Dritter Reim

Venusinens nackter Spaziergang in Mailand und Flucht mit dem eisernen Reiter von Mailand

Venus kam zum Süden

Und verließ die Wagen,

Die sie unterhaltend

Mailand zugetragen.


Spät noch durch die Straßen

Ging sie durch den Regen,

Mußt' die Schlepp' hochfassen.


Eckehardt und Amor

Sahen unterdessen,

Wie die Bernhardiner,

Als ob nichts gewesen,


Wieder Menschen waren,

Tadellos in Haltung,

Mit frisierten Haaren.


Venusine machte

Mailand fast verlegen.

Müde tat die Dame

Still ihr Kleid ablegen.


Ganz als Göttin handelnd,

Unterm Schirme nackend,

Geht sie dort lustwandelnd.


Dunkelheit und Regen

Sind ihr sehr gewogen,

Haben undurchdringlich

Sie der Welt entzogen.


Einsam, ungesehen

Kann sie in den Straßen

Nackend sich ergehen.
[33]

Zu dem großen Dome

Kommt sie abends heiter.

Auf dem Platz, gußeisern,

Steht ein Standbildreiter.


Dieser möcht' sich rühren,

Zuckt in allen Nieten,

Venus zu entführen.


»Noch ist nicht die Stunde!«

Venus winkt hinüber,

Und die Liebessehnsucht

Geht ihm schwer vorüber.


»Erst,« ruft sie verstohlen,

»Muß ich hier noch spaßen,

Dann sollst du mich holen!«


Duft aus Venushaaren

Und von Venusbrüsten

Fühlten auf den Straßen

Alle, die gern küßten.


Ruchbar wird die Fährte

Einer Götterdame,

Die von höchstem Werte.


Und ganz Mailand mußte

Mit gehobnen Nasen

Venus Spur nachgehen,

Keiner konnt' sie fassen.


Stadtherr und auch Bauer

Rochen Feurigkeiten;

Alle fühlten Schauer.
[34]

Macht es der Schirokko,

Daß das Pflaster glühet?

Jeder zu erklären,

Sich erhitzend mühet.


Niemand kann es lösen.

Klärt sich's nicht im Guten,

Löst man es im Bösen.


An der Glaspassage

Stehen unter Hungern

Ein Paar arme Dirnen,

Brot sich zu erlungern.


»S'ist der Dirnen Rühren,«

Rufen Liebestolle,

»Das wir brennend spüren!«


Alle, die es sehen,

Wie die Dirnen leiden,

Alles spürt ein Hungern

In den Eingeweiden:


»Alle reichen Drohnen

Sollen heute teilen,

Die im Golde wohnen.


Stürmt! Sie sollen bluten!

Sengt und brennt mit Morden!

Wir, wir tragen Hunger

In der Brust als Orden.


Rottet Euch zusammen!

Werft sie wie die Ketzer

In des Hungers Flammen!«
[35]

Es beschwört die Hitze

Bilderspuk in Wüsten.

»Auf zum Paradiese!«

Schreit's aus dürren Brüsten.


Dürstend nicht nach Minne,

Morden sie mit Brennen, –

Blaß flieht Venusine.


Venusine schaudernd,

Funken in den Haaren,

Sieht die Stadt voll Wölfe

Und voll Raubtierscharen.


Menschen wie Hyänen

Über Leichen springen,

Blutdurst in den Zähnen.


Häuser rot wie Blumen

Schon voll Feuer glühen.

Venusine flüchtet

Nach dem Dom mit Mühen.


Erst beim Eisenreiter

In dem Eisensattel

Wird sie breit und heiter.


Dieser faßt sie zärtlich,

Kürzt des Pferdes Zügel.

Venusin umhalst ihn,

Er rückt fest im Bügel.


Setzt, – es ist 'ne Freude

Solchen Ritt zu sehen, –

Hoch aufs Domgebäude.
[36]

Als ob's Marmor regnet,

Steht in Zack und Strahlen

Mailands Dom auf Erden

Sehr zum Wohlgefallen.


Über Schnörkel, Spitzen

Sprengt der Reiter zierlich,

Ohne sich zu ritzen.


Oben angekommen

Auf der höchsten Platte,

Venusine wilde,

Blut'ge Tiefsicht hatte.


Rot voll Menschenmaden

Platzen die Paläste

Drunten wie Kaskaden.


»Ach,« rief Venusine,

»Lieber Eisenritter,

Minne wollt ich bringen,

Man versah sich bitter.


Seht, auch Mord will's geben!

Hunger ist die Allmacht

Nächst der Lieb im Leben.


Ihr allein von Allen

Konntet mich erspähen.

Euer Eisenauge

Kann im Dunkeln sehen.


Will auch nichts verschieben;

Drunten dieses Morden

Sei Musik beim Lieben!«
[37]

»Herrin Venusine,«

Sprach der Eisenreiter,

»Trag Euch gern durch Feuer,

Und trag Euch noch weiter.


Wollt Euch an mich schmiegen,

Mir die Lippen geben,

Könnt mich ganz verbiegen.


Wohl bin ich aus Eisen,

Bin nicht rostgefressen,

Nur beim Guß, o Herrin,

Hat man eins vergessen:


Man wollt' nicht markieren,

Daß ich männlich fühle,

Tat sich furchtbar zieren.


Meist bei Standesbildern,

Die zur Jetztzeit Mode,

Will man ganz vergessen,

Daß geliebt der Tote.


Seine Lebensstärke

Darf kein Weib erhitzen.

Falsch geht man zu Werke.«


Traurig kommt die Frage

Göttin Venusinen:

Wozu Standesbilder

Sonst auf Plätzen dienen?


Wenn sie Männlichkeiten

Ganz geschlechtlos zeigen

Und verflacht den Zeiten?
[38]

Schmach erfüllt den Ritter,

Der im Leben bieder

Gern die Frauen herzte.

Leere drückt ihn nieder,


Nichts dünkt ihm mehr munter.

Venus bleibt im Sattel,

Er stürzt sich hinunter.


Venus schließt die Augen,

Gibt dem Gaule Flügel.

Tauscht mit Mailands Mauern

Romas sieben Hügel.


Früh sieht sie vom Pferde

Schon Sankt Peters Kuppel

Und der Dächer Herde.


Wo sie einst Verehrung

Fand in allen Tönen,

Hofft sie mit den Menschen

Endliches Versöhnen.


Sie kann kaum noch danken,

Ihrem Eisenhengste

Schmelzen schon die Flanken.


Wiehernd kann er sprechen,

Fleht und wünscht zum Lohne,

Daß er Mensch jetzt würde

Und in Häusern wohne.


»Ach, ich muß besorgen,

Du wirst gern mal wieder,

Dich als Pferd verborgen.
[39]

Mensch«, spricht Venusine,

»Dies zu sein, erlaube,

Lohnt sich am geringsten

Heutzutage, glaube!«


Doch er tat beharren, –

Da macht Venusine

Zweifüßig den Narren.


Hoch tat er stolzieren

Dieser Gaul vor Allen;

Tat als Mensch gar eitel

Sich im Herz gefallen,


Trug 'ne Reisemütze,

Spiegelt seine Neuheit

Gern in jede Pfütze.


»Höre,« spricht die Göttin,

»Wird es Dir zum Bösen,

Daß du Mensch geworden,

Kann es Dich erlösen:


Grüßt Du eine Stute,

Macht sie Dich zum Hengste,

Frei vom Menschenblute.


Wirst wie einst die Eltern,

Gehst auf Deinen Hufen,

Bist ein Pferd wie jene,

Die Dich einst erschufen.


Troll jetzt Deiner Straßen!

Hätt zum Dank Dich lieber

Gleich als Pferd belassen.«
[40]

Venusine eilet,

Daß sie ihm entschwindet.

An dem Hauptbahnhofe

Sie's Gefolge findet.


Amor unter Küssen,

Eckehardt in Sorgen,

Kommen sie zu grüßen.

Quelle:
Max Dauthendey: Der Venusinen-Reim. Leipzig 1911., S. 29-41.
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