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[328] 1863.
Gesetzlos nicht und nicht geknechtet sein,
Das war es, was der Vorwelt Sänger schon
Als einzig hohes Glück der Staaten pries.[328]
Wer aber teilt das rechte Maß uns zu?
Und fand es einer, wer gebeut dem Strom
Der Zeit, bei diesem Maße stillzustehn?
Denn ew'ge Wandlung ist der Welt Gesetz,
Unwiderruflich wächst und stirbt die Pflanze,
Und vom erklommnen Gipfel geht's hinab.
Drum hadre nicht zu bitter, wenn noch oft
Dem kühnen Freiheitsdrang in deiner Brust
Die Schranke wehrt; nein, segne dein Geschick,
Daß deine Spanne Leben in die Zeit
Des Wachstums und des Aufwärtsstrebens fiel.
Denn der Vollendung kurzen Tag zu schaun,
Ist wenigen beschieden; niemals glänzt
Sein goldner Strahl auf mehr als ein Geschlecht,
Und süßer ist's, für der Entfaltung Recht
Im frohen Kampf zu stehn, und, muß es sein,
Zu fallen in des Werdens Zuversicht,
Als, wenn die Kräfte der Bewegung erst
Im Sieg verdarben, wider ihren Schwall
Den Damm zu baun und eine morsche Welt
Zu stützen, die aus allen Fugen geht.
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