit ihrem
Geschrei: Wo bleibt der oberste der Ritter,
Der bringen soll die Tasche mit drei Böcken? –
Das Maul verzog er drauf, und gleich dem Ochsen,
Der seine Nase leckt, wies er die Zunge.
Und weil ich glaubte, daß mein längres Säumen
Ihn, der zur Eile mich gemahnt, erzürne,
Kehrt' ich zurück von den gequälten Seelen.
Ich fand den Führer, der schon auf den Rücken
Des grauenhaften Tiers war gestiegen.
Er sagte: Zeige dich nun stark und mutig!
Auf solcher Treppe gilts hinabzusteigen.
Doch setze du dich vorn; damit der Stachel
Dir nicht gefährlich sei, bleib' ich inmitten. –
Gleich einem, den des Wechselfiebers Schauer
Befallen, dem schon blau die Nägel werden
Und der sich schüttelt, sieht er nur den Schatten,
So wurde mir zu Mut bei jenen Worten;
Doch weckt' in mir sein Zuspruch jene Scham,
Die vor des Herrn Aug' dem Knechte Mut gibt.
Ich setzte mich zurecht auf jenen Schultern,
Und: Halte mich umschlungen, wollt' ich sagen,
Allein die Stimme drang nicht aus der Kehle.
Doch, der in andrer Not schon mir geholfen,
Umfaßte, als ich kaum erst aufgestiegen,
Und unterstützte mich mit seinen Armen.
Dann sprach er: Geryon, nun mach dich auf;
Doch steige langsam und in weiten Kreisen
Hinunter, denke an die neue Last. –
So wie das Schiff, verläßt es seinen Standort,
Erst rückwärts sich bewegt, so tat auch er;
Kaum aber fühlt er völlig sich im Freien,
So kehrt' er dorthin wo die Brust gewesen
Den Schwanz und braucht' ihn, gleich dem Aal, als Steuer,
Doch mit den Tatzen schlug die Luft er rudernd.[75]
Nicht größer war die Furcht des Phaëton,
So glaub ich, als die Zügel ihm entfielen,
Und sich verbrannt, wie noch zu sehn, der Himmel,
Noch die des Ikarus, als von den Schultern
Das Wachs ihm schmolz und sich die Flügel lösten.
Und: falsch ist deine Richtung! – rief sein Vater,
Als nun die meine war, wie ich gewahr ward,
Daß rings um mich nur Luft sei, und nichts andres
Mir sichtbar blieb, als nur das Ungeheuer.
Das schwimmt dahin, bedächtig, sachte, sachte
Im Kreise senkt es sich, doch fühl ich's nur
Weil mein Gesicht die Luft von unten anhaucht.
Schon hört' ich rechts das grausenhafte Tosen,
Das unter uns der Sturz des Wassers machte,
Weshalb ich Haupt und Blick nach unten neigte.
Da mehrte noch die Furcht sich vor dem Anprall;
Denn Feuer sah ich und vernahm viel Klagen,
Weshalb ich zitternd mich zusammenduckte.
Nun sah ich auch an all den argen Qualen,
Die rechts und links sich nahten, was zuvor
Ich nicht gesehn, das Sinken und das Kreisen.
Dem Falken gleich, der lang' in Lüften schwebte
Und, weil nicht Federspiel er sieht noch Vogel,
Den Falkner sagen macht: O weh du senkst dich! –
Der müde niedersteigt in hundert Kreisen,
Von wo er rasch sich aufschwang, und verdrießlich
Von seinem Herrn fern ab sich setzt und tückisch;
So setzte Geryon uns hart am Fuße
Der senkrecht steilen Felsenmauer ab,
Und als er sich entledigt seiner Last
Fuhr er dahin, wie von der Schnur die Kerbe.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Göttliche Komödie
|
Buchempfehlung
Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.
270 Seiten, 13.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro