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[836] Quemad. desiderat cervus.
Inn der weis: Inn dich hab ich gehoffet HERR, etc.
1.
Gleich wie ain Hirz nach wassern schreit
wann jn die Hund verjagt han weit,
also mein Söl auch schreiet
Nach dir, O GOT,
inn diser Not,
da jren Feind sie scheuet.
2.
Nach GOT dürst mein Söl nun zur Not,
ja nach dem lebendigen GOT:
wan wird ich dahin kommen,
Da ich anseh
GOTS Angsicht meh
im Tempel aller Frommen?[836]
3.
Mein tränen sint mein speis alltag,
weil täglich ich hör dise sag,
wa jzunt mein Got pleibe:
Wan ich hör dis,
mein Herz ich gis
bei mir selbs aus meim leibe.
4.
Dan ich gern ging aus sonderm gfalln
mit Gots Volk zum Haus GOTES walln
mit danken vnd frolocken,
Da der Hauf gern
feiret dem HERRN,
da wer ich vnerschrocken.
5.
Ach, mein Söl, was betrübst dich doch,
bist inn mir so vurnig noch?
harr auf GOT! dan ich werde
Im dankē schir,
das er hilft mir
mit seim Gsicht aus beschwerden.
6.
Mein GOT, mein Söl ist mir betrübt,
darum mir dan zu dir gelibt
vom Jordanischen Lande
Vnd vom Hermon
auf dein Sion,
da mir dein Trost beistande.
7.
So förcht ich mich vor kainer flut,
wie tief sie ist vnd schrecktich thut
vnd vnglücks Abgrund were,
Sehr rauscht vnd praußt,
mir doch nicht graußt,
wann ich dein Wort nur höre.
8.
Dan der HERR verhaißt vnd gebit,
das des tags aufgang seine Güt,
das ich des Nachts jm singe
Vnd bett vm gnod
meins Lebens GOT,
welcher schaft, das mir glinge.
9.
Zu GOT meim Felsen ich dan sag
›warum vergißt mein, das ich klag
mein Trost sei mir gewichen?
Warum mus ich
gehn trauriglich,
wan mich mein Feind trängt gschlichen?‹
10.
Inn meim gebain ists als ain Mort,
wann ich mus hören dise Wort
von meinen Feinden sprechen
›Wa ist dein GOT?‹
ach, wie ain spott,
der mir das herz möcht prechen!
11.
Nun, mein Söl, was betrübst dich noch,
bist in mir so vnruig doch?
trau GOT, dan ich will sehnlich
Im dankē schir,
das er hilft mir
als mein GOT augenscheinlich.
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