Traumkönig und sein Lieb

[81] Süß schlummert das Mädchen im Kämmerlein,

Gebettet auf reinlichem Pfühle;

Die Sommernacht haucht würzig herein

Mit ihrer erquickenden Kühle.


Am Fenster blühn die Rosen zumal,

Es duften so süß die Linden,

Kaum mag des Mondes goldner Strahl

Durchs Laub den Eingang finden.


Doch plötzlich stärker wird der Duft,

Glühwürmchen weben und flimmen,

Es rauschen die Blätter, es klingt die Luft

Von leisen melodischen Stimmen:


»Süß Lieb, süß Lieb, und wiege dich fein

Auf stillen Schlummerwogen!

Traumkönig will dein Liebster sein,

Traumkönig kommt gezogen.«


Da steht der Elf zu Häupten ihr;

Er schüttelt die Locken, die dunkeln,

Daß hell an seiner Krone Zier

Die Edelsteine funkeln.


Dann beugt er sich sanft auf die Holde herab,

Küßt Stirn und Lippen ihr leise

Und zieht mit goldenem Zauberstab

Umher viele luftige Kreise.


Und wie er sie weiter und weiter schlingt,

Da wird zum Palaste das Stübchen,

Drin ruhn, von fürstlichem Glanz umringt,

Traumkönig und sein Liebchen.[81]


Aus purpurnen Polstern bereitet schwillt

Die prächtige Lagerstätte;

Von ferne dämmert die Lampe mild.

Zwei Pagen knieen am Bette.


Und drüber in silbernem Reifen schwingt

Ein Vogel sein farbig Gefieder,

Er schaukelt sich sacht wie im Schlaf und singt

Ein Brautlied schmelzend hernieder.


So ruht Traumkönig beim Liebchen fein

In traulichem Küssen und Kosen,

Bis hell das Lager der Morgenschein

Bekränzt mit leuchtenden Rosen.


Dann schwindet der Elfe von dannen sacht,

Rings ist der Zauber zerflossen,

Und auch das Mädchen, das holde, erwacht,

Von lieblicher Scham übergossen.


Doch als sie empor nun die Augen schlägt,

Von langen Wimpern umsäumet,

Da seufzt sie, da preßt sie das Herz bewegt:

»Ach, war denn mein Glück nur geträumet?«

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 81-82.
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