Pfarrhausidyll

[377] Der Samstagabend dämmert. Draußen flockt

Der Schnee herab. Im Zimmer dunkelt's tief,

Und nur des Ofens Flackerschein umspielt

Den großen Schreibtisch und den Bücherschatz,

Der Band an Band sich an den Wänden reiht.

In seinem Armstuhl ruht zurückgelehnt

Der junge Prädikant und übersinnt

Den Text noch einmal, den er andern Tags

Erläutern soll. Die Predigt hat er schon

Vollendet in der Früh', und eben jetzt

Schwebt ihm der Übergang zum Amen vor,

Der Segensspruch, mit dem er schließen will,

Wie wohl ein Gärtner den gelungnen Strauß

Zuletzt noch krönt mit einer Lilie.

Bewegt in tiefster Seele findet er

Das rechte Wort, und hoch und höher trägt

Ihn des Gedankens Adlerflug hinan:

Da tritt sein junges Weib herein mit Licht.

Doch wie sie des geliebten Mannes Stirn

Vom Strahl des Geistes überleuchtet sieht,[377]

Erscheint er plötzlich schöner ihr wie sonst,

Voll fremder Hoheit, fast wie ein Prophet,

Und zaudernd bleibt sie auf der Schwelle stehn.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 377-378.
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