[53] Frühling, Wonnegebieter,
sonnestarker, lauterster Gott der Erde,
willst du endlich erscheinen,
mir auch erscheinen?
Nach soviel Stürmen,
soviel quälender Wetterwut,
nach manchem falschen Sonnentage
voll kalten, stechenden Glanzes:
willst du endlich geboren werden,
mein Heiland? –
Ja! mir künden heilige Schauer:
du auferstehest,
den ich dunkel geahnt
in den Dämmertagen der Kindheit
und den ich verloren, vergessen
im selbst sich vergötternden Jünglingsrausch ...
[53]
Oh, senke die Strahlen
Deines milden Himmelsauges
sänftigend, verklärend mir
in die sehnsucht offne Seele
O durchfülle mich ganz mit Deinem Odem,
Frühling, äther entsprossener,
Segen atmender, reiner Sonnensohn!
Erfülle mich mit deiner Werdelust,
nicht der gärend schäumenden,
der ziellos wilden, taumelnden Lust
stürmenden Knabenübermutes:
mit Deiner ruhig quellenden,
still knospenden,
sicher schaffenden Freudigkeit
erfülle mich, du Glückbeseelter! –
Schon jauchze ich.
Ja! du erhörst mein Gebet!
Du bist in mir, Frühling:
bist, was in mir jubelt –
du erhörtest mich schon
vor meinem Gebet!
Du, Du, Frühling, wurdest
mir in bangender Seele
heimlich ein anderer, neuer Frühling:
mein erster Frühling!
Erster Frühling,
einziger Frühling,
bleibe! weile!
verlaß mich nicht,
flüchten gleich die Tage!
Dann werden machtlos nahen
meinem geweihten Haupt
des Sommers sengende Sorgen[54]
und des Herbstes trüber Mißmut
und des Winters kalte Oede.
Erster Frühling,
einziger Frühling,
mein Frühling –
Du brachtest mir die Erlösung:
bringe mir auch das Himmelreich!
Buchempfehlung
Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.
146 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro