Vierter Auftritt.

[89] Eduard. Ein Bedienter. Gleich darauf Luise.


DER BEDIENTE sich umsehend. Niemand sichtbar? Alles wie ausgestorben? – Aber da sieh! da wäre ja Einer. Und der Beschreibung nach gleich der Rechte. Ich muss ihn nur anreden. – Ihm näher tretend und einen Brief bietend. Hier, Freund![89] Ich denke, dies wird an Euch sollen. Ihr nennt Euch Welldorf?

EDUARD. Zeigt her! – Ansehend. Wenn es an den Sohn soll, nicht an den Vater – –

BEDIENTER. Schon recht! – Vom Hauptmann von Brink. An den Sohn.

EDUARD. Dann bin ich's. – Nachdem er gelesen. Ich bringe Antwort darauf.

LUISE. Mein Bruder – Dem Bedienten nachsehend. Ein guter oder ein böser Bote?

EDUARD trocken. Ein Guter. – Lies selbst!

LUISE lesend. »Ich bin durchgedrungen; ich habe des Obersten Wort auf zwei Stunden. Die erste Erklärung war ungünstig, und alle meine Vorstellungen von Menschlichkeit und von eigenem Vörtheil des Königs waren vergebens. Pflicht und Pflicht: das war[90] die ewige Antwort. Aber ich hatte noch kaum bedeutend erwiedert, dass es doch Unterschiede unter den Pflichten gäbe, und dass so pünctliche Strenge mir doch weniger Pflicht, als zum Beispiel Vertheidigung seiner Posten und treue Anwendung königlicher Gelder schiene; so folgte eine so plötzliche Nachgiebigkeit mit so sichtbarer Verwirrung, dass ich nun gewiss bin, ich werde noch mehr vermöge. Bring' mir also von dem Entschluss deines Vaters Nachricht, und rechne darauf, dass ich in jedem Fall ihn rette. Der Befehl des Königs, wie ich itzt immer mehr erkenne, ist so zwingend nicht, als er gemacht wird. – Ich wäre selbst gekommen; aber Vorfälle im Dienst halten mich ab. von Brink.« – Mit Freude und Rührung. Also doch noch – Er ist denn doch noch zu retten? – O, dieser rechtschaffne[91] Mann! – Ja, wenn wir nicht ihn gehabt hätten und nicht noch itzt ihn hätten! Er ist der Edelmuth selbst. Indem sie den Brief zurückgiebt. Eduard! nun verzeih' ich dir wieder. Sieh, vor wenig Augenblicken, als du unsern Vater so abriethst; da glaubt' ich, ich könnte dir nie verzeihen. Doch itzt – da wir diese neue Hoffnung doch nur dir, deiner Vermittelung schuldig, sind – – Indem er tiefsinnig dasteht. Aber was ist dir? Du bist noch so in dich gekehrt? bist so finster?

EDUARD. Und kann ich lachen? Hab' ich Ursache dazu?

LUISE. Gütiger Gott! – Ich errathe, was dich so niederdrückt; es ist dein eigener Zustand. Und freilich ist er fürchterlich, schrecklich. – Wie wollt' ich; dass ich nur mehr könnte, als dich bedauern, dass ich dir ihn erleichtern, dir helfen könnte![92]

EDUARD kaum hinhörend. Mir helfen? –

LUISE. Und doch – Soll man desswegen nichts thun, weil man nicht Alles thun kann? – Sich schnell entfernend. Bleib! bleib! Ich komme wieder, Eduard; gleich!


Quelle:
J[ohann] J[akob] Engel: Eid und Pflicht. Berlin 1803, S. 89-93.
Lizenz:
Kategorien: