VIII

[132] »Meine Herren, ich habe niemand von Ihnen erwartet«, begann der Fürst; »ich selbst bin bis heute krank gewesen; Ihre Angelegenheit aber« (er wandte sich an Antip Burdowski) »hatte ich schon vor einem Monat Gawrila Ardalionowitsch Iwolgin zur Erledigung übergeben, wovon ich Sie gleich damals benachrichtigt habe. Übrigens will ich einer persönlichen Aussprache nicht ausweichen; nur werden Sie selbst zugeben, daß es dazu schon etwas spät am Tage ist ... Ich möchte Ihnen vorschlagen, mit mir in ein Zimmer zu gehen, wenn es nicht zu lange dauert ... Hier sind jetzt meine Freunde, und seien Sie überzeugt ...«

»Freunde können dabei sein, soviel Sie wollen; aber erlauben Sie«, unterbrach ihn plötzlich in sehr anmaßendem Ton, wiewohl ohne noch die Stimme besonders zu erheben, Lebedjews Neffe, »erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie uns hätten höflicher behandeln können und uns nicht zwei Stunden lang in Ihrer Gesindestube hätten warten zu lassen brauchen ...«

»Gewiß ... auch ich ... Das ist so recht fürstenmäßig! Sie freilich ... sind ein vornehmer Mann; aber ich ... bin nicht Ihr Lakai! Und ich ... ich ...«, murmelte Antip Burdowski in großer Aufregung, mit beben den Lippen; Speicheltröpfchen flogen ihm aus dem Mund; es war, als wenn er jeden Augenblick bersten und platzen wollte. Aber er überhastete sich so, daß nach einem Dutzend Worten nichts mehr zu verstehen war.

»Das war so recht fürstenmäßig!« schrie Ippolit mit seiner kreischenden, rissigen Stimme.[132]

»Wenn mir das passiert wäre«, brummte der Boxer, »das heißt, wenn sich dieses Benehmen direkt gegen mich als anständigen Menschen richtete, dann hätte ich an Burdowskis Stelle ... ja, dann hätte ich ...«

»Meine Herren, ich habe erst diesen Augenblick erfahren, daß Sie hier sind, bei Gott!« erwiderte der Fürst.

»Wir fürchten uns nicht vor Ihren Freunden, Fürst, wer es auch immer sein mag, weil wir in unserm Recht sind«, erklärte wieder Lebedjews Neffe.

»Gestatten Sie indessen die Frage«, kreischte wieder Ippolit, der aber jetzt schon sehr hitzig geworden war, »welches Recht Sie haben, Burdowskis Angelegenheit dem Urteil Ihrer Freunde zu unterbreiten? Wir wünschen vielleicht gar nicht, daß Ihre Freunde darüber urteilen; es ist nur zu klar, was das Urteil Ihrer Freunde für einen Wert hat ...!«

»Aber wenn Sie, Herr Burdowski, hier nicht zu sprechen wünschen«, sagte der Fürst, als es ihm endlich gelang, zu Worte zu kommen (er war über diesen Anfang des Gesprächs außerordentlich erstaunt), »so lassen Sie uns, wie schon gesagt, gleich in ein Zimmer gehen. Davon aber, daß Sie alle hier seien, habe ich, wie ich Ihnen nochmals bemerke, erst diesen Augenblick gehört ...«

»Aber Sie haben kein Recht, Sie haben kein Recht, Sie haben kein Recht ...! Ihre Freunde ... Da ...!« stotterte Burdowski von neuem. Er sah scheu und ängstlich um sich und ereiferte sich immer mehr, je mehr sein Selbstvertrauen sank und seine Furcht wuchs. »Sie haben kein Recht.«

Nachdem er das gesagt hatte, schnappte er ganz plötzlich ab, als ob er nichts weiter wüßte; und stumm seine kurzsichtigen, stark hervorstehenden, mit dicken, roten Äderchen durchzogenen Augen aufreißend, starrte er, mit dem ganzen Oberkörper vornübergebeugt, den Fürsten an. Diesmal war der Fürst so verwundert, daß auch er verstummte und ihn gleichfalls mit weitgeöffneten Augen, ohne ein Wort zu sagen, ansah.[133]

»Ljow Nikolajewitsch!« rief auf einmal Lisaweta Prokofjewna. »Lies doch dies hier gleich einmal vor, augenblicklich! Das hat auf deine Angelegenheit unmittelbaren Bezug!«

Sie hielt ihm eilig eine humoristische Wochenschrift hin und wies mit dem Finger auf einen Artikel. Lebedjew war in dem Augenblick, als die neuen Gäste noch im Hereinkommen begriffen waren, von der Seite zu Lisaweta Prokofjewna herangesprungen, um deren Gunst er sich sehr bemühte, hatte, ohne ein Wort zu sagen, aus der Seitentasche seines Rocks diese Zeitschrift herausgezogen, sie ihr gerade vor die Augen gehalten und auf eine angestrichene Spalte hingezeigt. Durch das, was Lisaweta Prokofjewna bereits davon gelesen hatte, war sie in gewaltige Verwunderung und Entrüstung versetzt worden.

»Wäre es aber nicht besser, es nicht laut zu lesen«, stammelte der Fürst sehr verlegen; »ich würde es lieber für mich allein lesen ... später ...«

»Dann lies du es lieber vor, sofort, laut! Laut!« wandte sich Lisaweta Prokofjewna an Kolja und riß dem Fürsten die Zeitschrift, die er noch kaum berührt hatte, ungeduldig aus den Händen. »Lies es allen laut vor, damit es jeder hört.«

Lisaweta Prokofjewna war eine heißblütige, leidenschaftliche Dame, so daß sie manchmal plötzlich, ohne lange zu überlegen, alle Anker lichtete und, unbekümmert um das Wetter, aufs hohe Meer hinausfuhr. Iwan Fjodorowitsch bewegte sich unruhig hin und her. Aber während alle im ersten Augenblick unwillkürlich starr waren und verwundert warteten, was da kommen werde, hatte Kolja die Zeitschrift auseinandergeschlagen und begann nun, laut von der Stelle an zu lesen, die ihm der hinzuspringende Lebedjew zeigte:

»Proletarier und Edelinge. Eine Episode aus dem täglichen und alltäglichen Räuberwesen. Fortschritt! Reform! Gerechtigkeit![134]

Seltsame Dinge kommen in unserem sogenannten heiligen Rußland vor, im Zeitalter der Reformen und der unternehmungslustigen Aktiengesellschaften, in dem Zeitalter des Nationalgefühls und der jährlichen Ausfuhr Hunderter von Millionen ins Ausland, in dem Zeitalter der Beschützung des Handwerks und der Lähmung der arbeitenden Hände und so weiter und so weiter; man kann nicht alles aufzählen, meine Herren, daher kommen wir sofort zur Sache. Es hat sich eine sonderbare Geschichte mit einem der edlen Sprößlinge unseres ehemaligen Gutsherrnstandes (de profundis!) zugetragen, mit einem jener Sprößlinge, deren Großväter ihr Vermögen beim Roulette verspielten, und deren Väter sich genötigt sahen, als Fähnriche und Leutnants zu dienen, und gewöhnlich im Anklagezustand wegen irgendeines harmlosen Defizits bei den Staatsgeldern starben, und die dann selbst, wie der Held unserer Erzählung, entweder als Idioten aufwachsen oder sogar in Kriminalprozesse hineingeraten (bei denen sie übrigens zum Zweck ihrer Besserung und zur Erbauung anderer von den Geschworenen freigesprochen zu werden pflegen) oder endlich zu guter Letzt eine jener Geschichten loslassen, die das Publikum in Erstaunen versetzen und unserem an sich schon hinreichend schmählichen Zeitalter zur Schande gereichen. Unser junger Edeling kehrte vor einem halben Jahr, mit ausländischen Gamaschen angetan und in einem ungefütterten Mäntelchen vor Kälte zitternd, im Winter nach Rußland aus der Schweiz zurück, wo er eine Kur gegen seine Idiotie durchgemacht hatte (sic!). Man muß bekennen, daß er Glück hatte; denn (wir reden noch gar nicht von seiner interessanten Krankheit, von der er sich in der Schweiz kurieren ließ; aber ist denn Idiotie überhaupt heilbar? Stellen Sie sich das nur einmal vor?!!) er konnte an seiner Person die Wahrheit des russischen Sprichworts beweisen: ›Eine gewisse Sorte von Menschen hat immer Glück!‹ Urteilen Sie selbst: nach dem Tod seines Vaters, der, wie es heißt,[135] als Leutnant in der Untersuchungshaft gestorben war, weil er im Kartenspiel die ganzen Kompaniegelder verloren oder vielleicht auch einem Untergebenen eine übermäßige Portion Rutenhiebe hatte verabreichen lassen (vergessen Sie nicht, meine Herren, das war in der alten Zeit), wurde unser Baron, der als Säugling zurückgeblieben war, aus Barmherzigkeit von einem sehr reichen russischen Gutsbesitzer aufgezogen. Dieser russische Gutsbesitzer (nennen wir ihn P.!) besaß in jener alten goldenen Zeit viertausend leibeigene Seelen (leibeigene Seelen! verstehen Sie diesen Ausdruck, meine Herren? Ich verstehe ihn nicht. Man muß erst das Konversationslexikon befragen; ›nicht lang ist's her, und doch ist's kaum zu glauben‹1) und war offenbar einer jener russischen Nichtstuer und Tagediebe, die ihr müßiges Leben im Ausland verbrachten, im Sommer in den Badeorten und im Winter im Pariser Château des fleurs, wo sie seinerzeit enorme Summen zurückließen. Man kann mit Bestimmtheit sagen, daß mindestens ein Drittel des gesamten in der früheren Zeit der Leibeigenschaft gezahlten Pachtzinses in die Tasche des Besitzers des Pariser Château des fleurs floß (war das ein glücklicher Mensch!). Wie dem auch gewesen sein mag, jedenfalls ließ der sorglose P. dem verwaisten jungen Herrn eine fürstliche Erziehung zuteil werden und hielt ihm Erzieher und Gouvernanten (ohne Zweifel hübsche), die er bei Gelegenheit selbst aus Paris mitbrachte. Aber der junge Edeling, der Letzte seines Geschlechtes, war ein Idiot. Die Gouvernanten aus dem Château des fleurs konnten ihm nicht helfen, und bis zum zwanzigsten Lebensjahr vermochte ihr Zögling keine einzige Sprache zu sprechen, nicht einmal die russische. Letzteres ist übrigens verzeihlich. Endlich bildete sich in P.s russischem Gutsherrnkopf die Vorstellung, man könne einem Idioten in der Schweiz Verstand beibringen lassen, übrigens[136] eine von seinem Standpunkt aus logische Vorstellung: so ein Müßiggänger und Proprietär konnte sich sehr wohl denken, daß man für Geld sogar Verstand auf dem Markt kaufen könne, ganz besonders in der Schweiz. Fünf Jahre lang befand sich nun der edle Sprößling zur Kur bei einem bekannten Professor in der Schweiz; diese Kur kostete viele tausend Rubel: der Idiot wurde dadurch natürlich nicht klug, aber doch, wie man sagt, einem Menschen wenigstens so halbwegs ähnlich. Da stirbt P. unerwartet früh. Ein Testament war natürlich nicht vorhanden; die Vermögensverhältnisse befanden sich, wie das gewöhnlich der Fall ist, in arger Unordnung; es stellte sich ein Haufe gieriger Erben ein, die sich natürlich nicht im geringsten mehr um diesen letzten Sprößling seines Geschlechtes kümmerten, den der Verstorbene aus Barmherzigkeit in der Schweiz hatte von der Idiotie kurieren lassen wollen. Der junge Edeling, Idiot wie er war, versuchte doch, seinen Professor zu betrügen, und ließ sich, wie man erzählt, von ihm zwei Jahre lang gratis behandeln, indem er ihm den Tod seines Wohltäters verheimlichte. Aber der Professor war selbst ein schlauer Patron; das Ausbleiben der Zahlungen und ganz besonders der starke Appetit seines fünfundzwanzigjährigen faulenzenden Patienten machten ihn doch schließlich stutzig; er gab ihm ein Paar alte Gamaschen von sich zum Anziehen, schenkte ihm einen abgetragenen Mantel von sich und spedierte ihn aus Barmherzigkeit dritter Klasse nach Rußland; so war die Schweiz ihn losgeworden. Es könnte nun scheinen, als habe Fortuna unserem Helden den Rücken gewendet. Das war jedoch nicht der Fall: Fortuna, die ganze Gouvernements Hungers sterben läßt, schüttete auf einmal alle ihre Gaben über diesen Aristokraten aus, wie in der Krylowschen Fabel die Wolke über das ausgetrocknete Feld hinwegzieht und ihr Wasser in den Ozean hinabschüttet. Fast in demselben Augenblick, als er aus der Schweiz in Petersburg eintraf, starb in Moskau ein Verwandter[137] seiner Mutter (die natürlich aus dem Kaufmannsstand stammte), ein alter, kinderloser, allein dastehender, langbärtiger Kaufmann und Sektierer, und hinterließ eine Erbschaft von mehreren Millionen in barem Geld, die (ja, das wäre etwas für uns beide, mich und Sie, lieber Leser!) in ihrem ganzen Betrag unanfechtbar unserem jungen Edeling zufiel, der sich in der Schweiz hatte von der Idiotie kurieren lassen! Na, nun klang die Musik natürlich anders. Um unseren Baron in Gamaschen, der schon angefangen hatte, einer bekannten Schönheit der Halbwelt den Hof zu machen, sammelte sich auf einmal ein ganzer Schwarm von Freunden; es fanden sich auch Verwandte ein und vor allem ganze Scharen vornehmer Mädchen, die danach schmachteten, mit ihm in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Und was konnte man sich auch Besseres denken: ein Aristokrat, ein Millionär, ein Idiot, also alle Vorzüge vereint; einen solchen Mann kann man nicht einmal mit der Laterne finden oder auf Bestellung geliefert bekommen ...!«

»Das ... das übersteigt ja alles!« rief Iwan Fjodorowitsch in höchster Entrüstung.

»Hören Sie auf, Kolja!« rief der Fürst in flehendem Ton. Von allen Seiten erschollen verschiedenartige Ausrufe.

»Weiterlesen! Unter allen Umständen weiterlesen!« verlangte Lisaweta Prokofjewna auf das allerbestimmteste; sie beherrschte sich augenscheinlich nur mit größter Anstrengung. »Fürst, wenn du ihm das Weiterlesen verbietest, bekommst du es mit mir zu tun!«

Es war nichts zu machen: mit heißem Gesicht, geröteten Wangen und mit einer Stimme, die vor Aufregung zitterte, las Kolja weiter vor: »Aber während unser neugebackener Millionär sozusagen im Schoß des Glückes saß, geschah etwas von einer Seite her, von der es niemand erwartet hatte. Eines schönen Morgens erscheint bei ihm ein Besucher, mit ruhigem, ernstem Gesicht, mit höflicher, aber würdiger und rechtlicher Redeweise, bescheiden[138] und anständig gekleidet, in seiner Denkart offenbar der fortschrittlichen Richtung angehörig, und erklärt ihm in wenigen Worten den Grund seines Kommens: er ist ein bekannter Advokat; er ist von einem jungen Mann mit der Vertretung seiner Interessen beauftragt worden und kommt in dessen Namen. Dieser junge Mann ist nicht mehr und nicht weniger als ein Sohn des verstorbenen P., obgleich er einen andern Namen trägt. Der Lüstling P. hatte in seiner Jugend ein anständiges, armes Mädchen verführt, das zu seinem Hofgesinde gehörte, aber eine westeuropäische Erziehung genossen hatte (wobei selbstverständlich die Herrenrechte der damaligen Zeit der Leibeigenschaft mit ins Spiel kamen), und als die unausbleiblichen, nahe bevorstehenden Folgen dieses Verhältnisses sichtbar wurden, sie möglichst schnell an einen erwerbstätigen, sogar in dienstlicher Stellung befindlichen Mann von edlem Charakter verheiratet, der dieses Mädchen schon lange geliebt hatte. Anfangs unterstützte er das junge Ehepaar; aber die edle Gesinnung des Ehemannes veranlaßte diesen bald, die weitere Annahme solcher Unterstützung abzulehnen. Es verging nun einige Zeit, und P. vergaß allmählich das Mädchen und seinen mit ihr erzeugten Sohn und starb dann bekanntlich, ohne testamentarische Anordnungen zu hinterlassen. Sein Sohn, der zu einer Zeit geboren wurde, als seine Mutter bereits in legitimer Ehe lebte, wuchs unterdessen unter einem andern Familiennamen heran und wurde von dem edeldenkenden Gatten seiner Mutter völlig als Sohn behandelt; aber als er bei dessen Tod mit der kränklichen, leidenden, an den Füßen gelähmten Mutter in einem abgelegenen Gouvernement zurückblieb, sah er sich vollständig auf seine eigenen Mittel angewiesen. Er selbst ging nach der Hauptstadt und verdiente sich Geld durch tägliche anständige Arbeit, indem er in Kaufmannsfamilien Privatstunden gab und sich dadurch zuerst als Gymnasiast, dann als Hörer der für ihn zweckmäßigen Universitätsvorlesungen erhielt, wobei er ein höheres[139] Ziel im Auge hatte. Aber kann man etwa viel erwerben, wenn einem der russische Kaufmann für die Stunde zehn Kopeken gibt und man obendrein eine kranke, gelähmte Mutter hat? Auch als diese schließlich in dem abgelegenen Gouvernement starb, wurde der Sohn dadurch nicht sonderlich entlastet. Nun werfen wir die Frage auf: wie mußte unser junger Edeling gerechterweise denken? Gewiß meinen Sie, verehrter Leser, daß er zu sich folgendermaßen gesprochen hat: ›Ich habe mein ganzes Leben lang von P. alle erdenklichen Wohltaten genossen; für meinen Unterhalt und meine Erziehung, für Gouvernanten und dann in der Schweiz für die Heilung von der Idiotie sind viele, viele Tausende draufgegangen; und da besitze ich nun jetzt Millionen, während P.s edeldenkender Sohn, der an den Fehltritten seines leichtsinnigen, vergeßlichen Vaters keinerlei Schuld trägt, sich mit Privatstunden zu Tode quält. Alles, was für mich aufgewandt wurde, hätte gerechterweise für ihn aufgewandt werden sollen. Die für mich ausgegebenen gewaltigen Summen kamen mir in Wirklichkeit nicht zu. Es war dies nur ein Irrtum der blinden Fortuna; sie gehörten eigentlich dem Sohn P.s. Für ihn hätten sie verbraucht werden sollen, nicht für mich; letzteres war nur die Ausgeburt einer phantastischen Laune des leichtsinnigen, vergeßlichen P. Wenn ich im vollen Sinn ein edler, feinfühliger, gerechter Mensch wäre, so müßte ich seinem Sohn die Hälfte meiner ganzen Erbschaft abgeben; aber da ich vor allen Dingen ein kluger Mensch bin und recht gut weiß, daß die Sache nicht einklagbar ist, so werde ich ihm nicht die Hälfte meiner Millionen geben. Aber allerdings würde es von meiner Seite gar zu gemein und schamlos sein‹ (der Edeling vergaß, daß es auch nicht klug sein würde), ›wenn ich dem Sohn P.s jetzt nicht wenigstens die Tausende zurückerstattete, die P. für die Heilung meiner Idiotie ausgegeben hat. Das ist lediglich eine Forderung des Gewissens und der Gerechtigkeit! Denn was wäre aus mir geworden, wenn P. mich nicht aufgezogen,[140] sondern statt dessen sich um seinen Sohn bekümmert hätte?‹

Aber nein, meine Herren! Unsere jungen Edelinge denken nicht so. Was für Vorstellungen ihm auch der Advokat machte, der die mühevolle Vertretung der Sache des jungen Mannes einzig und allein aus Freundschaft zu diesem und fast wider dessen Willen, beinah gewaltsam übernommen hatte, wie sehr er ihn auch auf die Pflichten der Ehre, des Anstandes und der Gerechtigkeit, ja sogar auf die Gebote der gewöhnlichen Klugheit hinwies, der Schweizer Zögling blieb unerbittlich, und was tat er? Alles Bisherige wäre noch nichts; aber nun kommt etwas, was wirklich unverzeihlich und durch keine interessante Krankheit zu entschuldigen ist: dieser Millionär, der kaum die Gamaschen seines Professors ausgezogen hatte, konnte nicht einmal so viel kapieren, daß der edeldenkende junge Mann, der sich mit Privatstunden quälte, ihn nicht um ein Almosen und eine Unterstützung bat, sondern sein Recht forderte, dasjenige verlangte, was ihm zustand, wenn auch nicht im gerichtlichen Sinne; und ebensowenig wußte der Millionär es zu würdigen, daß der junge Mann seine Ansprüche nicht persönlich erhob, sondern nur seine Freunde für ihn eintraten. Mit majestätischer Miene, berauscht von der durch seine Millionen ihm zugefallenen Macht, andere Menschen ungestraft niederzutreten, zieht unser Edeling einen Fünfzigrubelschein heraus und ist frech genug, ihn dem edeldenkenden jungen Mann als Almosen zu schicken. Sie glauben es nicht, meine Herren? Sie sind empört, beleidigt und stoßen einen Schrei der Entrüstung aus: aber trotz alledem hat er es getan! Selbstverständlich wurde ihm das Geld sogleich zurückgeschickt, sozusagen ihm ins Gesicht zurückgeschleudert. Wie soll nun die Sache erledigt werden? Gerichtlich verfolgen läßt sie sich nicht; es bleibt nur der Weg der Öffentlichkeit übrig! Wir übergeben daher dieses Geschichtchen dem Publikum, indem wir uns für seine Richtigkeit verbürgen. Man sagt,[141] einer unserer bekanntesten Humoristen habe darüber ein reizendes Epigramm verfaßt, das nicht nur in den provinziellen, sondern auch in den hauptstädtischen Sittenschilderungen eine Stelle zu finden verdient:


In 'nem Mäntelchen von Schneider2

Spielte Ljow3 fünf Jahr herum;

Unterdessen wurde leider

Nichts aus seinem Studium.

Heimgekehrt drauf in Gamaschen,

Erbt' er glücklich 'ne Million

Und bestahl trotz voller Taschen

Einen armen Musensohn.«


Als Kolja geendet hatte, reichte er die Zeitschrift so schnell wie möglich dem Fürsten hin, stürzte, ohne ein Wort zu sagen, in eine Ecke, drückte sich dicht hinein und verbarg das Gesicht in den Händen. Er schämte sich in einem unerträglichen Grade, und sein kindliches, an Schmutz noch nicht gewöhntes Empfinden war maßlos verletzt. Es schien ihm, als sei etwas ganz Ungewöhnliches vorgegangen, als sei alles Bestehende dadurch auf einmal niedergerissen, und als sei er selbst beinah mit daran schuld, schon allein dadurch, daß er es laut vorgelesen habe.

