Brunnenpromenade

[48] Als ich ankam, Johannistag war grade,

Gleich ging ich auf die Brunnenpromnade.

Kaum wollt' ich meinen Augen traun,

So viel des Herrlichen war da zu schaun,

Eine lange Reihe der schönsten Damen,

Wer zählt die Völker, wer nennt die Namen!


Eine ganz Teint und Taille war,

Aschblond das schlicht gescheitelte Haar,

Blendende Zähne, feines Kinn,

Typus einer Engländerin,

Aber solcher, die palankin-überdacht

Weit draußen ihre Tage verbracht,

In Hongkong oder Singapor

(Ihr Diener Malaie halb, halb Mohr),

Und neben ihr plaudert ein junger Lord

Von Lachsfang im Stavanger-Fjord,

Alles albionmäßig abgestempelt,

Die Beinkleider unten umgekrempelt.


Es plätschert der Springbrunn, es duften die Blumen,

Fremd blicken die Bonnen und Kindermuhmen,

Noch fremder die Ammen; die Badekapelle

Spielt eben eine Wagnerstelle,

Lohengrin-Arie, jetzt laut, jetzt leis,

Die Damen schließen einen Kreis,

Und in den Kreis, auf den Schlag des Gong,

Tritt jetzt die Schönheit der Saison.

Ihr Aug' ist wie getaucht in Glut,

Rot ist ihr Kleid und rot ihr Hut,

Ein Hut, wie die Kirchenfürsten ihn tragen,

Breitkrempig, ein Schleier umgeschlagen,

Der Schleier auch rot – am Arme Korall'n,

Rot alles, worauf die Blicke fall'n,

Eine Römerin (flüstert man) soll es sein,

Andre sagen: aus Frankfurt am Main.[48]


Und herwärts wogt es und wieder zurück,

Auf Wagner folgt ein ungrisch Stück,

Ein Czardas, und auf dem bewässerten Rasen

Blitzt es wie von Goldtopasen;

Überirdisch, ein paradiesisch Revier,

Und die Frage kommt mir: »Was willst du hier?«

Eine Freiin grüßt mich ... doch, wer sie nicht kennte,

Die Macht der höheren Elemente!


Nun ist die erste Woche dahin,

Verändert schon fühl' ich Herz und Sinn,

Und eh' eine zweite Woche vergangen,

Ist es nahzu vorbei mit meinem Bangen;

Mummenschanz alles und Fastnachtsorden,

Selbst der rote Hut ist mir komisch geworden,

Ob aus Rom oder Frankfurt – ich seh' in Ruh'

Jetzt lieber dem Paukenschläger zu,

Der kränklich und mürrisch und doch begeistert

Auch Becken noch und Triangel meistert;

Zu Schemen ist plötzlich alles verschwommen,

Ich bin wieder zu mir selbst gekommen,

Und während mir Scheuheit und Demut entschlummern,

Zähl' ich mich zu den »besseren Nummern«.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 48-49.
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