In Spanien

[264] Es krachet der Wald,

Die Aeste brechen,

Es brauset und schallt

In gießenden Bächen.

Und hoch über mir

Grollet langsam,

Und wiederum plötzlich

In rasenden Wirbeln

Geller Donner

Der Sturm peitschet die große Fichte,

Daß sie morsch auseinanderstürzt,

Und hundert Keime knickt.

Es brüllen, es lärmen

Die jagenden Wolken,

In scheuen Schwärmen

Suchet Schutz das vergeisterte Wild.

Und wiederum nachher

Ein sanftes volles Rauschen

Geht durch die Wipfel

Und Stille folgt ihm.

Aber nicht lange so ziehet herauf

Ein zweites Wetter,

Voll Blitz und Regenguß

Und schrecklichem Donnern.

Was rennt dort ein Weib,

Ein schönes, verzweifelndes?

Im Arm ein Neugeborenes[265]

Krampfig haltend

Und schauernd.

Ich frage, sie flieht mich,

Ich rufe, sie eilet,

Ich folge, sie jammert:

O du bist auch ein Menschengesicht,

Und schlecht sind die Menschen!

Wer jagt dich in die Wildniß,

Unglückselige?

Wer mich jagt in die Wildniß,

Das ist Vater und Mutter.

Ich hülflos herzlos Verlassene

Von Vater und Mutter

Und vom stolzen Geliebten!

So komme mit mir.

Ich will dich schützen,

Ich will dich führen

Unter wirthliches Obdach.

Denn Du bist eine Heilige,

Wenn Vater und Mutter

Und ein Geliebter,

Bei solchem Sturm dich jagen in die Wildniß

Also sprach der Zigeuner.

Bist du der Heiland?

Frägt sie mit großen

Strahlenden Augen.

Ein Fremder bist du

Und bürdest dir Last auf,

Unerquicklichste.

Ja ich bin der Heiland,[266]

Denn ewig lebt er

Ewig ein Solcher.

Und wo du ihn suchest,

Da ist er.

Niemals stirbt das Geschlecht aus

Der Hülfreichen.

Und weh, wenn wir lebten

Ohne diese Gewißheit!

Entrüstet hast du,

Schmerzreiche Mutter,

Gläubige Christen durch menschliche That.

Jetzt wo zürnet der Himmel

Und ihnen Angst ins Herz frißt,

Entschuldgen sich diese

Mit des Gebetes Wollust –

Aber draußen im Sturmwind

Irret ein Menschenkind,

Dem sie fluchen ob menschlicher That.

Ihnen war der Heiland

Ein Gott,

Ein Unbegreiflicher,

Unnahbarer, wundersüchtiger,

Unverstandener,

Und unwürdig

Tragen sie seinen Namen.

Ich, der niemals

Sich also bekannte,

Trage im Busen

Unerlerntes Mitleid.

Komm du, ich will dich beschützen![267]

Und wieder rauscht es

Sanft und voll durch die Wipfel,

Nimmer wüthet der Regen;

Und von den grünen

Aufathmenden Blättern

Tröpfelt es nieder.

Vöglein hüpfen hervor,

Und ein süßer Strahl

Lächelt vom blauen

Fröhlichen Himmel.

Quelle:
Ludwig Eichrodt: Leben und Liebe, Frankfurt a.M. 1856, S. 264-268.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon