Das öde Haus

[69] Tiefab im Tobel liegt ein Haus,

Zerfallen nach des Försters Tode,

Dort ruh ich manche Stunde aus,

Vergraben unter Rank' und Lode;

's ist eine Wildnis, wo der Tag

Nur halb die schweren Wimper lichtet;

Der Felsen tiefe Kluft verdichtet

Ergrauter Äste Schattenhag.


Ich horche träumend, wie im Spalt

Die schwarzen Fliegen taumelnd summen,

Wie Seufzer streifen durch den Wald,

Am Strauche irre Käfer brummen;

Wenn sich die Abendröte drängt

An sickernden Geschiefers Lauge,

Dann ist's als ob ein trübes Auge,

Ein rotgeweintes drüber hängt.


Wo an zerrißner Laube Joch

Die langen magern Schossen streichen,

An wildverwachsner Hecke noch

Im Moose Nelkensprossen schleichen,

Dort hat vom tröpfelnden Gestein

Das dunkle Naß sich durchgesogen,

Kreucht um den Buchs in trägen Bogen,

Und sinkt am Fenchelstrauche ein.


Das Dach, von Moose überschwellt,

Läßt einzle Schober niederragen,[69]

Und eine Spinne hat ihr Zelt

Im Fensterloche aufgeschlagen;

Da hängt, ein Blatt von zartem Flor,

Der schillernden Libelle Flügel,

Und ihres Panzers goldner Spiegel

Ragt kopflos am Gesims hervor.


Zuweilen hat ein Schmetterling

Sich gaukelnd in der Schlucht gefangen,

Und bleibt sekundenlang am Ring

Der kränkelnden Narzisse hangen;

Streicht eine Taube durch den Hain,

So schweigt am Tobelrand ihr Girren,

Man höret nur die Flügel schwirren

Und sieht den Schatten am Gestein.


Und auf dem Herde, wo der Schnee

Seit Jahren durch den Schlot geflogen,

Liegt Aschenmoder feucht und zäh,

Von Pilzes Glocken überzogen;

Noch hängt am Mauerpflock ein Rest

Verwirrten Wergs, das Seil zu spinnen,

Wie halbvermorschtes Haar und drinnen

Der Schwalbe überjährig Nest.


Und von des Balkens Haken nickt

Ein Schellenband an Schnall' und Riemen,

Mit grober Wolle ist gestickt

»Diana« auf dem Lederstriemen;

Ein Pfeifchen auch vergaß man hier,

Als man den Tannensarg geschlossen;

Den Mann begrub man, tot geschossen

Hat man das alte treue Tier.


Sitz' ich so einsam am Gesträuch

Und hör' die Maus im Laube schrillen,

Das Eichhorn blafft von Zweig zu Zweig,[70]

Am Sumpfe läuten Unk' und Grillen –

Wie Schauer überläuft's mich dann,

Als hör' ich klingeln noch die Schellen,

Im Walde die Diana bellen

Und pfeifen noch den toten Mann.


Quelle:
Annette von Droste-Hülshoff: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1973, S. 69-71.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Die Ausgabe von 1844)
Gedichte
Sämtliche Gedichte (insel taschenbuch)
Geistliches Jahr: Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Gedichte (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon