Der Schlangenkäfig

[75] Hitze schwingt. Ein Raum voll Schlangen

strömt durch Glas und Gitterstangen

Dunst; zwei Menschen stehn davor.

Die gesättigten Gewürme hängen

still in buntverflochtnen Strängen,

einem Manne raunt ein Weib ins Ohr:


Du, die Schlangen muß ich lieben.

Fühlst du die verhaltne Kraft,

wenn sie langsam sich verschieben?

Eine Schlange möcht ich mir wol zähmen,

möcht ihr nit ein Gliedche lähmen,

wenn ihr Hals vor Zorn sich strafft.

Eh sie noch vermag zu fauchen,[76]

werden ihre Augen nächtig,

Sterne tauchen

wie aus Brunnenlöchern auf –

setz' ich ein Rubinenkrönche

auf ihr Stirnche: Still, mei Söhnche,

züngle, Jüngle – Ringle, lauf,

spiel mit mir! – du, Das wär prächtig.


Hitze schwingt. In gleichen Zwischenräumen

tippt ihr Finger an die Scheibe,

ihre Augen stehn in Träumen.

Während sich zwei Vipern bäumen,

sagt ein Mann zu einem Weibe:


Du mit deinem nächtigen Blick,

bist du so wie die dadrinnen?

Noch, du, kann ich dir entrinnen!

Daraus spinnt man sein Geschick,

was und wie man haßt und liebt;

komm! wir wollen uns besinnen,

daß es Tiere in uns giebt.
[77]

Hitze schwingt. Zwei dunkle Augen

woll'n sich in zwei graue saugen,

doch die stählt ein blauer Bann,

und zwei Menschen sehn sich funkelnd an.


Quelle:
Richard Dehmel: Weib und Welt, Berlin 1896, S. 75-78.
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