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[184] Vorfälle auf Madagaskar.
Wir legten an der Ostküste der Insel Madagaskar an, deren Bewohner wegen ihrer Wildheit und Verrätherei sehr berüchtigt sind, doch hatten wir uns einige Zeit nicht zu beklagen. Da ich gewohnt war, überall, wo ich hinkam, alles zu untersuchen, landete ich Nachmittags nebst einiger Mannschaft. Die Einwohner betrachteten uns mit vieler Aufmerksamkeit, dies beunruhigte uns aber gar nicht, das wir bis jetzt in gutem Vernehmen mit ihnen standen, und nach dortiger Sitte einige grüne Zweige vom nahen Gesträuche abgeschnitten, und vor uns hin in die Erde gesteckt hatten. Dies ist dort ein Zeichen des Friedens, das von den Einwohnern in einem gewissen Abstande ebenfalls gepflanzt wird. Der Zwischenraum dient zum gegenseitigen Verkehr, aber kein Theil darf über die[184] Zweige der Gegenparthei hinausgehen, was sogleich für eine Kriegserklärung gelten würde. Auch darf man nicht anders als unbewaffnet in jenen Zwischenraum kommen. Wir hatten schon einige Tage friedlich mit ihnen verkehrt, und von ihnen für unbedeutende Waaren, als: Messer, Scheeren, Spiegel, Knöpfe und dergl., eilf Ochsen, die zwar klein, aber fett und recht gut waren, nebst andern Lebensmitteln eingehandelt, auch brachten uns die Weiber Milch, Früchte und allerlei Wurzeln, und alles schien im besten Vernehmen zu stehen. Dies bewog meine Gefährten, die Nacht über am Lande zu bleiben, und zu dem Ende hinter unsern Zweigen eine Hütte zu errichten.
Obwohl ich nun Anlaß zu diesem Ausfluge an's Land gegeben hatte, so fühlte ich doch eine Abneigung, daselbst zu übernachten. Die Wilden waren in weit größerer Anzahl als gewöhnlich, und ein ängstliches Vorgefühl bewog mich, die Schluppe zu besteigen, und mich daselbst zur Ruhe zu begeben, nachdem ich das Segel über selbige hatte ausspannen lassen. Gegen zwei Uhr nach Mitternacht entstand ein klägliches Geschrei und Hülferufen von unsern Leuten am Lande, welche verlangten, daß die Schluppe, die aus Vorsicht etwa einen Steinwurf vom Ufer lag, dahin käme, um sie aufzunehmen, was ich denn nebst den zwei wachhabenden Matrosen auch sogleich bewerkstelligte. Während dem hörten wir fünf Gewehrschüsse, welche in Kurzem zweimal wiederholt wurden, ein Zeichen, daß sie in großer Gefahr waren, da sie nur fünf Gewehre bei sich hatten, und alle abfeuerten. Wir hatten in der[185] Schluppe drei geladene Gewehre, und ruderten mit Anstrengung an's Land, hatten aber das Ufer noch nicht erreicht, als unsere Seeleute uns schon im vollen Lauf, von 400-500 Wilden verfolgt, entgegenrannten und ins Wasser sprangen, um sich desto schneller zu retten. Von den neun Matrosen retteten wir sieben, davon drei verwundet waren, indem wir nur mit Mühe sie in's Fahrzeug nahmen, da ihre Angst und Verwirrung uns daran hinderlich, und wir dem Angriff der Feinde eben so sehr ausgesetzt waren als sie, so wie auch ihr unordentliches Heranstürmen uns verhinderte, unsere Gewehre auf den Schwarm der Wilden abzufeuern, die uns mit Wurfspießen und Pfeilen überschütteten; zum Glück war die Dunkelheit noch so groß, daß sie nur auf's Ungewisse hinschossen, und Niemand von uns verwundeten, indem wir uns mit einigen Planken und den Bänken des Fahrzeugs einigermaßen deckten. Dies besserte jedoch unsere gefahrvolle Lage nur wenig. Zwar hatten wir uns, sobald alle Mannschaft im Boote war, vom Strande entfernt, waren aber noch nicht ausser