Der Einsiedler

[160] Wie ward mir das Gewühle

Der Welt doch gar zur Last!

Es rauscht der Wald so kühle

Und lockt zu süßer Rast.

Fahrt wohl denn, ihr Beschwerden,

Fahr wohl, o Lust der Erden!

Ein Siedler will ich werden,

Der Wildnis stiller Gast.


Mein Wams von Purpursammet,

Ich muß dich von mir tun:

Mein Schwert, hast ausgeflammet,

Ein Grabscheit wirst du nun.

Fleuch auf, mein Falk, mit Schalle!

Trab' heim, mein Roß, zum Stalle!

Der Goldsporn bricht, ich walle

Fortan auf Sandelschuhn.


Ich will ein Haus mir bauen

Hier zwischen Eich' und Tann'

Aus Stämmen unbehauen

Mit Moos und Flechten dran:[160]

Ein Kreuzlein will ich schneiden

Aus jenen Hängeweiden

Und mich in Felle kleiden,

Wie weiland Sankt Johann.


Im hohlen Baum die Waben,

Sie reichen Honig dar;

Nach Wurzeln kann ich graben

Die längste Zeit im Jahr;

Und dort von fels'ger Schwelle

Hüpft braun herab die Quelle,

Wie schimmert ihre Welle

In hohler Hand so klar!


Ein Gärtlein soll umhegen

Die dunkle Siedelei,

Drin will ich Rosen pflegen

Und Rosmarin dabei:

Will aus dem Born sie tränken

Und, wenn sie welk sich senken,

Im Herzen still gedenken,

Daß Lieb' ein Schatten sei.


Und kommt zu meiner Zellen

Ein Reh die grüne Bahn,

Das wähl' ich zum Gesellen

Und zieh' es treu heran.

Auf meinem Bett von Ranken

Da ruh' es seine Flanken;

Es wird mir besser danken,

Als je ein Mensch getan.


So will ich Umgang pflegen

Mit Rosen, Reh und Hain,

Gegrüßt auf meinen Wegen

Vom Sonnenstrahl allein;

Und jeden Abend treten

Will ich zum Kreuz und beten

Den einen Spruch, den steten:

»Herr, nimm zu dir mich ein!«[161]


Und so mich Gott erhöret,

Da sei der Forst mein Grab,

Wo mich kein Reigen störet

Und keines Rosses Trab.

Wildröslein, rot und bleiche,

Bestatten fromm die Leiche,

Es singt von dunkler Eiche

Die Nachtigall herab.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 160-162.
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