Tragische Erscheinung

[241] In einer Wüste lagen viele Menschen,

die fast verschmachteten; sie wimmerten.

Ein schönes Mädchen nur,

mit hilflos braunen Augen,

litt stumm den Durst; denn gieriger als der Durst

brannte ihr seliges Mitleid ...

Da trat, vom glühenden Horizont herwachsend,

ein fremder Mann vor dieses Volk;

der hob den Zeigefinger ihnen dar.

Aus der gereckten, zitternden Spitze quoll

ein großer Tropfen Blut, quoll, hing, und fiel,

fiel in den Sand;

verwundert sah das Volk den fremden Mann.

Der stand und stand, Tropfen auf Tropfen fiel

aus seinem Finger in den Sand;

und immer, wenn die rote Quelle troff,

erbleichte schauernd Er, sie aber staunten,

und Einige ächzten: er verhöhnt uns ...

Da schrie er laut mit seiner letzten Glut:

So kommt doch, trinkt! für Euch verblut'ich mich!

Doch jenes Mädchen sprach, indeß er hinlosch:

Sie wollen Wasser ...

Quelle:
Richard Dehmel: Weib und Welt, Berlin 1896.
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