dem Bereich ihrer Geschosse, denn Einige hatten aus angstvoller Unbesonnenheit den Dreganker fallen lassen, so daß wir auf der Stelle bleiben mußten, weil wir uns, indem wir den Anker stehend hätten lichten müssen, zu sehr bloßgestellt hätten. Unser Schiff lag, des sichern Ankergrundes wegen, über eine halbe Stunde vom Lande. Als man dort das Feuern hörte, vermuthete man sogleich, daß wir in Gefahr wären, und mein Neffe sandte unverzüglich eine mit zehn Mann bewaffnete[186] Schluppe zu unserm Beistande ab, lichtete auch die Anker, und näherte, so viel es die Vorsichtigkeit erlaubte, dem Strande bis auf eine halbe englische Meile. Sobald die Schluppe herannahete, riefen wir ihnen zu, nicht in die Schußweite der Feinde zu kommen. Hierauf mußte einer unserer Matrosen ein Tau nehmen, dessen eines Ende an unserm Boote befestigt war, und mit dem andern zur Schluppe hinschwimmen, damit sie uns hinziehen konnten; wir kappten dann unsern Kabel, und wurden auf diese Art vom Strande ab und seitwärts entfernt, um nicht zwischen dem Schiff und dem Lande zu bleiben, und jenes zu verhindern auf dieses zu feuern, was denn auch sogleich und mit gutem Erfolg geschah, indem das Geschütz mit Kartätschen geladen worden, und die Feinde, die sich sehr vermehrt hatten, und am Strande in dichten Haufen standen, eine große Niederlage erlitten, wie aus ihrem Geheule sich abnehmen ließ, dessen kurze Dauer ihre schnelle Flucht allgenugsam erklärte.
Als wir wieder an Bord gekommen waren, besprach man sich über diesen Vorfall, und besonders über die Veranlassung desselben. Der Supercargo, der schon mehrere Reisen in diese Gegenden gemacht hatte, behauptete, es müsse jemand von der Schiffsmannschaft die Einwohner zum Zorn gereizt haben, weil sie uns nicht feindselig würden angefallen haben, nachdem sie uns als Freunde aufgenommen hatten. So war es auch. Ein Matrose, Namens Tho mas Jeffery, der mit einigen andern auf dem Platze des Zwischenraumes für etwas Lebensmittel handelte, hatte ein junges[187] hübsches Mädchen beleidiget, worüber ein altes Weib, das Milch zum Verkauf gebracht hatte, ein großes Geschrei erhob, und da der Matrose demungeachtet nicht aufhörte, sondern das Mädchen mit Gewalt in's nahe Gebüsch zog, so lief die Alte zu ihren Landsleuten, die, durch ihre Anklage erbittert, sich sogleich versammelten, und den Entschluß faßten, sich zu rächen, und ihn auf die angezeigte Art vollzogen. Jeffery und noch ein anderer Matrose wurden erschlagen, ehe sie das Boot erreichen konnten, das uns dies aber unbekannt war, so gaben wir das gewöhnliche Signal, daß die am Lande befindliche Mannschaft an Bord kommen sollte, und um sie aufzunehmen, mußten die Schluppen während zwei Tagen abwechselnd längs der Küste kreuzen; doch vergebens! Um jedoch nichts unversucht zu lassen, entschloß ich mich, beim Einbruch der Nacht mit einiger Mannschaft nochmals das Land zu betreten, um jene wo möglich zu finden und zu retten. Dies war aber wohl die thörichtste Unternehmung, eine Anzahl rachedürstender Seeleute, über die ich im Grunde, als Passagier, nicht die geringste Autorität hatte, an's Land zu führen, und mich zu überreden, ich würde sie nach meinem Sinne leiten können; denn obgleich der Supercargo mich begleitete, so hatte er doch eben so wenig Gewalt über die Mannschaft als ich, da sich solche lediglich darauf beschränkte, daß der Kapitän dahin fahren mußte, wo die Vortheile des Handels es verlangten.
Wir wählten zwanzig der entschlossensten Seeleute, deren Anführung der Bootsmann übernahm, und[188] landeten Abends um zehn Uhr an der nämlichen Stelle, wo die Einwohner unsere Leute überfallen hatten. Ich hoffte einige demselben dort anzutreffen, sie zu überraschen, und gefangen zu nehmen, um sie gegen die vermißten Matrosen auszuwechseln. Ich theilte die Mannschaft in zwei Trupps; den einen führte ich nebst dem Supercargo, den andern der Bootsmann an. Wir rückten in größter Stille und von einander getrennt vor, ohne etwas zu entdecken, bis wir weiter kamen, wo der Bootsmann in der Dunkelheit über einen Leichnam zu Boden fiel. Auf sein Geschrei machten wir Halt, und da bald nachher der Mond aufstieg, stellte sich uns ein gräßliches Schauspiel dar. Dreißig bis vierzig zerstümmelte Einwohner, von denen einige noch ächzten, lagen umher, und bestätigten die Wirkung unsers Geschützes. Da ich nun leicht schließen konnte, daß wenn auch die beiden Matrosen in die Hände der Feinde gefallen wären, sie gewiß würden erschlagen worden seyn, so befahl ich wieder zum Schiffe umzukehren. Aber hier fand ich das Ziel meiner eingebildeten Gewalt. Der Bootsmann und der größte Theil der Mannschaft hatten weit andere Absichten, als ihre vermißten Gefährten aufzufinden, sondern wollten sich rächen, und vorzüglich plündern. Hätten sie mich um Erlaubniß ersucht, unsere Unternehmung fortzusetzen, würde ich sie ohne anders verweigert haben, sie begnügten sich aber damit, daß der Bootsmann mir kurzweg bedeutete, er und sein Trupp wollten nicht rückwärts, sondern vorwärts, und mich und meinen Trupp einlud, mitzugehen. Meine[189] Leute, denen die Absicht der Uebrigen wohl bekannt war, befragten sich untereinander, ohne auf mich zu achten. »Willst du mitgehen?« – Ei, ganz gewiß. – »Und ich bleibe nicht zurück.« – Und ich will auch dabei seyn. – Ich auch; ich auch, und so weiter. Alle ließen mich, den Supercargo und einen einzigen, mir ergebenen Matrosen, dastehen, und schlossen sich an jene an. Dieser letztere nebst einem Schiffsjungen, den man im Boot gelassen, waren die Einzigen nebst mir und dem Supercargo, die zurückblieben. Umsonst stellte ich ihnen ihre Pflichten gegen den Kapitän und gegen die Rheeder vor, den Schaden, den sie diesen verursachten, die Gefahr, der sie sich ohne Noth aussetzten, kurz alle Gründe, welche Vernunft und Menschlichkeit mir eingaben. Alles umsonst! Es war als ob ich mit dem großen Mast gesprochen hätte, so fühllos blieben sie, und versicherten mich nur, sie würden sich schon so zu benehmen wissen, daß sie ihren Zweck erreichten, und in einer Stunde wollten sie schon wieder das seyn.
Die Stadt – wenn sie diesen Namen verdient – glaubten wir bisher, nach Aussage der Einwohner, sollte nur eine halbe Stunde entfernt seyn; sie lag aber über eine teutsche Meile weit tiefer im Lande, was das Unternehmen desto gefährlicher machte, besonders da keine eigentliche Straße dahin führte, und das ganze Gelände was jenseits unsers Marktplatzes lag, uns gänzlich unbekannt war. Das, was wir für die Stadt gehalten hatten, war nur ein Dörfchen von wenigen Hütten. Jene aber zählte deren über zweihundert, von denen[190] einige bedeutenden Umfang hatten, und unordentlich weit umher zerstreut lagen.
Unsere Mannschaft war wohl bewaffnet, jeder hatte ein Gewehr mit Bajonet, ein Pistol und einen Säbel nebst hinlänglicher Munition, und ausserdem hatten sie dreizehn Granaten bei sich. In solcher Verfassung verliessen sie uns, um den abscheulichsten Anschlag auszuführen. Als sie bei dem Dörfchen waren, berathschlagten sie, ob sie solches angreifen wollten, da es aber ihrer Habsucht nicht genügte und sie befürchteten, wenn nur ein Einziger entkäme, die Stadt, die ihnen größere Beute darbot, ihnen nicht nur entgehen, sondern auch die Einwohner zum Kampfe aufregen würde, so beschlossen sie klüglich, das Dörfchen in Ruhe zu lassen, und in Stille auf die Stadt loszugehen; sie wußten aber nicht, wo sie lag. Zum Glück fanden sie eine Kuh, die in einigem Abstande vom Dorfe an einem Baume angebunden war, und es kam darauf an, ob sie in dieses oder in die Stadt gehörte; im letzen Fall konnte sie ihnen zum Wegweiser dienen; sie banden sie los, und sie schlug zu ihrer großen Freude den Weg zur Stadt ein, wohin sie ihr folgten. Alles lag im tiefsten Schlafe, da man sich keines Ueberfalls versah; nur in einem Hause bemerkte man wachende Menschen, die, wie man nachher erfuhr, einige der Vornehmsten und vorigen Tags verwundet worden waren.
Die Seeleute berathschlagten sich, als sie die Stadt erreicht hatten, auf's Neue, und beschlossen in aller Stille durch die Straßen zu wandeln, alles wohl zu beschauen, und darnach ihre Maßregeln zu treffen. Es[191] bleibt immer merkwürdig, daß Menschen, welche im Begriff standen, die unsinnigste Handlung zu begehen, die Art ihrer Ausführung so weislich überlegten. Hätten sie die Hälfte dieser Ueberlegung auf die Frage verwendet: ob sie die That unternehmen sollten oder nicht, so würde sie ganz gewiß unterblieben seyn. Sie theilten sich nun in drei Trupps, um den Platz so gut möglich zu rekognosziren. Bis dahin waren sie bloß von Raublust und der Hoffnung beseelt, Gold zu erbeuten, als ein Umstand ihre Plünderungssucht in Durst nach Rache verwandelte, und sie zur Tigerwuth entflammte. Der eine Trupp war kaum zwanzig Schritte weit gegangen, als sie einen Körper sahen, der am Arme an einem Baum gehangen war, und bei näherer Ansicht erkannten sie ihn für denjenigen ihres Schiffskameraden Jeffery, der ganz abscheulich mißhandelt war; sie riefen den Uebrigen, welche sogleich sämmtlich herbeieilten, und bei dem gräßlichen Anblick, erst erstarrt, dann empört, dann rasend, den Wilden Tod und Verderben schwuren. Ohne weiters die Lage des Orts zu untersuchen, steckten sie ihn an beiden Enden und in der Mitte in Brand. Das Knistern der aufsprühenden Flammen und der Rauch weckte die unglücklichen Einwohner mit Schrecken auf; wohin sie aber flüchteten, fanden sie nirgends Rettung, sondern liefen ihren Mördern in die Hände, die ohne Ansehen, Männer, Weiber, Kinder niedermetzelten, was ihr Stahl und Feuergewehr erreichen konnte.
Während dem befand ich mich in großer Besorgniß, obschon ich mir die Sache bei weitem nicht so schrecklich[192] vorstellte; als es aber in der Ferne zu dämmern und bald darauf röthlich aufzuglühen anfieng, stieg mein Entsetzen auf den höchsten Grad, und ich sowohl als der Supercargo bejammerten den unseligen Entschluß, gelandet zu haben, um zwei Taugenichtse zu suchen, die noch nach ihrem Tode so gräulichen Unfug veranlaßten.
