Metaphysisches Lied

[112] Was macht das Leben wünschenswerth?

Was reizt die Geister, was begehrt

Der Weise, hör ich fragen.

O geht zu einem Weisen hin!

Denn ich, der ich kein Weiser bin,

Ich darf es euch nicht sagen.


Was ist es, so dich aufrecht hält,

Was mit dem Dasein auf der Welt

Kann dich, o Mensch, vesöhnen?

Geht doch zu einem Weisen hin!

Denn mich, der ich ein Dichter bin,

Mich würdet ihr verhöhnen.


Doch ihr kommt wieder? Um vielleicht

Zu hören was den Thoren däucht?

So laßt den Rath euch geben:

Thut, was ihr wollt und bleibt gesund,

Gesund, gesund, dann wird euch kund

Warum der Mensch will leben!


Dann lebet in den Tag hinein,

Und schlafet Nachts und bleibet rein

Von Grundsatz und von Sünde!

Dies ist ein Kunststück, wer es kann,

Beherrscht die Welt, er frage dann

Nicht nach, wie ers begründe!

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 112-113.
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