Aber auch alle übrigen schienen Ähnliches zu empfinden.

Die jungen Mädchen fühlten sich sehr unbehaglich und schämten sich. Lisaweta Prokofjewna hielt einen heftigen Zorn gewaltsam zurück und bereute es wohl bitter, sich in die Sache eingelassen zu haben; jetzt schwieg sie. Mit dem Fürsten ging dasselbe vor, was allzu schüchternen Menschen in solchen Fällen zu begegnen pflegt: er schämte sich dermaßen über das Benehmen anderer, nämlich seiner Gäste, daß er sich im ersten Augenblick fürchtete, sie auch nur anzusehen. Ptizyn, Warja, Ganja, sogar Lebedjew, alle machten etwas verlegene Gesichter.[142] Das Sonderbarste war, daß Ippolit und »Pawlischtschews Sohn« ebenfalls erstaunt zu sein schienen; auch Lebedjews Neffe war offenbar unzufrieden. Nur der Boxer saß ganz ruhig da und drehte mit würdevoller Miene seinen Schnurrbart; die Augen hielt er niedergeschlagen, aber nicht aus Verlegenheit; im Gegenteil schien es, als tue er es aus edler Bescheidenheit, und um sein Triumphgefühl nicht allzu sichtbar werden zu lassen. An allem konnte man merken, daß der betreffende Artikel ihm sehr gut gefiel.

»Weiß der Teufel, was das vorstellen soll«, brummte Iwan Fjodorowitsch halblaut. »Das ist ja, als hätten fünfzig Lakaien sich zusammengetan und das abgefaßt.«

»Gestatten Sie die Frage, mein Herr, wie Sie es wagen können, uns durch solche Vermutungen zu beleidigen?« fragte Ippolit, am ganzen Leibe zitternd.

»Das, das, das ist für einen anständigen Menschen ... Sagen Sie selbst, General, wenn ein anständiger Mensch ... so ist das doch verletzend!« brummte der Boxer, der gleichfalls auf einmal zusammenfuhr, seinen Schnurrbart drehte, und mit den Schultern und dem ganzen Oberkörper zuckte.

»Erstens bin ich für Sie nicht ›mein Herr‹, und zweitens beabsichtige ich Ihnen keinerlei Erklärungen zu geben«, erwiderte der höchst ergrimmte Iwan Fjodorowitsch in scharfem Ton, stand auf, ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, zum Ausgang der Veranda und stellte sich dort auf die oberste Stufe hin, den Anwesenden den Rücken zuwendend. Er war höchst empört über Lisaweta Prokofjewna, die auch jetzt noch nicht daran dachte, sich vom Fleck zu rühren.

»Meine Herren, meine Herren, gestatten Sie mir doch endlich, etwas zu sagen, meine Herren!« rief der Fürst bekümmert und aufgeregt; »und tun Sie mir den Gefallen, lassen Sie uns so miteinander reden, daß wir uns gegenseitig verstehen! Auf den Artikel will ich nicht weiter eingehen, meine Herren; lassen wir ihn meinetwegen[143] beiseite; nur ist ja alles, was in dem Artikel gedruckt ist, unwahr, meine Herren! Ich darf Ihnen das sagen, weil Sie es ja selbst wissen; man muß sich geradezu schämen. Ich würde daher sehr verwundert sein, wenn einer von Ihnen das geschrieben haben sollte.«

»Ich habe von dem Artikel bis auf diesen Augenblick nichts gewußt«, erklärte Ippolit. »Ich billige ihn nicht.«

»Ich habe zwar gewußt, daß er geschrieben war; aber ... ich hätte ebenfalls nicht dazu geraten, ihn zu drucken, weil es noch zu früh ist«, fügte Lebedjews Neffe hinzu.

»Ich habe es gewußt; aber ich habe ein Recht ... ich ...«, murmelte »Pawlischtschews Sohn«.

»Wie! Sie selbst haben das alles verfaßt?« fragte der Fürst, indem er Burdowski gespannt anblickte. »Aber das ist doch ganz unmöglich!«

»Wir brauchen Ihnen aber keine Berechtigung zu solchen Fragen zuzugestehen«, mischte sich Lebedjews Neffe hinein.

»Ich habe mich ja nur gewundert, daß Herr Burdowski das fertig gebracht hat ... aber ... ich möchte doch eines bemerken: wenn Sie diese Sache schon der Öffentlichkeit übergeben hatten, warum fühlten Sie sich denn dann vorhin so beleidigt, als ich in Gegen wart meiner Freunde von eben dieser Sache zu reden anfing?«

»Endlich!« murmelte Lisaweta Prokofjewna ärgerlich.

»Und Sie haben sogar noch vergessen, Fürst«, bemerkte, plötzlich zwischen den Stühlen hervorschlüpfend, Lebedjew, der sich nicht länger beherrschen konnte und beinah fieberte, »Sie haben noch vergessen, daß nur Ihr guter Wille und Ihre beispiellose Herzensgüte Sie veranlaßt haben, diese Herren zu empfangen und anzuhören, und daß sie keinerlei Recht haben, dies zu fordern, um so weniger, da Sie diese Angelegenheit schon an Gawrila Ardalionowitsch zur Erledigung abgegeben haben, ebenfalls infolge Ihrer außerordentlichen Güte. Jetzt aber, durchlauchtigster Fürst, wo Sie sich inmitten Ihrer[144] auserlesenen Freunde befinden, dürfen Sie auf diese Gesellschaft nicht um dieser Herren willen verzichten; Sie könnten allen diesen Herren ohne weiteres die Tür weisen, worüber ich als Besitzer dieses Hauses mich sogar außerordentlich freuen würde ...«

»Vollkommen richtig!« erscholl auf einmal aus dem Hintergrund General Iwolgins dröhnende Stimme.

»Genug damit, Lebedjew, genug damit, genug damit ...«, begann der Fürst; aber ein ganzer Sturm unwilliger Ausrufe übertönte seine Worte.

»Nein, entschuldigen Sie, Fürst, entschuldigen Sie; jetzt darf es nicht damit genug sein?« überschrie Lebedjews Neffe alle übrigen. »Jetzt muß die Sache klar und bestimmt festgestellt werden, da sie offenbar nicht richtig verstanden wird. Es sind hier juristische Finten hineingebracht worden, und auf Grund dieser Finten droht man, uns zur Tür hinauszuwerfen! Meinen Sie denn wirklich, Fürst, daß wir so dumm wären, nicht selbst zu verstehen, daß unsere Sache sich nicht gerichtlich verfolgen läßt, und daß wir vom juristischen Standpunkt aus nicht berechtigt sind, auch nur einen Rubel von Ihnen zu verlangen? Aber wir sagen uns, daß, wenn hier auch kein juristisches Recht vorliegt, dafür doch ein menschliches, natürliches Recht vorhanden ist, ein Recht des gesunden Verstandes und der Stimme des Gewissens, und daß, wenn auch dieses unser Recht in keinem vermoderten menschlichen Gesetzbuch geschrieben steht, doch ein anständiger, ehrenhafter Mensch, was ganz dasselbe ist wie ein vernünftig denkender Mensch, verpflichtet ist, auch in denjenigen Fällen anständig und ehrenhaft zu bleiben, die in den Gesetzbüchern nicht verzeichnet stehen. Darum sind wir hierher gekommen, ohne zu fürchten, daß man (womit Sie uns soeben gedroht haben) uns deshalb aus der Tür werfen werde, weil wir nicht bitten, sondern fordern, und weil unser Besuch zu so später Stunde unschicklich ist (wiewohl wir eigentlich nicht so spät gekommen sind, sondern Sie es waren, der uns in der[145] Gesindestube solange warten ließ), darum, sage ich, sind wir furchtlos hierher gekommen, weil wir annehmen, Sie seien ein vernünftig denkender Mensch, das heißt ein ehrenhafter, gewissenhafter Mensch. Ja, es ist wahr: wir sind nicht demütig hereingekommen, nicht wie Schmarotzer und Bittsteller, sondern mit erhobenem Kopf, wie freie Männer, und durchaus nicht mit einer Bitte, sondern mit einer freien, stolzen Forderung (hören Sie: nicht mit einer Bitte, sondern mit einer Forderung; merken Sie sich das!). Wir legen Ihnen nun in würdiger Form, offen und geradezu die Frage vor: glauben Sie in der Burdowskischen Angelegenheit im Recht oder im Unrecht zu sein? Geben Sie zu, daß Pawlischtschew Ihnen zahllose Wohltaten erwiesen und Sie vielleicht sogar vom Tod errettet hat? Wenn Sie es zugeben (und die Sache ist ja sonnenklar!), beabsichtigen Sie oder halten Sie es nach Ihrem Gewissen für gerecht, jetzt, wo Sie in den Besitz von Millionen gekommen sind, Ihrerseits den in Not befindlichen Sohn Pawlischtschews schadlos zu halten, wenn er auch den Namen Burdowski führt? Ja oder nein? Wenn Sie ja sagen, das heißt mit anderen Worten, wenn in Ihnen das steckt, was Sie in Ihrer Sprache Ehre und Gewissen nennen, und was wir mit einem zutreffenderen Ausdruck als gesunde Vernunft bezeichnen, so stellen Sie uns zufrieden, und die Sache ist erledigt. Stellen Sie uns zufrieden ohne Bitten und Dankbarkeitsbezeigungen unsererseits; erwarten Sie solche von uns nicht; denn Sie werden das nicht um unseretwillen, sondern um der Gerechtigkeit willen tun. Wenn Sie uns aber nicht zufriedenstellen wollen, das heißt nein antworten, dann gehen wir sofort weg, und die Verhandlungen werden abgebrochen; Ihnen aber sagen wir ins Gesicht, in Gegenwart aller Ihrer Zeugen, daß Sie ein Mensch von geringem Verstand sind und auf einer niedrigen Stufe geistiger Entwicklung stehen, daß Sie nicht wagen dürfen und nicht berechtigt sind, sich künftighin einen Mann von Ehre und Gewissen zu nennen, und daß Sie[146] dieses Recht für gar zu billigen Preis kaufen wollen. Ich bin zu Ende. Ich habe die Frage formuliert. Jagen Sie uns jetzt aus dem Haus, wenn Sie es wagen! Sie können das tun; Sie haben die Macht dazu. Aber vergessen Sie nicht, daß wir trotzdem fordern und nicht bitten! Wir fordern; wir bitten nicht.« Lebedjews Neffe, der sehr hitzig geworden war, hielt inne.

»Wir fordern, wir fordern, wir fordern, wir bitten nicht ...!« stammelte Burdowski und wurde dabei rot wie ein Krebs.

Auf die Worte von Lebedjews Neffen folgte eine gewisse allgemeine Bewegung der Zuhörer, und es wurde sogar ein Gemurr hörbar, wiewohl alle Mitglieder der ganzen Gesellschaft es offenbar vermieden, sich in die Sache einzumischen, vielleicht mit einziger Ausnahme Lebedjews, der sich wie im Fieber befand. (Es war merkwürdig: Lebedjew, der doch augenscheinlich auf seiten des Fürsten stand, empfand jetzt nach der Rede seines Neffen doch eine Art Vergnügen befriedigten Familienstolzes; wenigstens ließ er mit einer Miene besonderer Genugtuung seinen Blick rings über die Anwesenden schweifen.)

»Meiner Ansicht nach«, begann der Fürst mit ziemlich leiser Stimme, »meiner Ansicht nach haben Sie, Herr Doktorenko, in allem, was Sie soeben gesagt haben, zur Hälfte vollkommen recht; ich will sogar zugeben, daß Sie in der bei weitem größeren Hälfte recht haben; und ich würde mit Ihnen vollkommen einverstanden sein, wenn Sie nicht in Ihrer Äußerung etwas weggelassen hätten. Was Sie da eigentlich weggelassen haben, das Ihnen genau anzugeben bin ich nicht in der Lage; aber es fehlt entschieden etwas, damit Ihre Worte in vollem Umfang als gerecht gelten könnten. Aber wenden wir uns lieber zur Sache, meine Herren; sagen Sie doch: warum haben Sie diesen Artikel drucken lassen? Jedes Wort darin ist ja eine Verleumdung, so daß Sie, meine Herren, meiner Ansicht nach eine Gemeinheit begangen haben.«

»Erlauben Sie ...!«[147]

»Mein Herr ...!«

»Das ... das ... das ...«, tönte es gleichzeitig aus dem Mund der erregten Besucher.

»Was den Artikel anlangt«, erwiderte Ippolit mit seiner kreischenden Stimme, »was diesen Artikel anlangt, so habe ich Ihnen bereits gesagt, daß ich und die andern ihn nicht billigen! Geschrieben hat ihn der hier« (er wies auf den neben ihm sitzenden Boxer); »ich gebe zu, daß der Artikel in unschicklicher Form, mit mangelhafter Beherrschung der Sprache und in einem Stil geschrieben ist, wie sich desselben eben ehemalige Militärs von seiner Art bedienen. Er ist ein dummer Mensch und geht obendrein immer auf Gelderwerb aus, das gebe ich zu, das sage ich ihm alle Tage gerade ins Gesicht; aber trotzdem war er zur Hälfte in seinem Recht: die Öffentlichkeit ist das gesetzliche Recht eines jeden, folglich auch Burdowskis. Seine Abgeschmacktheiten aber mag er selbst verantworten. Was aber das anbetrifft, daß ich vorhin in unser aller Namen gegen die Anwesenheit Ihrer Freunde Protest einlegte, so erachte ich es für nötig, Ihnen, meine Herrschaften, zu bemerken, daß dieser Protest lediglich bezweckte, unser Recht zu wahren, daß uns aber im Grunde die Anwesenheit von Zeugen sogar erwünscht ist, und daß wir vorhin, noch ehe wir hereinkamen, alle vier damit einverstanden waren. Mögen diese Zeugen sein, wer sie wollen, sogar Ihre Freunde; aber da sie nicht umhin können werden, Burdowskis Recht anzuerkennen (denn es ist so sicher wie ein mathematischer Lehrsatz), so ist es sogar am besten, wenn diese Zeugen Ihre Freunde sind; um so deutlicher wird die Wahrheit ans Licht treten.«

»Das ist richtig; wir sind damit einverstanden gewesen«, bestätigte Lebedjews Neffe. »Warum machten Sie denn dann vorhin gleich bei den ersten Worten ein solches Geschrei und einen solchen Lärm, wenn Ihnen das selbst erwünscht war?« fragte der Fürst erstaunt.

»Was diesen Artikel betrifft, Fürst«, griff nun der Boxer[148] in die Debatte ein, der den dringenden Wunsch hatte, zu Worte zu kommen, und sich in einer angenehmen Erregung befand (man konnte vermuten, daß die Anwesenheit der Damen stark auf ihn wirkte), »was diesen Artikel betrifft, so bekenne ich, daß ich tatsächlich der Verfasser bin, wiewohl mein kränklicher Freund, dem ich in Anbetracht seines Schwächezustandes vieles zugute zu halten pflege, ihn soeben scharf kritisiert hat. Aber ich habe ihn verfaßt und ihn in dem Journal eines guten Freundes in Gestalt eines Beitrages drucken lassen. Nur die Verse sind nicht von mir, sondern stammen tatsächlich aus der Feder eines bekannten Humoristen. Meinem Freund Burdowski habe ich den Artikel nur vorgelesen, und zwar nicht vollständig, und habe sogleich von ihm seine Einwilligung zum Druck erhalten; indes werden Sie selbst zugeben müssen, daß ich ihn auch ohne seine Einwilligung hätte drucken lassen können. Die Öffentlichkeit ist ein allgemeines, edles, wohltätiges Recht. Ich hoffe, daß Sie selbst, Fürst, fortschrittlich genug denken, um dies nicht in Abrede zu stellen ...«

»Ich werde das nicht in Abrede stellen; aber Sie müssen selbst sagen, daß in Ihrem Artikel ...«

»Sie wollen sagen: er ist etwas scharf gehalten? Aber es handelt sich hier, wie Sie werden zugeben müssen, sozusagen um das Gemeinwohl; und kann man denn schließlich eine so ausgezeichnete Gelegenheit unbenutzt lassen? Schlimm für die Schuldigen; aber das Gemeinwohl geht über alles. Was einige Ungenauigkeiten, sozusagen Hyperbeln anlangt, so werden Sie auch dies zugeben müssen, daß das Wichtigste der leitende Gedanke ist, der Zweck und die Absicht. Wichtig ist, daß ein Einzelfall als wohltätig wirkendes Beispiel benutzt wird; um Privatinteressen können wir uns erst in zweiter Linie kümmern. Und schließlich handelt es sich hier um den Stil; es ist dies sozusagen eine Aufgabe für humoristische Darstellung. Und schließlich ... schreiben doch alle so, wie Sie selbst werden zugeben müssen! Haha!«[149]

»Aber ich muß sagen: Sie haben da doch einen ganz wahrheitswidrigen Weg eingeschlagen, meine Herren!« rief der Fürst. »Sie haben den Artikel in der Voraussetzung drucken lassen, ich würde mich um keinen Preis bereitfinden lassen, Herrn Burdowski zufriedenzustellen, und Sie müßten mir darum einen Schreck einjagen und an mir Ihr Mütchen kühlen. Aber woher wußten Sie denn das? Ich habe mich vielleicht dafür entschieden, Herrn Burdowski zufriedenzustellen. Ich sage Ihnen jetzt geradeheraus und vor all diesen Zeugen, daß ich ihn zufriedenstellen werde ...«

»Nun, das ist endlich einmal ein verständiges, edles Wort eines verständigen, edlen Menschen!« erklärte der Boxer.

»O Gott!« rief Lisaweta Prokofjewna unwillkürlich.

»Das ist nicht mehr zu ertragen«, murmelte der General.

»Erlauben Sie, meine Herren, erlauben Sie, ich werde Ihnen die Sache auseinandersetzen«, bat der Fürst. »Vor fünf Wochen erschien bei mir in S. ein Herr Tschebarow, Ihr Bevollmächtigter und Vertreter, Herr Burdowski. Sie haben in Ihrem Artikel eine sehr schmeichelhafte Schilderung von ihm gegeben, Herr Keller«, wandte sich der Fürst, auf einmal auflachend, an den Boxer; »aber mir gefiel er ganz und gar nicht. Ich war mir gleich bei der ersten Begegnung darüber klar, daß dieser Tschebarow die Haupttriebfeder bei der ganzen Angelegenheit bildet, und daß er wohl derjenige ist, der Sie, Herr Burdowski, unter Ausnutzung Ihrer Naivität zu diesem ganzen Vorgehen angestiftet hat, wenn ich offen reden soll.«

»Sie haben kein Recht ... ich ... bin nicht naiv ... das ...«, stotterte Burdowski aufgeregt.

»Sie haben keinerlei Berechtigung, solche Vermutungen auszusprechen«, fügte, für ihn eintretend, Lebedjews Neffe hinzu.

»Das ist im höchsten Grade beleidigend!« kreischte Ippolit. »Eine beleidigende, lügenhafte Vermutung, die gar nicht zur Sache gehört.«[150]

»Verzeihung, meine Herren, Verzeihung!« entschuldigte sich der Fürst eilig; »bitte, verzeihen Sie! Ich habe es nur deswegen gesagt, weil ich meine, es würde wohl das beste sein, wenn wir gegeneinander völlig aufrichtig wären; aber wie Sie wollen; ganz wie Sie wollen! Ich sagte zu Herrn Tschebarow, da ich nicht in Petersburg sei, so würde ich unverzüglich einem Freund zur Erledigung der Angelegenheit Vollmacht erteilen und Sie, Herr Burdowski, davon benachrichtigen. Ich sage Ihnen geradeheraus, meine Herren, daß mir diese Sache als eine arge Gaunerei erschien, eben deshalb, weil dieser Tschebarow dabei beteiligt war ... Oh, fühlen Sie sich nicht beleidigt, meine Herren! Um Gottes willen, fühlen Sie sich nicht beleidigt!« rief der Fürst erschrocken, da er sah, daß Burdowski wieder eine gekränkte, empörte Miene machte und seine Freunde sich anschickten, aufgeregt zu protestieren. »Es kann sich doch nicht auf Sie persönlich beziehen, wenn ich sage, daß ich die Sache für eine Gaunerei hielt! Ich kannte ja damals niemand von Ihnen persönlich, nicht einmal Ihre Namen; ich urteilte nur nach dem Eindruck, den mir Tschebarow machte; ich sage das überhaupt, weil ... Wenn Sie wüßten, wie schrecklich ich betrogen worden bin, seitdem ich die Erbschaft gemacht habe!«

»Fürst, Sie sind furchtbar naiv«, bemerkte Lebedjews Neffe spöttisch.

»Und dabei ein Fürst und ein Millionär! Trotz Ihres vielleicht wirklich guten, schlichten Herzens können Sie dem allgemeinen Gesetz natürlich doch nicht entgehen«, äußerte Ippolit.

»Möglich, gut möglich, meine Herren«, erwiderte der Fürst rasch, »obwohl ich nicht verstehe, von welchem allgemeinen Gesetz Sie reden. Aber ich fahre fort; fühlen Sie sich nur nicht so ganz ohne Grund beleidigt; ich schwöre Ihnen, die Absicht, Sie zu kränken, liegt mir absolut fern. Und in der Tat, was soll denn das vorstellen, meine Herren: man kann ja kein einziges offenes Wort[151] sagen, gleich fühlen Sie sich beleidigt! Erstens war ich also höchst erstaunt, daß ein ›Sohn Pawlischtschews‹ existierte, und zwar in so schrecklicher Lage, wie sie mir Tschebarow schilderte. Pawlischtschew war mein Wohltäter gewesen und der Freund meines Vaters. (Ach, warum haben Sie in Ihrem Artikel eine solche Unwahrheit über meinen Vater geschrieben, Herr Keller? Er hat sich keine Veruntreuung von Kompaniegeldern und keine ungerechte Behandlung Untergebener zuschulden kommen lassen; davon bin ich fest überzeugt; wie haben Sie nur die Hand dazu rühren mögen, eine solche Verleumdung niederzuschreiben?) Und das, was Sie über Pawlischtschew geschrieben haben, ist doch geradezu unerhört: Sie nennen diesen edelsten aller Menschen einen Lüstling, einen Leichtsinnigen, mit einer solchen Kühnheit und Sicherheit, als ob Sie wirklich die Wahrheit sagten; und dabei war er der sittenreinste Mensch, der je auf der Welt gelebt hat! Er war sogar ein sehr achtbarer Gelehrter, stand mit vielen in der Wissenschaft hochangesehenen Männern in Briefwechsel und gab viel Geld zur Beförderung wissenschaftlicher Zwecke aus. Was aber sein Herz und seine guten Taten anlangt, oh, da haben Sie allerdings ganz richtig geschrieben, daß ich damals beinah ein Idiot war und nichts ordentlich verstehen konnte (wiewohl ich doch Russisch zu sprechen und zu verstehen imstande war); aber alles, woran ich mich jetzt erinnere, vermag ich doch ganz gut in seinem Wert zu beurteilen ...«

»Erlauben Sie«, kreischte Ippolit, »wird das auch nicht allzu gefühlvoll werden? Wir sind keine Kinder. Sie wollten direkt zur Sache kommen; es ist bald zehn Uhr; vergessen Sie das nicht!«

»Schön, schön, meine Herren!« stimmte ihm der Fürst sogleich bei. »Nach der ersten Regung von Mißtrauen sagte ich mir, daß ich mich doch irren könne, und daß Pawlischtschew vielleicht wirklich einen Sohn habe. Aber in großes Erstaunen versetzte mich der Umstand,[152] daß dieser Sohn das Geheimnis seiner Geburt so leichtfertig, das heißt, ich will sagen, so öffentlich preisgibt, und vor allem, daß er seine Mutter verunehrt. Schon damals nämlich suchte mich Tschebarow durch den Hinweis auf eine Veröffentlichung einzuschüchtern ...«

»Was für eine Dummheit!« rief Lebedjews Neffe.

»Sie haben kein Recht ... Sie haben kein Recht!« schrie Burdowski.

»Der Sohn ist für die Liederlichkeit seines Vaters nicht verantwortlich, und die Mutter trägt keine Schuld«, kreischte Ippolit sehr erregt.

»Um so mehr verdiente sie geschont zu werden, möchte man meinen«, erwiderte der Fürst schüchtern.

»Sie sind nicht nur naiv, Fürst, sondern wohl einer stärkeren Bezeichnung würdig«, bemerkte Lebedjews Neffe mit boshaftem Lächeln.

»Und welches Recht hatten Sie ...«, kreischte Ippolit mit ganz unnatürlicher Stimme.

»Keines, keines!« unterbrach ihn der Fürst eilig. »Darin haben Sie recht, das erkenne ich an; aber jener Gedanke war mir damals ganz unwillkürlich gekommen und ich sagte mir darauf sogleich selbst, daß meine persönlichen Gefühle keinen Einfluß auf die Behandlung der Sache haben dürften; denn wenn ich aus Dankbarkeit gegen Pawlischtschew eine Verpflichtung anerkennen wolle, Herrn Burdowskis Forderungen zu befriedigen, so müsse ich sie eben in jedem Fall befriedigen, das heißt ohne Rücksicht darauf, ob ich gegen Herrn Burdowski von Hochachtung erfüllt sei oder nicht. Ich habe hiervon nur deswegen zu reden begonnen, meine Herren, weil es mir doch unnatürlich schien, daß ein Sohn das Geheimnis seiner Mutter so vor aller Öffentlichkeit kundgibt ... Mit einem Wort: dies war der Hauptgrund, weswegen ich zu der Überzeugung gelangte, dieser Tschebarow müsse eine Kanaille sein und habe Herrn Burdowski durch Betrug zu dieser Gaunerei aufgehetzt.«

»Aber das ist ja nicht mehr zum Aushalten!« wurde von[153] seiten seiner Gäste gerufen, von denen einige sogar von den Stühlen aufsprangen.

»Meine Herren! Ich sagte mir daher, der unglückliche Herr Burdowski müsse ein harmloser, unbehüteter Mensch sein, der sich leicht einem beliebigen Gauner füge, und ich sei mithin um so mehr verpflichtet, ihm als ›Pawlischtschews Sohn‹ zu helfen, und zwar erstens dadurch, daß ich Herrn Tschebarow entgegenträte, zweitens dadurch, daß ich ihm in aufrichtiger Freundschaft Mentordienste erwiese, und drittens durch Auszahlung von zehntausend Rubeln, das heißt der ganzen Summe, die nach meiner Berechnung Pawlischtschew für mich aufgewendet haben mag.«

»Wie? Nur zehntausend Rubel?« schrie Ippolit.

»Na, im Rechnen sind Sie nicht sehr stark, Fürst, oder vielleicht auch sehr stark, obwohl Sie sich so naiv und harmlos stellen!« rief Lebedjews Neffe.

»Ich gehe auf zehntausend nicht ein«, sagte Burdowski.

»Antip, nimm es an!« riet ihm der Boxer schnell, zwar flüsternd, aber doch für alle vernehmlich, indem er sich über Ippolits Stuhllehne hinweg von hinten zu ihm hinbog. »Nimm es an; nachher werden wir weitersehen!«

»Hören Sie mal, Herr Myschkin«, kreischte Ippolit, »begreifen Sie doch endlich, daß wir keine Dummköpfe sind, keine gemeinen Dummköpfe, wie es wahrscheinlich alle Ihre Gäste von uns glauben, auch diese Damen, die so entrüstet über uns lächeln, und besonders dieser noble Herr« (er wies auf Jewgeni Pawlowitsch), »den ich natürlich nicht die Ehre habe zu kennen, von dem ich aber wohl schon etwas gehört habe ...«

»Erlauben Sie, erlauben Sie, meine Herren, Sie haben mich wieder nicht recht verstanden!« wandte sich der Fürst erregt zu ihnen. »Erstens haben Sie, Herr Keller, in Ihrem Artikel mein Vermögen ganz ungenau angegeben: ich habe keine Millionen erhalten; ich besitze vielleicht nur ein Achtel oder ein Zehntel dessen, was Sie bei mir voraussetzen; zweitens sind in der Schweiz gar nicht[154] so enorme Summen für mich ausgegeben worden: Schneider erhielt sechshundert Rubel jährlich, und auch das nur in den ersten drei Jahren; auch hat Pawlischtschew niemals hübsche Gouvernanten aus Paris geholt; das ist wieder Verleumdung. Meines Erachtens beträgt der für mich gemachte Aufwand erheblich weniger als zehntausend Rubel. Aber doch habe ich diese Summe angesetzt, und Sie müssen selbst zugeben: da ich eine Schuld zurückzahle, kann ich Herrn Burdowski schlechterdings nicht mehr anbieten, selbst wenn ich ihn außerordentlich lieb hätte; ich kann es schon aus Taktgefühl nicht, da ich ihm eben eine Schuld zurückzahle und ihm nicht etwa ein Almosen zuwende. Ich weiß nicht, meine Herren, wie Ihnen das unverständlich sein kann! Aber ich wollte das nachher alles durch meine Freundschaft und durch meine tätige Teilnahme an dem Ergehen des unglücklichen Herrn Burdowski ausgleichen, der ohne Zweifel betrogen worden ist, da er sonst unmöglich einer solchen Gemeinheit zugestimmt hätte, wie sie Herrn Kellers heutige Äußerungen über seine Mutter in diesem Artikel darstellen ... Aber warum kommen Sie denn wieder außer sich, meine Herren? Auf die Art werden wir einander schließlich überhaupt nicht mehr verstehen! Was ich gedacht hatte, hat sich ja doch als zutreffend herausgestellt! Ich habe mich jetzt mit eigenen Augen überzeugt, daß meine Vermutung richtig war«, sagte der Fürst, der ganz in Eifer gekommen war, in bittendem Ton; er wünschte, die Erregung zu besänftigen, und merkte nicht, daß er sie nur steigerte.

»Was? Wovon haben Sie sich überzeugt?« schrien die Gegner wütend auf ihn los.

»Aber ich bitte Sie, erstens habe ich selbst Gelegenheit gehabt, Herrn Burdowski genau kennenzulernen, und sehe jetzt selbst, wes Geistes Kind er ist ... Er ist ein unschuldiger Mensch, der von allen betrogen wird! Und er ist ein schutzloser Mensch, und darum ist es meine Pflicht, schonend mit ihm zu verfahren. Und zweitens[155] hat Gawrila Ardalionowitsch, in dessen Hände ich diese Sache gelegt hatte, und von dem mir lange keine Nachricht zugegangen war, da er sich unterwegs befand und dann drei Tage lang in Petersburg krank lag, der hat plötzlich jetzt, erst vor einer Stunde, bei unserem ersten Wiedersehen, mir mitgeteilt, er habe Tschebarows Absichten sämtlich durchschaut und besitze die erforderlichen Beweise; Tschebarow sei genau der Mensch, für den ich ihn gehalten hätte. Ich weiß ja, meine Herren, daß mich viele für einen Idioten halten, und da ich in dem Ruf stand, leicht Geld hinzugeben, so hielt es Tschebarow für eine sehr leichte Aufgabe, mich zu betrügen, und rechnete dabei besonders auf meine dankbaren Empfindungen Pawlischtschew gegenüber. Aber die Hauptsache ist – merken Sie auf, meine Herren, merken Sie auf! –, die Hauptsache ist, daß sich jetzt herausstellt, daß Herr Burdowski gar nicht Pawlischtschews Sohn ist! Soeben hat mir Gawrila Ardalionowitsch dies mitgeteilt, und er versichert, er habe positive Beweise dafür erlangt. Nun, was meinen Sie jetzt? Das ist ja nach allem, was Sie schon angerichtet haben, gar nicht zu glauben! Und wohl zu merken: positive Beweise! Ich glaube es noch nicht, ich selbst glaube es noch nicht, versichere ich Ihnen; ich zweifle noch, da Gawrila Ardalionowitsch noch keine Zeit dazu gefunden hat, mir alle Einzelheiten mitzuteilen; aber daß Tschebarow eine Kanaille ist, daran kann jetzt kein Zweifel mehr bestehen! Er hat den unglücklichen Herrn Burdowski und Sie alle, meine Herren, die Sie Ihren Freund edelmütig unterstützen wollten (denn er bedarf augenscheinlich eines Beistandes; ich habe ja dafür Verständnis!), er hat Sie alle hinters Licht geführt und Sie alle in eine gaunerhafte Affäre verwickelt; denn die ganze Sache ist in Wirklichkeit nichts anderes als Betrug und Gaunerei!«

»Wieso Gaunerei? ... Wieso soll er nicht Pawlischtschews Sohn sein? Wie ist das möglich ...?« riefen mehrere durcheinander.[156]

Burdowskis ganzes Gefolge befand sich in unsagbarer Verwirrung und Aufregung.

»Ja, gewiß, Gaunerei! Wenn sich jetzt herausstellt, daß Herr Burdowski nicht Pawlischtschews Sohn ist, so erweist sich ja damit Herrn Burdowskis Forderung geradezu als Gaunerei, das heißt selbstverständlich, wenn er die Wahrheit wüßte; aber das ist es ja eben, daß er getäuscht worden ist, und darum bemühe ich mich so energisch, ihn zu verteidigen; darum sage ich auch, daß er wegen seiner Naivität bemitleidet zu werden verdient; sonst erscheint er in dieser Sache selbst als ein Gauner. Aber ich für meine Person bin bereits überzeugt, daß er nichts davon weiß. Ich selbst habe mich vor meiner Abreise nach der Schweiz in derselben Lage befunden, habe ebenfalls unzusammenhängende Worte gestammelt ... man will sich ausdrücken und ist nicht dazu imstande ... Ich habe dafür Verständnis; ich kann es ihm sehr nachempfinden, weil ich selbst fast ein ebensolcher Mensch war; ich darf darüber reden! Und endlich will ich dennoch, trotzdem er jetzt nicht mehr Pawlischtschews Sohn ist und alles sich als Mystifikation entpuppt, ich will dennoch meinen Entschluß nicht ändern und bin bereit, ihm die zehntausend Rubel auszuzahlen, dem Andenken Pawlischtschews zu Ehren. Eigentlich wollte ich ja vor Herrn Burdowskis Auftreten diese zehntausend Rubel dem Andenken Pawlischtschews zu Ehren für eine Schule verwenden; aber es ist ja jetzt ganz gleich, ob ich sie für eine Schule verwende oder sie Herrn Burdowski gebe, weil Herr Burdowski, wenn er auch nicht Pawlischtschews Sohn ist, doch beinah an Stelle eines solchen steht, da man ihn selbst darüber so boshaft getäuscht hat und er selbst sich aufrichtig für Pawlischtschews Sohn gehalten hat! Hören Sie nun mit an, meine Herren, was Gawrila Ardalionowitsch uns sagen wird: bringen wir die Sache zu Ende; seien Sie nicht zornig, regen Sie sich nicht auf, setzen Sie sich hin! Gawrila Ardalionowitsch wird uns sogleich alles erklären, und ich gestehe, daß ich selbst[157] außerordentlich begierig bin, alle Einzelheiten zu erfahren. Er sagte, er sei sogar nach Pskow zu Ihrer Mutter gefahren, Herr Burdowski, die keineswegs gestorben ist, wie man Sie in dem Artikel hat schreiben lassen ... Setzen Sie sich hin, meine Herren, setzen Sie sich hin!«

Der Fürst setzte sich, und es gelang ihm, auch Herrn Burdowskis Begleiter, die von ihren Plätzen aufgesprungen waren, wieder zum Hinsetzen zu bewegen. In den letzten zehn oder zwanzig Minuten hatte er hitzig, laut, in ungeduldiger Hast gesprochen, sich hinreißen lassen und alle andern zu überschreien gesucht; jetzt, gleich darauf, bereute er naturgemäß bitterlich einige ihm entschlüpfte Ausdrücke und die Äußerung gewisser Vermutungen.

Hätte man ihn nicht so gereizt und ganz außer sich gebracht, so würde er es sich nicht gestattet haben, manche Vermutungen so unverhüllt und hastig mit unnötiger Offenherzigkeit laut auszusprechen. Aber kaum hatte er sich wieder auf seinen Platz gesetzt, als ein schmerzhaft brennendes Gefühl der Reue sein Herz durchdrang: er hatte Burdowski nicht nur dadurch »beleidigt«, daß er so laut und öffentlich bei ihm dieselbe Krankheit voraussetzte, gegen die er selbst in der Schweiz eine Kur gebraucht hatte, sondern er hatte ihm auch das Angebot der eigentlich für eine Schule bestimmten zehntausend Rubel seiner Meinung nach in einer plumpen, unvorsichtigen Weise gemacht, namentlich insofern, als er es vor allen Leuten mit lauten Worten getan hatte. »Ich hätte warten und es ihm morgen unter vier Augen anbieten müssen«, dachte der Fürst sogleich; »aber das ist jetzt wohl nicht mehr gutzumachen! Ja, ich bin ein Idiot, ein richtiger Idiot!« sagte er sich in einem Anfall von Scham und aufrichtiger Betrübnis.

Inzwischen war Gawrila Ardalionowitsch, der sich bis dahin abseits gehalten und beharrlich geschwiegen hatte, auf des Fürsten Aufforderung vorgetreten, hatte sich neben ihn gestellt und begann nun ruhig und klar[158] über die Ausführung des ihm vom Fürsten erteilten Auftrages Bericht zu erstatten. Alle Gespräche waren augenblicklich verstummt. Alle hörten höchst gespannt zu, namentlich Burdowskis ganzes Gefolge.

Fußnoten

1 Aus Gribojedows (1793-1829) bekanntem Lustspiel in Versen »Verstand schafft Leiden«, Akt II, Szene 2. (A.d.Ü.)


2 Der Name des Schweizer Professors.


3 Der Name des jungen Edelings.


Quelle:
Dostojewski, Fjodor: Der Idiot. Die großen Romane, Bände 3–5, Frankfurt am Main 1981, Band 4, S. 132-159.
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