Das Menschliche

[108] Und doch, und doch, du stolzes Kind,

viel stolzer fühlt mein kleines Lied,

das kindlich vor dir niederkniet

und fromm beginnt:

Wärst du im Ehrenkleide

der Hohen höchste Zier,

ich fühlte doch trotz Seide

und Hohheit und Geschmeide

als deiner Ehren erste Zier

die Gleichheit zwischen dir und mir.


Und doch, und doch, noch stolzer schwebt,

du stolzes Kind, mein kleines Lied,

das nun auf dich herniedersieht

und fühlt und bebt:

Wärst du in Schmach gefallen,

du die Gemeinste hier,

und Mein Herz rein vor Allen,

ich dächte Dein vor Allen,

weil meiner Reinheit reinste Zier

die Gleichheit zwischen dir und mir.


Und doch, und doch, du stolzes Kind,

viel stolzer fühlte wol mein Lied,

das stolz vor Deinem Stolze flieht,

wenn still und blind

wol nun ein Bangen käme,

wol zwischen dir und mir,[109]

nun ein Verlangen käme,

dich wild gefangen nähme,

daß wir vergäßen – fühlst du? wir

die Gleichheit zwischen dir und mir.

Quelle:
Richard Dehmel: Aber die Liebe. München 1893, S. 108-110.
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