Auch auf dem Schiffe sah man die Flammen, und man weckte den Kapitän aus dem Schlafe, der sich alsbald auf das Verdeck begab, und befahl, die Schluppe auszusetzen, und da er mich und den Supercargo in Gefahr glaubte, so kam er selbst mit noch zehn Bewaffneten ohne die Ruderer, – denn mehr durfte er das Schiff nicht von Mannschaft entblößen. – Er war bei seiner Ankunft nicht wenig verwundert, uns Vier, von allen Uebrigen verlassen, in unserm Boot zu finden. Zwar freute es ihn, uns wohlbehalten zu sehen. Als ich ihm aber, so viel ich wußte, bekannt machte, und da er das immer schnellere Feuern und die vermehrte Glut bemerkte, entschloß er sich, mit seiner Mannschaft vorzurücken, um die Uebrigen, die er in großer Gefahr glaubte, zu unterstützen. Vergebens suchte ich ihn durch alle möglichen Vorstellungen davon abzuhalten. Das hieß einem Tauben predigen; er beharrte auf seinem Entschluß, und ich nahm den, ihn zu begleiten. Er ließ also zwei Matrosen in seiner Schluppe, ich ließ die beiden bei mir Gebliebenen in der meinigen, und so rückten wir, ich, der Kapitän, der Supercargo, mit eilf Mann dahin, wo das Feuern des Kleingewehrs und die Hellung der Flammen uns hinzog. Als wir[193] näher kamen, hörten wir auch das Geschrei und den Jammer der Unglücklichen. Ich hatte nie etwas Aehnliches gesehen; wohl hatte ich aus Erzählungen vernommen, daß Olivier Cromwel die ganze Bevölkerung der Stadt Drogheda in Irland ohne Unterschied habe umbringen lassen; auch das durch Tilly in Magdeburg angerichtete Blutbad war mir aus der Geschichte bekannt; aber obgleich diese beiden Greuelscenen, an Zahl und Umfang, weit über diejenige waren, die sich hier meinen Augen darbot, so machte doch diese einen weit tiefern und schmerzlichern Eindruck auf mich. Eine Menge getödteter, verwundeter, verstümmelter, ganz und halb verbrannter Menschen wälzten sich in ihrem Blute auf den Brandstätten und Schutthaufen ihrer Hütten. Weiterhin brannten noch ganze Reihen derselben, und zwischen durch sahen wir eine Horde Mörder mit Feuer und Schwert unter den Flüchtlingen wüthen, und Alles niedermetzeln, was sie erreichen konnten. Wir standen vor Schrecken und Entsetzen einige Augenblicke still, und waren so sehr aus der Fassung, daß Keiner von uns wußte, was er that oder thun sollte. Da liefen drei nackte Weiber, von denen eines ein Kind auf dem Arm trug, gegen uns her, und zehn bis fünfzehn Männer folgten ihnen im schnellsten Laufe nach, alle von Todesangst getrieben und jämmerlich heulend, und von vier oder fünf unserer Leute verfolgt, die, da sie nicht so schnell laufen konnten, auf jene feuerten, so daß verschiedene blieben oder verwundet wurden; einige ihrer Kugeln pfiffen an uns vorbei, und sowohl um diesen auszuweichen als um den[194] Flüchtlingen zu zeigen, daß wir ihnen nichts zu Leide thun wollten, lenkten wir etwas seitab; denn als sie uns erblickten, glaubten sie in uns neue Verfolger zu sehen. Sie begriffen sogleich unsere Absicht, fielen mit aufgehobenen Händen und bittenden Worten vor uns nieder, um unsern Schutz zu erflehen, den wir ihnen, so gut wir konnten, mit Freundlichkeit zuwinkten, und vor sie hintraten, und sie sich hinter uns auf ein kleines Häufchen zusammendrängten.
Der Anblick dieser Greuel empörte mich dergestalt, daß wenn ich Feuergewehr gehabt hätte, ich ohne anders auf unsere eigenen Leute geschossen haben würde; ich sprach meinem Neffen heftig zu, seine Autorität geltend zu machen, und alles anzuwenden, seine Mannschaft zurückzurufen, und von fernerm Blutvergießen abzuhalten. Er rief auch sogleich den die hinter uns geflüchteten Wilden verfolgenden Seeleuten entgegen, zu uns heranzukommen. Es waren der Bootsmann nebst vier Matrosen, alle mit Blut besudelt und bereit, über jene herzufallen. Der Bootsmann rief schon von weitem: »Willkommen Herr Kapitän zu unserm Beistand, die Hälfte ist noch nicht gethan, Keiner darf verschont, und dies ganze Volk muß vernichtet werden.« Seine Begleiter grinsten ihm ihren abscheulichen Beifall zu, und schon wollten sie sich auf die zitternden Einwohner stürzen, als ich ihnen drohend zurief, keinen Schritt vorwärts zu wagen, und mein Neffe vereinigte seinen Befehl mit meiner Drohung. Der Bootsmann erwiederte hierauf: »Wie! Herr Kapitän! wollen Sie unsere gerechte Rache verhindern? Kommen[195] Sie und diese Herren mit mir, um sich zu überzeugen, daß wir eher Lob als Tadel verdienen;« – und somit führte er uns zu dem Baume, an welchem Jeffery noch hieng. Bis dahin war uns die Veranlassung zu alle den Gräueln unbekannt geblieben, und der scheußliche Anblick des Ermordeten veränderte freilich die Sache; ich war aber zu sehr ergriffen, um die schon zu weit getriebene Rache zu billigen, sondern ließ meinem empörten Gefühl in heftigen Vorwürfen freien Lauf.
Nicht so mein Neffe. Seine Empfindlichkeit ward zwar auch rege, aber auf eine andere Weise. Ohne zu bedenken, daß Jeffery, der ohnedies ein schlechter Kerl gewesen, die Schuld an allem Vorgefallenen war, fand er sich gewissermaßen beleidigt, daß die Wilden die Bestrafung desselben eigenmächtig übernommen und vollzogen hatten. Er bemerkte mir: »Es sey seine Pflicht, seine Mannschaft zu beschützen und die Wilden, die er für Mörder halte, bis auf den letzten Mann zu vertilgen. Zudem befürchte er, wenn er ihnen nicht zu Hülfe eile, die Seinigen würden der Menge unterliegen, etc.« Während dem waren noch Mehrere von ihrer Blutarbeit herangekommen, und es bedurfte keiner weitern Rechtfertigung oder Anmuthigung mehr; der Bootsmann warf einen verächtlichen und feindseligen Blick auf mich, und kehrte zu dem brennenden Orte zurück, wohin ihm seine Mitschuldigen, und zu meinem größten Verdrusse auch mein Neffe mit seiner Mannschaft folgten, um die letzte Hand an ihr verruchtes Werk zu legen. Mir blieb nichts anders übrig, als mit dem [196] Supercargo zu unserer Schluppe zurückzukehren, und auch dies war nicht ohne Gefahr, denn das Feuern des Kleingewehrs in der Stille der Nacht, die Flammen der ausgedehnten Brandstätte, das Geschrei und das Getöse der Flüchtlinge hatte weit umher die Einwohner aus dem Schlafe geweckt, und sie versammelten sich auf verschiedenen Punkten, bewaffnet und sich durch Ausrufungen und drohende Gebehrden zur Rache aufmunternd. Bei den wenigen Hütten, die zwischen der unglücklichen Stadt und unsern Schluppen lagen, hatten sich schon bei Fünfzig vereinigt, aber es gelang uns, unbemerkt die Boote zu erreichen; wir stiegen sogleich ein, um an Bord des Schiffes zurückzukehren, sandten aber die Schluppe unverzüglich wieder an die Küste, um die Schiffsmannschaft zu retten, denn da es unterdessen heller Tag geworden war, und von allen Seiten die aufgebrachten Feinde zu einer beinahe unzählbaren Menge sich vermehrten, so blieb unsern Leuten nichts anders als ein schneller Rückzug übrig. Als ich mit dem Fernrohre nach dem Lande hinsah, bemerkte ich, daß der Brand, da er keine Nahrung mehr fand, zu löschen begann, und erwartete nun, daß unsere Leute nach allzuweit getriebener Rache endlich an Bord zurückkommen würden, da auch das Feuern des Kleingewehrs aufgehört zu haben schien; allein nach einer Stille von ungefähr einer halben Stunde erfolgte unerwartet eine Generalsalve, die daher rührte, daß unsere Mannschaft, die wirklich ihren Rückzug angetreten hatte, die Wilden bei dem kleinen Dorfe in großer Zahl vereinigt und bereit fand, ihnen den[197] Rückzug abzuschneiden; um dies zu verhindern feuerten sie Alle zugleich in den dichten Haufen, so daß einige Zwanzig todt, und noch weit mehr verwundet, hingestreckt wurden. Kurz nachher erblickte ich sie sämmtlich in vollem Laufe, und in solcher Unordnung gegen den Strand heranstürmend, daß die Eingebornen sie mit leichter Mühe würden aufgerieben haben, glücklicherweise hatte die Salve einen so zurückschreckenden Eindruck auf jene gemacht, daß, weit entfernt die Unsrigen zu verfolgen, sie sich während dem ganzen Ueberfall nicht einmal vertheidigt hatten, so daß auch nicht ein Einziger von unsern Leuten war verwundet worden; der Schrecken war noch größer als die Erbitterung gewesen.
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