Geliebte

[41] Geliebte, nimm uns hin mit schweren Schwächen!

Ich bin bloß Mensch aus eigner Leidenschaft:

Auf deinen Flechten goldet mir geborgne Kraft,

Als schlürft ich Glut aus hold besonnten Bächen.


Mit freien Augen glückt dir das Versprechen

Zu jüngster Wonne, die zu dir mich rafft;

Durch deine Sachtheit lieb ich mich in Haft

Und mag aus keinen Zartgewinden brechen.


Geliebte, laß mich knien zu deinen Füßen;

Vergrab so warm die Hand im spröden Haar:

Ein Blick empor mag unsern Himmel grüßen!


Wer weiß, ob einst die Seele ruhig war?

Wohl schwand sie sanft aus allzu trauten, süßen

Gefühltheiten in Fremde und Gefahr.
[41]

Quelle:
Theodor Däubler: Attische Sonette, Leipzig 1924, S. 41-42.
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