XVII.

[167] Unter so angenehmen Vorstellungen der Alte eingeschlummert war, unter so unangenehmen wachte er auf. Da er sein Herz von der Erzählung des Doctors voll hatte; so versetzte ihn ein Traum in das Lykische Haus, wo er das Vergnügen genoss, seinen Sohn, mit Schweiss und Staub bedeckt, unter einem Haufen ganz verschiedenartiger, höchst undeutlich durcheinander geworfener Waaren zu sehn, die er mit grossem Fleiss auseinander suchte. Er wollte so eben zugreifen, um ihm zu helfen, als in seiner Einbildung die mit dem Namen Lyk verbundenen Bilder lebendig wurden, und ihn aufs bitterste den Entschluss bereuen liessen, in ein Haus voll so toller Verschwendung und so ärgerlicher[168] Ausschweifung getreten zu seyn. Indessen hielt er den Anblick der prächtigen Zimmer, die in seinen Gedanken sich eher für einen Fürsten als einen Kaufmann schickten, der mit grösstem Überflusse besetzten Tafeln, der umherschwärmenden Bedienten, ja sogar der wilden, lärmenden Trinker, die Champagner wie Wasser hinuntergossen, eine Zeitlang aus; aber als endlich sein Sohn mit der Hausfrau süsse Blicke zu wechseln anfing, und beide auf einmal in bebänderten Domino's, mit Masken in den Händen und rothen Absätzen unter den Schuhen, vor ihm standen: so stürzte er, voll des äussersten Widerwillens, zur Thüre, und dankte dem Himmel, auf die grosse Hausflur hinauszukommen, die ihm aus frühern Jahren, von den Zeiten des alten Lyk her, so wohl bekannt war. Er hob[169] hier sorgfältig beide Rockschösse auf, und drückte sie dicht an den Leib, um unbeschmutzt durch die Packen und Ballen und Kisten und Fässer zu kommen, zwischen denen ehemal nur ein ganz schmaler Weg hindurchging; aber plötzlich ward er zu seinem Erstaunen inne, dass seine Vorsicht unnütz, und dass die ganze Flur von Waaren so ausgeleert war, wie eine Schatzkammer nach einem Kriege von Gelde. Alle Wände umher hingen voll angezündeter Lampen, und nicht lange, so ertönte aus dem Hintergrunde des Saals – denn das war die Flur nun geworden – eine lustige Tanzmusik: Paar an Paar hüpften, wie unsinnig, gegen-und durcheinander; und als er sich leise niederdrückte, um wo möglich hinter ihnen weg und zum Hause hinauszuschleichen: tanzte ihm unversehens eine der muntersten[170] und galantesten Frauen der Stadt, von gar nicht gutem Rufe entgegen, riss ihn, wie sehr er sich sträubte, in die Reihe hinein, und wirbelte dann, in Verbindung mit der ganzen Gesellschaft, den guten Alten, der nie als in seiner Jugend ein Tänzchen, und auch da nur ein Ehrentänzchen, gemacht hatte, so unbarmherzig auf und nieder, dass er bei seinem endlichen Stillstehen kaum wieder Athem gewinnen konnte. Er fand sich hier einem Spiegel gegenüber, der ihm seine ganze gegen die übrige Gesellschaft so abstechende Gestalt, zugleich mit seinen grauen Wimpern und den ehrwürdigen Runzeln seines Alters zeigte; ein Anblick, worüber er augenblicklich wach ward, und sich völlig so athemlos und so eingefeuchtet fand, als ob die geträumte heftige Leibesbewegung wirklich Statt gehabt hätte.[171]

Gottlob! rief er, indem er die Augen weit aufthat, und sich des einsamen Schimmers seiner Nachtlampe von Herzen freute: es war nichts, als ein Traum. Hätt' ichs doch kaum geglaubt, dass man im Traume ein so schweres und angreifendes Stück Arbeit machen könnte! – Die tollen, rasenden Menschen! – Und nun fing er an, weil die Wallung in seinem Blute noch fortwährte, und die verhassten Bilder noch ihre volle Lebhaftigkeit hatten, sich recht ernstlich über den Unsinn zu ärgern, womit so Mancher für die läppischen, armseligen Vergnügungen, denen er nur eben beigewohnt hatte, Vermögen und Gesundheit und ehrlichen Namen auf's Spiel setze. Er dachte sich mit dem äussersten Abscheu die Möglichkeit, dass auch sein so sauer erworbenes Gut, eben wie das Lykische, in wenig[172] Jahren verprasst, und der Name Stark, den er bisher in Ehre und Ansehen erhalten, mit Schimpf und Schande belegt werden könnte. Hier fielen ihm die süssen, zärtlichen Blicke auf's Herz, die er seinen Sohn mit Madam Lyk hatte wechseln sehen. Es fuhr ihm kalt über den Rücken. Doch tröstete ihn wieder die Betrachtung: dass die Liebe zum Gelde in dem Herzen seines Sohns keine schwächere Leidenschaft, als die Eitelkeit, sei, und dass es ihm jene gewiss nicht erlauben werde, sich mit einer Frau von so mittelmässigen Umständen – denn was konnte eine so weit getriebne Unordnung und Verschwendung zurückgelassen haben? – und noch obendrein mit einer Mutter von Kindern, zu belasten. So weit, sagte er, kann sein Geschmack an Galanterie ihn doch unmöglich verleiten.[173] Zwar, wandt' er sich wieder ein, hat er ja meine Erwartung schon in Einem Stücke getäuscht; und so könnt' er es leicht auch in diesem. – Doch ich träume noch, glaub' ich; die Fälle sind einander zu ungleich. Das Opfer, das er bei so einer Heirat brächte, wäre zu gross; auch hat er hier volle Zeit zur Besinnung – denn in eine Liebe verstrickt zu werden, die ihn aller Besinnung beraubte, sieht ihm nicht ähnlich –; und welche Wahl er treffen kann, wenn ihm nur die Besinnung frei bleibt, ist keine Frage. Am Krankenbett des seligen Lyk sah er sich überrascht; er ist nur ein eitler und schwacher, kein verderbter, kein boshafter Mensch: es war natürlich, dass der erschütternde, ihm so neue Anblick eines Sterbenden, und die dringende Aufforderung die so sehr zu rechter Zeit an sein[174] Herz erging, ihn zu einem Versprechen hinrissen, das er bei kalter Überlegung wohl schwerlich gethan hätte, das aber, einmal gethan, nicht unerfüllt bleiben durfte, wenn er nicht geradezu als ein Mann von schlechter Gesinnung erscheinen wollte. – Und warum sollt' er denn nicht auch freudig gethan haben, was einmal gethan werden musste? Warum sollt' er nicht, während er's that, in dem Bewusstseyn seiner Rechtschaffenheit, und in der Achtung die er gegen sich selbst empfinden musste, sich so wohl gefallen haben, dass er immer freudiger fortfuhr? Ich danke dem Himmel, wenn er bei dieser Gelegenheit in den Geschmack des Guten gekommen. Vielleicht, dass ihn das edlere Vergnügen wohl noch ganz von den armseligen Eitelkeiten abzieht, zu denen er bisher einen so unglücklichen[175] Hang hatte; und dann vollends – leben Sie wohl, Madam Lyk, mit aller Ihrer Feinheit, und Ihrem Weltton, und mit dem ganzen Gefolge von Liebenswürdigkeiten, das hinter Ihnen drein treten mag! Für meinen Sohn sind Sie nicht. –

Wenn diese Gedankenfolge des Herrn Stark, so richtig und bündig sie schien, dennoch nur wenig zutraf; so lag das an den beiden so gewöhnlichen Fehlern: dass er einen Charakter, der sich bis jetzt nur von gewissen Seiten entwickelt hatte, und von andern sich selbst, noch ein halbes Räthsel war, als schon völlig bekannt und ergründet voraussetzte; und dass er in die Vorstellung der Verhältnisse, worin er diesen Charakter handeln liess, einige bedeutende Irrthümer brachte, deren Entstehungsart wir vielleicht künftig[176] erfahren werden. Genug, dass für den Augenblick Herr Stark sich beruhigt fühlte, und wieder einschlief; doch hatten wirklich die aufgestiegenen Dünste seinen Horizont ein wenig getrübt, und Sonnenaufgang war daher nicht ganz so heiter, als man bei Sonnenuntergang hätte erwarten sollen.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 167-177.
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