Vom Genius

[335] Kommt wohl, daß ein berühmter Mann

Hat seinen Fehler dann und wann,

Daß er aufs Geld sich nicht versteht,

Die Wirtschaft gehn läßt, wie sie geht,

Beim Weine Zeit und Maß vergißt

Und sonst tut, was nicht sauber ist.

Das alles wird nun nimmer fein,

Doch mag man's solchem Mann verzeihn,

Wiewohl er ohne das auf Ehr'

Einem noch zehnmal lieber wär'.


Doch nun meint manch ein Hasenfuß,

Im Dreck da sitzt der Genius,

Und Unordnung und loses Wesen

Das ist so recht vom Geist erlesen;[335]

Versucht's auch lustig hinterdrein,

Auf solche Art genial zu sein,

Verdirbt bei Dirnen sich das Blut,

Schlampampt, vertut sein Hab und Gut;

Und weil ihm das denn baß gelingt,

Er's bald zu Rausch und Schulden bringt,

So bläst mein Narr die Nüstern auf,

Als wär' die Welt bei ihm zu Kauf,

Und sieht jedweden Ehrenmann

Für einen Lumpenhund nur an.


Doch zehnfach arg wird's und verkehrt,

Wenn in ein Weib der Teufel fährt;

Gleich ist ihr zu gemein das Leben,

Muß immer in den Wolken schweben,

Kriegt die Vapeurs und hat das Maul

Voll Redensarten von Jean Paul,

Studiert den Hegel zum Zeitvertreib

Und trägt kein reines Hemd am Leib.

Am Feu'r der Braten brennt zu Aschen,

Die Kinder laufen ungewaschen,

Und kommst du erst zu ihr ins Haus:

So sieht's in keinem Saustall aus.


Und muß ich solche Unbild sehn

Dem armen Genius geschehn,

Wie frech in seine schlechtsten Lappen

Die eitlen Affen sich verkappen,

Die doch – zu reden gar gelind –

Mißratene Philister sind,

Da seufzt mein Herz voll Ingrimm auf:

O Simson, Simson, steig herauf

Und fahre mit dem Eselsbacken

Dem Volk allmächtig in den Nacken,

Bis ihm die Genialität

Für heut und immerdar vergeht!

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 335-336.
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