Mein Herz als Mond verkleidet

[137] Rühr' im Schlaf an deine Wangen,

Hangen Tropfen an den Kissen,

Du und ich allein nur wissen:

Unser Sehnen hat vereint

Heiß sich in den Schlaf geweint.


Ach, mein Herz wie's liebt und leidet!

Spür es leis als Mond verkleidet

Weiß an deiner Tür.


Sehnsucht muß mit hellen Händen

Noch im Schlaf dein Zimmer blenden,

Und die blanken Scheiben schicken

Blicke, die tags dunkel bleiben;

Wo sie ungesehen fielen,

Steigen Lichter aus den Dielen.


Schweigen müssen Uhr und Zeit,

Sehnsucht spielt auf blauen Geigen,

Und wie einst auf Märzenauen

Werden Balken in den Räumen

Wieder kühn zu Knospenbäumen.

Und auch taut im Mond wie Eis

Lautlos deines Spiegels Glas,

Will mir Heimlichkeiten zeigen,[137]

Die der Spiegel nie vergaß,

Er, der zärtliche Vertraute,

Der nur lebt von deinen Augen

Und in deine Sehnsucht schaute.


Dicht an deinen weißen Wangen

Will ich deinen Atem fangen.

Was die Scham mir nicht gestand,

Küß ich aus dem Schlaf der kleinen, zagen, zahmen Hand.


Rötet Morgen sich im Land,

Auf dem roten Dach der Welt

Tötet sich der Mond gelassen;

Und wer ahnt in lauten Gassen,

Daß, wo Sehnsucht hingestellt,

Sich noch nachts das Pflaster hellt,

Und mein Herz, als Mond verkleidet,

Nächtlich blinde Wünsche weidet.


Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925, S. 137-138.
Lizenz:
Kategorien: