Chevy-Chase

oder

Die Jagd im Chevy-Forst

[306] Gott schütz' den König, unsren Herrn,

Und unser aller Leben;

Im Chevy-Walde hat sich einst

Wehvolle Jagd begeben.[306]


Graf Percy von Northumberland,

Vor Taue noch und Tage

Zog aus er heut, mit Hund und Horn,

Daß er den Hirsch erjage.


Er schwur es jüngst an heil'ger Stätt'

– Sorglos um Groll und Knirschen –,

Er woll' drei Sommertage lang

Auf schott'schem Boden pirschen.


Er woll', was lebt im Chevy-Forst,

Mit Speer und Pfeil erlegen.

»Lord Douglas schütze, wenn er kann,

Den Hirsch in den Gehegen.«


Lord Douglas, der in Schottland lag,

Als er das Wort vernommen,

Dem Percy-Grafen schwur er da

Ein blutiges Willkommen;


Der aber ist im Walde schon

Mit fünfzehnhundert Mannen,

Wohlausgesucht und wohlerprobt,

Den Bogen straff zu spannen.


Schon, von der Meute aufgeschreckt,

Flieht, was die Schlucht geborgen;

Ein Montag war's, noch halbe Nacht,

Es graute just im Morgen.


Und eh' der Mittag kam, da lag

Haufweis das Wild erschlagen,

Doch rastlos, nach getanem Schmaus,

Begann ein neues Jagen.


Aufs neu durch Schlucht und Dickicht hin

Stob Huf und Hund nach Beute,[307]

Und neuer Angstschrei mischte sich

Dem Lustgeheul der Meute.


Graf Percy nun war satt des Spiels

Mit Hirschen und mit Hinden,

Er sprach: »Lord Douglas gab sein Wort,

Hier soll' ich heut ihn finden.


Bei Gott, nicht länger harrt' ich sein,

Dächt' ich, er könn' es brechen.«

Da tät alsbald ein Ritter jung

Also zum Grafen sprechen:


»Schau, Herr, dort blitzt es durch den Wald,

Das ist er mit den Seinen,

Schau, wie im Mittagssonnenglühn

Die blanken Speere scheinen.


Zweitausend sind's vom Lauf des Tweed,

Aus Tälern und aus Glennen,

Und der vorauf ist Douglas selbst,

An Roß und Helm zu kennen.«


»... Nun denn, wohlan!« rief Percy da,

»Dies Feld sei unsre Schranke,

Noch schlüpfte keiner mir hindurch,

Sei's Schotte oder Franke.


Das ist der Hirsch, den ich gesucht,

Nun lohnt es sich, zu jagen,

Es brennt mein Herz, Mann gegen Mann

Die Schlacht mit ihm zu schlagen.«


Lord Douglas hört's und ruft ihm zu:

»Da soll mich Gott verderben,

So wahr ein Lord ich bin wie du,

Du oder ich muß sterben.[308]


Doch hör' mich, Percy, Schande wär's

Und Schimpf an unsrem Leben,

So vieler Mannen schuldlos Blut

Mit in den Kauf zu geben.


Es sei all' unser Streit gelegt

In unsre beiden Speere ...«

»Verdammt sei der«, rief Percy da,

»Der andren Sinnes wäre ...«


Da trat ein Rittersmann herfür,

Withrington hieß der Degen,

Der sprach: »Hier müßig zuzuschaun,

Dran ist uns nicht gelegen.


Wir wollen nicht, dieweil ihr kämpft,

Hier Psalm und Lieder singen,

Und unsrem König Heinrich dann

In London Botschaft bringen.


Wohl seid ihr Lords und edle Herrn,

Und wir nur Knapp' und Ritter,

Doch dächt' ich traun, auch unser Schwert

Macht Wunden oder Splitter.«


Da tat alsbald all' englisch Volk

Den Eschenbogen biegen,

Und achtzig Schotten sanken hin

Von ihrer Pfeile Fliegen.


Lord Douglas aber, unbewegt,

Sitzt fest im Eisenbügel

Und kehrt zu seinen Mannen jetzt

Hoch auf des Waldes Hügel.


Schon stehn sie da, nach Kriegesart

Geteilt zu dreien Rotten,[309]

Und nieder wie ein Hagel jetzt

Fährt Douglas mit den Schotten.


Das gab ein Stechen und ein Hau'n,

Manch breite Wunde klaffte,

Längst unser englisch Bogenvolk

Nicht mehr den Bogen straffte.


O Christ, es war für Herz und Sinn

Ein Leid, nicht auszusagen,

Wie stöhnend da in Sand und Blut

Die Menschenknäule lagen.


Und immer schwankte noch die Schlacht,

Da endlich – mit Gestampfe –

Ansprangen wie zwei Löwen jetzt

Die Führer selbst zum Kampfe.


Sie kämpften, bis vernehmbar fast

Ihr Herz im Busen klopfte,

Bis Blut und Schweiß von Brust und Stirn

Wie Regen niedertropfte.


»Ergib dich, Percy!« Douglas rief's,

»Ganz Schottland soll dich preisen,

Und König Jakob Ehr' und Gunst

Am Throne dir erweisen.«


Doch Percy stolz: »Da wollt' ich eh'

Wie Kraut am Sumpf verrotten,

Mein Wort ist nein und dreimal nein

Genüber jedem Schotten.«


Da kam ein Pfeil aus unsern Reihn

Verrätrisch durch die Lüfte

Und bohrte tief in Douglas' Herz

Durch Rippe sich und Hüfte.[310]


Er sank vom Roß, ein stiller Mann,

Graf Percy sah ihn enden

Und faßte dann des Toten Hand

Mit seinen beiden Händen.


»O Douglas«, rief er, »solchen Siegs,

Des hat mein Herz nicht Labe,

Hin gäb' ich für dein Leben jetzt

Mein Land und meine Habe.«


Er sprach es kaum, da kam's wie Sturm

Durch Freund und Feind gestoben,

Den Leib zum Stoß weit vorgebeugt

Und hoch den Schild gehoben.


Wer ist's? Sir Ralph Montgommery.

Er sah den Douglas sinken,

Nun soll auch Percys Helmbuschzier

Nicht länger drohn und winken.


Und schleudernd jetzt den wucht'gen Schaft

Mit Hasses Kraft und Schnelle,

Durchfuhr die Lanze Percys Leib

Um eine Weber-Elle.


Hin sank der ritterlichste Held

Auf hufgestampfte Tenne,

Schon aber griff ein Bogenschütz

Nach Köcher und nach Senne.


Er spannte straff des Bogens Seil,

So straff, wie nie er's spannte,

Und drückte seinen längsten Pfeil

Scharf an die Eschenkante.


Lang zielt' er so, daß sichren Flugs

Der Pfeil zum Herzen dringe,[311]

Und feucht vom Blut des Schotten jetzt

Bebt' in der Brust die Schwinge.


So fiel Sir Ralph Montgommery,

Und mit ihm sind gefallen

Auf beiden Seiten männiglich

Die Ritter und Vasallen.


Von zwanzighundert schott'schen Volks,

Die Schild und Speer genommen,

Kaum fünfundfünfzig, weh und wund,

Sind norderwärts entkommen.


Und unser Volk, nicht siegesfroh

Trug es den Sieg von dannen,

Nur dreiundfünfzig kehrten heim

Von fünfzehnhundert Mannen.


Die andern schliefen fest im Wald

Nach heißem Kampfgewühle,

Und Nachtwind nur und Mondenlicht

Glitt über ihre Pfühle.


Das war die Jagd im Chevy-Forst,

Wo Herr und Hirsch gefallen.

Gott schütz' den König, unsren Herrn,

Und sei uns gnädig allen.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 306-312.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1898)
Gedichte
Die schönsten Gedichte von Theodor Fontane
Werke, Schriften und Briefe, 20 Bde. in 4 Abt., Bd.5, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte, Nachgelassenes
Gedichte in einem Band
Herr von Ribbeck auf Ribbeck: Gedichte und Balladen (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon