|
[201] Chor der Wände.
BEIDE CHÖRE.
Heil Dir!
HANS.
Was ist das? Wer spricht hier?
Chor der Wände.
BEIDE CHÖRE.
Heil Dir, daß mit leichter Wunde die Besinnung Du erkauft.
HANS.
Alle Teufel! Steine reden, und die Wände werden laut?[201]
Nun, was Wunder! Scheint mir Selber doch das wunderbarste Wunder
Dies, daß ich, Hans Volk, aus all dem Lug und Trug, der – Irrenwirthschaft
Plötzlich mich erhoben habe, und auf eig'nen Beinen steh!!
Ei, so will ich decretiren: es giebt keine Wunder mehr!
Er verbindet während des Folgenden seinen Arm und reinigt sich vom Blute.
Chor der Wände.
Strophe.
Leben, Leben
Ist ewige Fluth, herüber, hinüber,
Fallend, steigend. In jedem Sein
Kämpft das Gesetz des eigenen Lebens
Schwankend mit dem Gesetze des Alls.
Und Empörung ist Maaß der Natur,
Tief bewahrt im innersten Wesen,
Aber plötzlich aufgezeigt,
Wenn sie, von unmäßigem Zwang tödtlich bedroht, Sich Selbst will,
Heilig spricht das eigene Leben und des eigenen Lebens Recht.
Gegenstrophe.
Aber der Strom, gedämmt von starrendem Fels,
Wenn er, wachsend, endlich durchbricht mit Ingrimm
Donnernd die Felsenmauer, wogt und fluthet
Maaßlos dann selbst über Feld und Flur, zerstörenden Laufs.
Und der Berg, vom inneren Feuer geschüttelt,
Wenn er berstet, entläßt das Feuer; doch nun, siehe,
Strömt es maaßlos über die Erde
Und, kaum selbst vom Tode gerettet, verheert es rings blühendes Leben!
Strophe.
Soll sich der Mensch wie sie empören?
Wenn er, von Leidenschaft emporgerissen,[202]
Große göttliche That vollbracht,
Rettung von Knechtschaft, Rettung von Schmach,
Soll er sein hohes Werk beflecken,
Schuld und Unschuld wahllos hassend,
Unrecht beginnend, nur weil er so mühsam zu Rechte gelangt?
Gegenstrophe.
Nein! denn im Menschen lebt der Gedanke! in der Natur nur das stumme Gesetz.
Freigewordene Elemente,
Feuer und Wasser,
Zerstören, verheeren bis sich das Maaß der Kraft erschöpft, –
Das ist die Freiheit, das ist das Recht der wahllosen Natur!
Aber des Menschen, des Erdbeherrschenden Recht und Freiheit ist die Vernunft!
Blinde Vergeltung nicht ziemt ihm, noch maaßlos Wüthen,
– Ruhe! noch in der Leidenschaft Stürmen Ruhe,
Und Besinnung im Kampf der Sinne –
Denn gerecht ist auf Erden
Nur der Mensch!
BEIDE CHÖRE.
Denn gerecht ist auf Erden
Nur der Mensch!
HANS.
Wahrlich! will mich's doch bedünken, daß die Herren Wände hier
Von mir Selbst zu sprechen wagen! – und nicht gar so Unrecht haben –
Denn der kleine Aderlaß da, hat mich ruhiger gemacht,
Und ich sehe nun die Sache mit dem Aufrecht anders an.
S'war doch wohl nur meine Hitze, die ihn schuldig scheinen ließ –
Denn, fand er die Speisekammer und den Keller fest verschlossen,
Was konnt' er mir Bess'res bringen, als er brachte? – Und nun gar
Die Vergiftung! ha ha ha! lächerlich! mein guter Aufrecht,[203]
Der mit mir in seiner Wohnung, eh' ich in dies – Lazareth kam,
Oft genug sein ärmlich Brot und Käse und Nordhäuser theilte!
Nein, wahrhaftig, gänzlich Unrecht that ich mei nem braven Aufrecht;
Und will's gleich ihm selber sagen; will ihn gleich zurücke rufen,
Und fortan Geduld versprechen, wenn er treu mir bleibt –
Will gehen.
Da kommt er –
Ausgewählte Ausgaben von
Die Wände
|
Buchempfehlung
Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro